RE: Die Bilder der Geräusche - 2

Leicht verstohlen blickte ich dem femininen Kerl auf die Hände wie er erneut tippte. Man, irgendwas an diesen Händen hatte es mir angetan. Er hatte wirklich hübsche Hände. Ob er wohl künstlerisch begabt war oder einfach nur auf seine Haut Acht gab? Ich dagegen, naja, meine Hände waren jetzt nicht rau wie ein Reibeisen, aber so picobello gepflegt waren sie auch nicht. Was wollte man auch erwarten, wenn man den ganzen Tag Pakete übers Band schob und einsortieren musste? Jedes Paket fasste ich ein paar mal an, ehe ich sie auf einem Rolli für den nächsten Arbeitsschritt stapelte. Tetris war mein Spezialgebiet, jeden noch so kleinen Winkel wusste ich auszunutzen.
Meine Gedanken rissen abrupt ab, als ich mein Handy wieder in die Hand gedrückt bekam. Ich las flüchtig über den Display. Dann nickte ich. Natürlich war ich bereit. Ich war nur zu höflich gewesen, einfach loszugehen. Außerdem war ich mir ja nicht einmal sicher, ob jener rothaarige Mann mit mir kommen würde. Vielleicht wollte er lieber gehen? Schließlich war es keine Selbstverständlichkeit, dass ein Mann einen anderen offen angrub. Ich lächelte leicht, als ich den fremdartigen Namen versuchte nachzusprechen. „Chikafusa“. Wie sprach man das eigentlich aus? Gerne hätte ich jenen Chika gefragt, doch das ging schlecht, wenn er seinen eignenen Namen nur in geschriebener Form kannte. Er kam bestimmt nicht von hier. Auch seine feminine Art, sie war geradezu asiatisch. War er etwa japanisch stämmiger? Oh das war sicher aufregend! Doch ehe ich mir weitere Gedanken über sein Urpsrungsland machen konnte, zeigte er mir aufgeregt erneut das Handy. Ich las. Dann musste ich lachen. Er meinte mein Hemd. Ja ich hatte es versaut, mitsamt Hose. Dieser verdammte Kaffee. Naja, so war das nunmal wenn man Kaffee auf seine Kleider bekam, die Flecken blieben bis sie in der Waschmaschine verschwanden. Ich streifte mein Hemd glatt und sah Chikafusa leicht lächelnd an. Dann nickte ich zu dem Stuhl auf dem ich gesessen hatte, an dem noch ein Jacket hing, welches ich wahrscheinlich vergessen hätte, hätte Chikafusa mich nicht nochmals auf meine Kaffeeflecken angesprochen. Ich ging hin und legte es an. Zumindest war damit das Problem mit dem Hemd gelöst und auf die Hose schaute mir hoffentlich niemand. Schließlich tippte ich nochmal ins Handy. „Ja, nun wäre ich bereit zu gehen. Danke, dass sie mich daran erinnert haben, ich hätte es glatt hier hängen lassen.“ Da meine Hose nicht weiß war, würde es auch kaum einem auffallen, außer er starrte wirklich direkt auf den Stoff. Und wenn einer das tatsächlich tun würde, dann wäre er mir sowieso komisch vorgekommen und ich hätte das Weite gesucht. Schließlich knöpfte ich mein dunkles Jacket zu und bewegte mich allmählich zur Tür des Cafes, Richtung draußen. Es war leicht kühler, aber noch nicht kalt. Doch man merkte, dass es gegen Abend wurde, und die Leute allmählich die warmen Lokale aufsuchten oder nachhause pendelten.

Wieder konnte ich seine Blicke nicht sehen. Alles nur, weil ich ihn nicht hören konnte! Also gut, das hatte natürlich nicht in erster Linie damit etwas zu tun, dass ich nicht sehen konnte, wie er meine Hände ja quasi beliebäugelte, aber hätte ich die Hände frei, könnte ich mich wie jeder normale Mensch mit ihm unterhalten und nicht deppenhaft auf ein Display tippen. Wobei...nachdem er sich mein Gesicht ausgiebig angeguckt hatten warum natürlich meine Hände dran, vielleicht hätte er sie sonst erst einmal gar nicht so schnell beachtet...Und außerdem...was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Was damals Zettel und Stift waren, waren heute eben Handy und Finger, beziehungsweise bei coolen Leuten: der Touchpen. So ein Stift war schon ziemlich praktisch, aber kam bei mir eigentlich nur in billiger Form von irgendeiner beweglichen Halbkugel am Stift - ich wusste den Namen nicht - im Winter zum Einsatz. Aber auch nur, wenn ich meine innovativen Handschuhe mit dieser praktischen Ich-kann-trotzdem-tippen-Oberfläche an den Fingerkuppen der mittleren drei Finger überzogen war. So wie ich diese Oberfläche nannte, denn auch hier hatte ich keine wirklich Ahnung wie man diesen Stoff nannte. Aber eigentlich war dies ja auch Nebensache, ich musste diese Handschuhe ja nicht verkaufen, ich wollte sie nur funktionstüchtig tragen, nicht etwa nachbauen. Und mein Namen kannte er jetzt also. Etwas komisch, dass er dies so kommentarlos über sich ergehen ließ, wo ich doch japanische Wurzeln hatte. Normalerweise kam immer prompt die Frage, ob ich denn gebürtiger Franzose sei, meine Eltern einfach nur kreativ waren oder wo ich denn herkommen würde. Ich war solche Fragen gewöhnt, genau wie Fragen zu meinem Hörvermögen. Da gab es schließlich auch eine ganze Palette an Fragen die man stellen konnte. Taub, gehörlos, schwerhörig...seit wann ich denn so war, ob ich damit denn leben könnte, wie mein Umfeld klar käme, wie ich mich zurecht fand, ob es denn Heilung gab etc. etc. etc. Besonders neugierig waren natürlich Kinder, wobei das in meinem Arbeitsumfeld Gott sei Dank wegfiel. Von den meisten. Denn wir hatten auch durchaus "normale" Kinder, die hören und sehen konnten. Auch wenn es die wenigstens waren. Der Respekt gebührte immer ihren Eltern, die ihren Kindern dies "antaten", denn für viele junge Eltern war es undenkbar ihr Kind zu diesen eingeschränkten Wesen zu geben, was ich als "Betroffener" sehr traurig fand.
*Wie clever!* Einfach eine Jacke drüber ziehen, das wäre vielleicht in der Tat DIE Lösung. Jetzt mussten wir nur hoffen, dass es im Lokal nicht allzu warm war, denn bekanntlich war es das ja. Schade, ich war eine ziemliche Frostbeule und saß gerne an den Heizkörpern oder noch besser: am Pizzaofen! Immerhin hatte man dann auch einen leckeren Geruch in der Nase, immer etwas zu gucken, wusste sofort wenn sein Essen fertig war...mir gefiel es jedenfalls. Aber mit Lilou würde ich wohl eher am "unerotischen" - ein Lieblingswort meines Vaters - Eingang mit Zugluft sitzen. Und die würde es reichlich geben, denn als ich das Café verließ, kam die die schleichende Kälte schon etwas entgegen. Noch fror ich natürlich nicht und wenn das Restaurant nicht gerade 3 Kilometer weit weg wäre, würde ich dies auch bis dahin nicht. "Wie weit ist es zum Lokal?", fragte ich ihn per Telefon und lächelte ich ein wenig an. Nervös, das war ich natürlich immer noch ziemlich, aber er wirkte eigentlich vertrauenswürdig. Sah man von dem Gebrüll und dieser komischen Anmerkung seines Zuhauses mal ab...

Beim entlanggehen der Hauptstraße versuchte ich ein paar Fragen zu formulieren, die nicht zu sehr aufdringlich waren, und doch genügend Interesse signalisierten, sodass man sich vielleicht unterhalten konnte – nein halt das ging ja nicht. Er hörte mich doch gar nicht! Man, das war irgendwie frustrierend. Doch dann fiel mir ein, wie frustrierend es erst für ihn gewesen sein muss. Niemand hörte ihn, er hörte sich nicht mal selbst. Alles war stumm. Ohmeingott nein! Ich wäre wahnsinnig geworden an seiner Stelle. Er tat mir schon leid. Wie meisterte er seinen Alltag? Wie machte er das, wenn er über die Straße gehen wollte und er die Autos nicht hörte? War das nicht gefährlich, so ganz alleine? Ich musterte ihn ein wenig. So ein hübsches Gesicht. Er bestimmt total freundlich in seiner privaten Umgebung. Dieses Lächeln war so zuckersüß, ich hätt fast kotzen können. Und sein Name? Er kam bestimmt nicht von hier oder? Wer hieß denn bitte Chikafusa? Ich konnte das ja nicht einmal aussprechen! Neugierig las ich seine Frage auf dem Display. „Nicht lange, zweimal über die Straße und wir sind dort. Ist Chikafusa eigentlich ihr richtiger Name, oder ist das Ihr Künstlerpseudonym? Ich habe noch nie jemanden mit diesem Namen getroffen. Wo kommen sie denn ursprünglich her?“ tippte ich und reichte es ihm, dabei streifte ich unabsichtlich über seine Hand. Ich zuckte leicht zusammen, wegen dem kleinen Blitzschlag. Man, ich war schon lange nicht mehr so aufgeregt, wenn ich mit jemandem unterwegs war. Und bildete ich es mir ein, oder hatte er kühle Hände? Ich blickte ihn an und lächelte leicht mit zusammengekniffenen Augen. Wenig später betraten wir auch schon die gute alte Pizzeria um die Ecke. Eine dicklichere dunkelhaarige Dame lief uns entgegen und zeigte uns ein paar hübsche Plätzchen. Es war recht warm in der Stube- ja kein Wunder, Italiener mochten es eben warm – und dieser tödliche Geruch nach Pizza und Pasta! Man, ich bekam solchen Hunger! Perfektes Timing für Abendessen. Ich lächelte Chikafusa an und zeigte auf eine Bank gegenüber von mir. Ich dagegen nahm auf einem Stuhl mit Kissen Platz. Kaum hatte ich mich hingesetzt kam die dicklichere Frau und stellte uns eine Kerze hin die sie anzündete. Ich blickte etwas um mich, und sah dass noch weitere Gäste da waren, jeder Tisch hatte zwar eine Kerze, doch keine die brannte. Dachte die Bedienung etwa ich hatte eine Frau zum Abendessen mitgebracht? Ohweh.. hoffentlich würde das nicht peinlich auffallen. Leise seufzend strich ich meine Brille nach oben und ließ den Blick flüchtig über mein hübsches rothaariges Gegenüber gleiten.

Lächelnd drehte ich mich zu ihm um während ich die Straße entlang lief. Es war für mich nicht langweilig, selbst wenn ich mich währenddessen nicht mit ihm unterhalten konnte, wie es beispielsweise die Passanten rechts, links, vor und hinter uns taten. Mein ganzes Leben war ich nahezu stumm gewesen und hatte noch nie auch nur ein Geräusch wahrgenommen. Die hörende Welt war mir komplett verborgen und verstand nicht wie ich überhaupt überleben konnte. Aber wie sollte ich etwas vermissen, was ich nicht kannte?! Sicherlich, es wäre eine glatte Lüge zu sagen, dass ich mir noch nie ein Gehör gewünscht hatte, ganz klar. Aber die meiste Zeit akzeptierte ich eigentlich wie ich war. Mein Glück war es, in der heutigen modernen Zeit und in einem fortschrittlichen Land wie Frankreich aufgewachsen zu sein. Von Klein auf hatte ich besondere Förderung bekommen und war in der Schule mit "Gleichgesinnten" gewesen. Und natürlich mein größtes Glück: mein Arbeitsplatz. Es machte mir Spaß und meine Gehörlosigkeit war keine Behinderung mehr, zumindest kein spürbares Handicap. Es war schon in so einer integrativen Kita zu arbeiten, das Klima war wundervoll und ich konnte Kindern helfen, die genau das gleiche Schicksal wie ich erlitten hatten, ihren Eltern etwas zur Seite stehen, denn nur die wenigsten von ihnen hatten selbst ein hörgeschädigtes Elternteil, beziehungsweise beide Eltern mit beeinträchtigtem oder nicht vorhandenen Hörvermögen. Filme hatten Untertitel, genau wie Tagesnachrichten durch Gebärdensprache unterstützt wurden. Sogar Türklinken und Feuermelder waren für Minderheiten wie ich es war erhältlich! Ich konnte mich im Allgemeinen nicht wirklich beklagen. Und die Gesellschaft ändern, nun, das konnte ich sowieso nicht.
Lange konnte ich ihn aber natürlich nicht anlächeln, denn sonst wäre ich in die nächstbeste Straßenlaterne, einen Zaun, Busch, Menschen oder sonstiges Hindernis gelaufen. Und er ehe mich darauf aufmerksam gemacht hätte, wäre es wahrscheinlich schon zu spät. Dafür konnte ich das Lokal schnell von Weitem sehen und einige Meter danach auch riechen. Wie versprochen. Oder kam dieser Essensgeruch nur aus den anderen, angrenzenden Restaurants? Hier reihte sich ja eins nach den anderen. "Gleich.", tippte ich nur schnell binnen weniger Sekunden und bestaunte dann den Eingang. Es sah wirklich hübsch aus, obwohl es nicht teuer zu sein schien. Aber was natürlich noch viel beeindruckender war als das Ambiente oder der Geruch, war der Aspekt, dass ich mit Männerbesuch hier war. Ich konnte es wirklich kaum fassen. War das alles denn bloß entstanden, weil ich heute in dieses Café gegangen war, die Frau und ich in Eile gewesen waren und er genau DORT saß? Gab es wirklich solche Zufälle? Oder war das...kein Zufall? Hatte dieser Tag hier eine große Bedeutung? Würde ich in 40 Jahren darauf zurückblicken - ob positiv oder negativ? Keiner konnte es sagen, aber ich wollte das jetzt erst einmal in vollen Zügen genießen. Meine Begleitung hoffentlich auch.
*Gemütlich...*, stellte ich zufrieden fest und rutschte kurz auf dem weichen Polster hin und her, aber natürlich nicht auffällig, wie ein hyperaktives Kind. Die Kellnerin erwiderte irgendetwas, zückte ihren Stift und den Zettelblock. Hilfe, woher sollte ich ohne Karte wissen was ich wollte?! Rasch schüttelte ich den Kopf, lächelte entschuldigend und nachdem sie Lilou befragt hatte, machte sie ebenfalls lächelnd kehrt, wahrscheinlich auf der Suche nach Speisekarten. Ich forderte währenddessen erst einmal stumm das Handy wieder ein, wo noch seine und meine letzte Nachricht zu lesen war. "Nein, nein, das ist schon mein richtiger Name. Mein Vater ist Japaner, der Arbeit wegen nach Frankreich gekommen. Und hier hat er meine Mutter getroffen. Ich bin ein Multikultikind. Taub und die Eltern aus verschiedenen Kulturen, nicht wirklich der Norm entsprechend, haha." *Und dazu noch schwul...* Aber das behielt ich lieber für mich. So GANZ sicher...nun, das war ich noch nicht. Alles kam mir noch so unwirklich vor, wie mit versteckter Kamera.
Eine mit Kunstleder überzogene Karte wurde uns kurz darauf gereicht und mein Gegenüber hatte zwei Sachen zu lesen. Die Nachricht, sowie die Auflistung von Speisen und Getränken. Und schon war die Dame wieder abgezischt. Es herrschte Ruhe am Tisch. Gut, die herrschte sowieso, aber es war eben jetzt RICHTIGE Ruhe...Jeder las für sich, suchte sich etwas aus. Gerne hätte ich mir ein anderes Getränk als Wasser bestellt, aber ich wollte nicht unhöflich sein, nahm dann 300 ml mit Kohlensäure. Ich mochte so etwas. Umso mehr, umso besser. Außerdem entschied ich mich für einen kleinen Salat, der unter einer Vorspeise verbucht war. Ebenfalls halt ganz kostengünstig. Ich wollte ihn wirklich keine Umstände machen oder ausnutzend wirken. Lächeln zeigte ich ihm also mit Hilfe meines Zeigefingers was ich mir fairer Weise ausgesucht hätte, auch wenn mein Herz sich eher Nudeln oder Pizza wünschte.

Ich konnte beobachten wie sein Gesicht leicht zufrieden wirkte, während er etwas auf den Sitzpolstern hin und herrutschte. Irgendwie fand ich das niedlich und musste leise lachen aufgrund des Bildes. Ich fühlte mich ein bisschen an meine jüngeren Geschwister erinnert, die etwas unbekanntes gut fanden. Dann nickte ich der dunkelhaarigen Frau erneut zu, die sich wieder hermanövrierte an unseren Tisch. Dieses mal hatte sie ganz altmodisch, Zettel und Stift dabei um unsere Wünsche aufzunehmen. Ich schielte unbewusst zu Chikafusa rüber. Er konnte sicherlich nicht bestellen ohne die Fähigkeit zu hören oder ein Gespräch zu führen. Nein, das musste ich übernehmen. Ich wusste auch ziemlich sicher was ich haben wollte. Moment mal. Und was wollte er? Ohje, hoffentlich holte ich kein Essen, gegen das er womöglich allergisch war. Doch ehe ich etwas sagen konnte, war die Bedienung mit einem leisen 'Entschuldigen Sie, ich bringe Ihnen noch die Menükarte.' verschwunden. Also holte ich nochmals Luft. Ich mochte es nicht sonderlich etwas zu bestellen, aber das musste nunmal sein, wenn man öffentlich essen ging. Daheim zu essen in der vertrauten Umgebung war mir um ein vielfaches lieber, doch mein Date wollte das nicht. Mein Date? Jetzt dachte ich schon in solchen Dimensionen, also das konnte ja noch was werden. Leicht lächelnd schüttelte ich den Kopf über meine eigene Verwegenheit. Ich betrachtete ihn tatsächlich als mein Date, daran gab es nichts zu rütteln. Ja, er war ein Kerl, aber war das wirklich so wichtig? Er stank weder nach Bier noch nach Zigarettenrauch und rasiert war er auch. Ich stellte keine großartigen Ansprüche, was nette Gesellschaft anging. Was ich suchte, war lediglich ein freundlicher Mensch, der ein wenig auf sein Äußeres Wert legte und nicht betrunken in den Straßen umhertorkelte. Ja, nicht so wie einstige Freunde meiner Familie, die ich auf den Tod nicht ausstehen konnte. Doch mit nichten, hatte ich bei Chikafusa mit einem ungepflegten Biersäufer zu tun. Nein, er schien mir eher der feine elegante feminine Typ zu sein, der für Kultur und gute Gemütlichkeit bestimmt zu haben war. Sowas mochte ich. Ein leichtes Lächeln huschte über meine Lippen. Ganz in Gedanken versunken schielte ich auf die Karte, die auf den Tisch gelegt wurde von der erneut herbeieilenden Bedienung und überflog die Zeilen. Pizza hier Pasta dort, Salate. Nope. Salat sicherlich nicht, davon wurde keiner satt. Wir hatten es Abend und es war kalt. Ergo musste was warmes deftiges her. Eine geile Pizza war das richtige! Eine große Pizza für zwei! Oder doch ein Pastateller, den man romantisch vernaschen konnte und sich ausversehen eine Nudel teilte, wie Susi und Strolch? Ich wurde leicht rot bei dem Gedanken. Nein, das war wahrscheinlich zuviel Romantik auf einmal. Ohgott was dachte ich denn da schon wieder?!
Mein Blick erhaschte eine Bewegung meines Gegenübers. Ich verstand schnell, dass er mir etwas in der Karte zeigen wollte. Ich blickte begierig auf die Stelle, wo sein Finger draufzeigte. Als ich Salat laß kräuselte ich die Lippen. Nein, wirklich? Salat? War das sein Ernst? Das durfte nicht wahr sein! Wir waren doch nicht in eine Pizzeria gegangen damit er sich SALAT bestellen konnte! Ich beherrschte mich meine Enttäuschung nicht offensichtlich zu zeigen. Also schluckte ich meinen Ärger und rang mich zu einem kopfschüttelnden Lächeln durch. Mit Salat war ich nicht einverstanden. Stattdessen nahm ich seine Hand und fuhr damit zur Auflistung der Pizzen und Pasten. Ich strich langsam über die Karte, als hätte ich gewollt, dass er sich die Oberfläche der Karte genau merkt. Dann bemerkte ich, wie ich seine Hand festhielt. Sie war so weich und irgendwie zierlicher als meine. Erneut hatte ich den Gedanken, ob ich diese schlanken Finger nicht küssen konnte und wie sie sich wohl anfühlten wenn sie mir durchs Haar fuhren. Alter! Ich musste wirklich hungrig sein, dass ich wieder so ne scheiße dachte! Ich räusperte mich und wurde leicht rot um die Nase, dann schob ich meine Brille wieder zurecht. Ich blickte Chikafusa prüfend an und behielt seine Hand auf der Pizzenaufzählung, und meine noch freie Hand auf dem Salat, den er mir zuerst gezeigt hatte. Vielleicht machte ich einen Kompromiss und bestellte einfach beides! Jeder wusste doch, mit leerem Magen konnte man nicht gut kuscheln. Wusste er das nicht? Sollte ich ihm.. das sagen? Ich war so kurz davor..

"Eh..." Ein kleiner, für mich stummer Laut der Überraschung kam zwischen meinen Lippen hervor, als sich die Hand meines Gegenübers sanft aber entschlossen die Seite wechseln ließ. Doch erst einmal war es für mich uninteressant wohin er mich führte, vielmehr interessierte sich sein Gesicht, welches sich aber nicht zu 100 Prozent lesen ließ. Wieder richtete er seine Brille. Oh, er sollte wirklich seinem Optiker mal wieder einen Besuch abstatten oder diese Marotte ablegen. Irgendwann würde mich das auch noch ganz nervös werden lassen! Aber nicht nur das zeugte von seinem Empfinden, auf den Wangen war eine deutliche Röte zu sehen, so schwach sie auch sein mochte. Und ich konnte es ihm nicht verübeln. 1. machte es ihn um einiges...lebendiger und 2. hatten sich bei mir die feinen Härchen am Körper aufgestellt, also konnte ich ihm das wohl nicht verübeln. Ich studierte Lilous Gesichtszüge regelrecht. Fast meine ganze Welt beschränkte sich auf das Sehende, wenngleich ich deutlich länger in der Oralen Phase geradezu festgesteckt hatte. Eben weil mir einer der 5 Sinne fehlte und somit das Anfassen und Fühlen nochmals einen ganz anderen Stellwert gehabt hatte als ohnehin schon für Neugeborene. Vielleicht war dies auch eine Unterstellung, doch vermochte es Dinge feiner zu fühlen, wie beispielsweise Temperaturveränderungen. Nicht dass ich Superman war, ich achtete nur sehr auf Umwelt, eben mit geschärften Sinnen. Man konnte so einiges mehr entdecken, wenn um einen herum keine Stimme, Verkehrsgeräusche, Fußgetrappelt, Musik, Klacken und Klingen war. Und ja, irgendwo war ich stolz auf meine Besonderheit, auch wenn ich die Hörenden beneidete.
Und dann endlich beschäftigte ich mich auch wieder mit de Speisekarte. Schließlich wollten wir irgendwann auch die Bestellung aufgeben, denn das Essen beamte sich ja dann nicht binnen weniger Sekunden auf unseren Tisch. Und eigentlich war das auch gut so, denn schließlich war ein Restaurantbesuch kein Schnellimbiss und diente nicht nur der Nahrungsaufnahme, sondern natürlich auch der sozialen Interaktion. Selbst wenn sich diese etwas schwierig und auf nicht ganz normbasierte Weise ausführen ließ. Zumindest nichts, was in einem Lokal wie diesem und auch nicht beim ersten "Date" - so zumindest meine Auffassung angemessen war. Den mein Tastsinn funktionierte ausgezeichnet und auch das war ja Teil des Zusammenlebens der Menschen. Aber eben nur wenn man sich nah war und in der richtigen Atmosphäre.
*Pizza und Pasta? Aber warum...?* Ein erneuter prüfender Blick in das Gesicht des Franzosen. War das Lächeln gequält? Ich konnte nicht ewig handlungsunfähig hier sitzen bleiben und fasste dies so auf. Er wollte sicherlich nicht unhöflich sein, aber seinen Standpunkt sicherlich auch nachdrücklich klar machen. Keinen Salat für mich. Doch warum? Er war doch günstig! Oder fürchtete er einen Vegetarier oder gar Veganer sich gegenüber zu haben? Einige hatten damit ja ein bisschen ein Problem...*Nein, da ist Fleisch mit bei...das kann es nicht sein. Aber was stört ihn dann?...* Erneute Überprüfung, dieses mal der Karte.
Ich schaute auf das Essen, welches unter der Kategorie "Vorspeisen" verbucht war. Aber natürlich, eine Vorspeise. klassisch gehörte dazu natürlich eine teurere Hauptspeise und anschließend ein süßer Nachtisch. Die Franzosen legten sehr viel Wert auf ihre Esskultur und ein mehrgängiges Essen war Pflicht. Aber doch nicht, für einen gehandicapten Typen mit der Geschicklichkeit einer geschälten Gurke, der einem das Oberteil und ein Stückchen der Hose versaut hatte ins einer Panik. Wie es nur Volltrottel und kleine Kinder taten. Mit Sicherheit dachte er, dass auf den 8 Euro Salat eine 22 Euro Pizza folgen würde, sowie ein Eisbecher oder dergleichen mit einem ähnlichen Preis wie es die Vorspeise hatte. Und dazu noch ein Getränk. Zwischen 30 und 40 Euro für eine Person die man gerade erst getroffen hatte für Essen auszugeben? Das kam gar nicht in Frage! Nicht im Geringsten. Hektisch entzog ich mich der klammernden Hand, die natürlich nicht fest zupackte, um auf meine Weise zu sprechen. Im Kreise meiner Familie und engster Freunde, im Arbeitsleben - es war meine Sprache und kein Mensch der Welt dachte in solchen Situation nach, was und wie er sprach. Und deshalb vergas ich auch just in diesem Moment, dass mein Begleiter mit der modernen Brille der Gebärdensprache nicht mächtig war und ich die Handzeichen genauso gut verdeckt hätte machen können, es hätte das selbe Ergebnis gehabt. Er verstand nicht. Hier verstand mich wohl niemand.
Oh wie peinlich, wie überaus peinlich. Für wie gierig musste er der Mann mich halten?! Am liebsten hätte ich ihm unauffällig die 50 Euro in seine Tasche zurückgesteckt oder den einzig plausiblen Weg gegangen: Direkt aus der Tür getürmt! Doch zu meiner Überraschung wirkte er gar nicht über den Tisch gezogen, sondern eigentlich ganz ruhig und fast schon zufrieden. Entspannt. Erwartete er sogar vielleicht von mir, dass ich ein ganzes Menü nahm? Schließlich war es ganz im Sinne seiner Kultur. Doch alleine vom Aussehen konnte ich natürlich keine Vermutungen darüber anstellen, wie sehr er dem "Klischee-Franzose" entsprach. In einem französischen Restaurant waren wir schon einmal nicht! Und das, obwohl sich in der Straße vier, fünf davon tummelten. Aber gut, diese waren auch meist einfach teurer als ihre Konkurrenten. Man musste nicht alt eingesessen sein in der Gegend, um zu bemerken, wie viel sich die Einheimischen ihre kulinarischen Erlebnisse, zumindest spät abends natürlich, kosten ließen. Aber auch die Tageszeit "passte" nicht in das stereotypische Bild der Esskultur.
All das Nachdenken über seine Motive und was er mir jetzt genau sagen wollte, ließ mich wirklich nervös werden. Ich wollte das hier doch nicht durch solche Dummheiten versauen! Verdammt, wie bescheiden musste man sich anstellen, um bei der Auswahl der Speisen in ein Fettnäpfchen zu treten?! Und das, obwohl ich schließlich Halbfranzose war! Krampfhaft suchte ich die Karte ab, aber nicht auf der rechten Seite mit der großen Auswahl an Pizzen, sondern links beim Grünzeug. *Niedriger. Was ist billiger?!* Da! Freudestrahlend deutete ich erleichtert auf den kostengünstigsten Salat den sie anzubieten hatten. Mit schlichtem, aber leckeren Balsamico. Im Salat davor waren zumindest zarte Hühnchenstreifen und Nüsse Teil des Gerichtes gewesen, nun handelte es sich wirklich nur noch um reines Gemüse. Blattsalat, Tomate, Mais. Fertig. Ganz einfach. Und nicht teuer. Und um meinen guten Willen noch zu unterstreichen, nahm ich ihm kurz die A4 große Karte aus der Hand, ging zurück ans Ende, wo die Auflistung der Getränke war du strich mit dem Zeigefinger das Sprudelwasser durch. Zwar mochte ich das nicht so sehr, aber irgendwie war es in Frankreich üblich, dass Wasserkaraffen - zumeist Leitungswasser - auf den Tisch fanden und ich goss mir etwas davon ein. Ein 5,50 Euro Salat und Leitungswasser...Es gab wohl nichts romantischeres. Vor allem für das erste Treffen. (Und wohl auch das letzte.) Leider.

Ich hätte mir wohl echt gerne ein stummes facepalm gegegeben, als ich sah was mein Gegenüber tat. Freudestrahlend zeigte er mir auf den billigsten Salat, den dieses verdammte Lokal zu bieten hatte. Nein, warum? War er einfach nur ein Veganer, der nichts essen konnte oder mochte er nur Salat? Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich liebte Essen über alles! Essen bedeutete Liebe auf jeder Ebene! Und was konnte es für eine bessere Anmache geben, als jemanden zum Essen ausführen und ihn schön mästen, damit man ihn nachhause rollen konnte und ihm seinen Bauch massieren? Halt. Nein, das vielleicht nicht. Dennoch war Essen gehen ein wichtiger Ausdruck von Zuneigung oder zumindest sozialer Interaktion mit seinen Mitmenschen. Ich war etwas enttäuscht über die Wahl meines rothaarigen Jünglings, das muss ich zugeben. Leise seufzend lächelte ich schließlich und nickte ihm wohlwollend zu. „Nagut. Wenn du das so sehr möchtest.“ sagte ich, mit dem Wissen, er hörte meine Worte sowieso nicht. Doch meine Enttäuschung wuchs mit jedem weiteren Schritt, als ich mitansah, wie er sich von umstehenden Wasserkaraffen Leitungswasser herholte. Ihgitt nein. Sowas trank ich nicht! Dieses Wasser war für die armen Schlucker, die sich nicht mal ein Spezi leisten konnten. Ich gab auf. Warum wollte ich dem zierlichen Wesen auch ein anderes Essen aufdrücken? Weil ich ihn füttern wollte? Was wollte ich denn genau von ihm? So ganz sicher, war ich mir noch nicht. Zumindest aber, wollte ich ihn mal besser kennen lernen, danach konnte ich ihn ja in eine Eisdiele schleppen. Meine Augen wanderten über sein Gesicht, zu seinen Fingern. Immer diese Finger. Wie gerne hätte ich sie geküsst. Schrecklich. Ich wurde leicht rot bei dem erneuten Gedanken. Zum Glück kam kaum einen Moment später die aufgeregte Bedienung, die sich lauthals dafür entschuldigte uns so lange hat sitzen zu lassen. Sie fragte ob wir uns entschieden hatten. Ich nickte. Zeigte einmal auf die Karte und ordete den Salat an, den mein Date unbedingt haben wollte. Dann fügte ich noch eine Pizza hinzu, einen Teller Antipasti und einen Oliventeller mit Käse. War ich verfressen? Nein keineswegs! Ich war doch nur ein Genießer, der die Sünden des Lebens auskosten wollte. Ich lächelte freudig als ich bestellte, zuletzt wollte ich noch einen Wein. Italienischer Wein, hervorragend! Ja, gleich zwei Flaschen davon! Ich konnte sie auch alleine trinken. Danach war ich zwar etwas angedrübelt und schwankte vielleicht nachhause, aber das machte nichts, so weit nachhause war es nicht. Ob mein Date wohl Rotwein mochte? Keine Ahnung. Ich hoffte er würde zumindest aus Höflichkeit ein Gläschen kosten, wenn ich es ihm hinschob. Die dunkelhaarige Bedienung nahm alles in einem Zug auf und verschwand mitsamt den Karten wieder. Dann spürte ich das Bedürfnis Chikafusa etwas zu fragen. Etwas, das mit sehr auf dem Herzen lag. Also zückte ich mein Handy und fing an zu tippen. „Entschuldige die Direktheit. Bist du Veganer, oder ist das okay, wenn ich dir etwas von meiner Pizza abgeb, falls ich sie nicht ganz schaffe?“ tippte ich und schob das leuchtende Display rüber zu dem rothaarigen. Ich hätte noch soviel zu sagen gehabt, aber irgendwie traute ich mich das nicht. Ich war ein bisschen nervös, zumal ich einen Kerl zum Essen ausführte. Scheiße, vielleicht war er gar nicht so schwul, wie ich dachte..

Zufrieden mit meiner Wahl - in Gedanken, die richtige und bestmögliche Entscheidung getroffen zu haben - lächelte ich ihn an, doch er verunsicherte mich bereits wenige Momente später. Gehörlos, das war eine Wahrnehmung mit einem geschärften Sinn und einem wegfallenden. Es war nur ganz kurz, minimal, aber für mich doch bemerkbar. Wenn Menschen miteinander kommunizieren, bemerken sie allem voraus den non-verbalen Teil des Gespräches. Mimik, Gestik, alles visuelle. Ich für meinen Teil hatte sowieso nur das visuelle und so bekam ich den kleinen Einbruch mit. Ein glücklicher Mensch sah ganz anders aus, das wusste ich. Und das übertrug er auf mich, ich wurde etwas nervös in meinen Gesichtszügen, vor allem als er anfing zu reden. Oder redete er vielleicht nur mit sich selbst? Hoffentlich, denn er wusste doch, dass ich nicht in der Lage war ihn zu verstehen und ich für meinen Teil würde es ziemlich bissig finden, trotzdem "versuchen" mit mir zu reden. Im Gegensatz zu einigen Schwerhörigen oder erst nach Spracherwerb taub gewordenen Menschen, konnte ich ja nicht einmal Lippen lesen. Innerlich seufzend stützte ich mein Kinn auf meine Hand, den Ellenbogen auf die Tischplatte, auf welcher eine hübsche, rote Tischdecke aus einem recht dicken, geriffelten Stoff war. Etwas gedankenversunken fuhr ich mit den Fingern der freien Hand, genauer gesagt dem Zeige- und Mittelfinger, über den Gegenstand, sah meinen Gegenüber aber weiterhin, ganz unverändert an. Schließlich wollte ich nicht unhöflich sein. Denn schließlich kann: " Man nicht nicht kommunizieren." Auch wenn ich mir ehrlich gesagt Gedanken machte, ob ich nicht einfach hätte ihm die 50 Euro lassen und dann schlechtmöglich abhauen hatte sollen. Aber jetzt war es für eine Flucht eh zu spät. Das würde komisch kommen und mich endgültig zum Clown der Nation machen. Nein danke, darauf konnte ich gut und gerne verzichten. Da biss ich lieber die Zähne zusammen und stand das hier wie ein Mann durch - was etwas sexistisch klang bei genauer Betrachtung. Aber das war ja Sache der Auslegung.
Immerhin brachte die Bedienung etwas Schwung mit hinein und wie so oft, wenn ich unterwegs war, ob sie wohl bereits gemerkt hatte, dass ich in meiner Art des Sprechens und Wahrnehmen anders funktionierte als die meisten Menschen dieser Welt. Aber was hatte mich das schon zu interessieren? Bei ihr bestellte und bezahlte ich ja nur. Und beides machte, allem Anschein nach, mein Gegenüber für mich. Wofür ich ihn natürlich dankbar war auf einer Seite. Gerade hatte ich mich der Kerze zugewandt, die schön flackerte und mehr ich die Zeit überbrücken konnte, in welcher der Mann das Handy zu Rate zog, war er auch schon wieder fertig und neugierig überflog ich die Zeilen mit meinen hellen Augen, ehe ich meine Hände von der Oberfläche des Tisches nahm, um das Gerät selbst zu halten und tippen zu können.
Er schien mich wirklich irgendwie etwas falsch verstanden zu haben. Vielleicht dachte er ja sogar, dass ich einer dieser Menschen war, die penibel auf ihre Ernährung achteten. SO ein übermäßiger Sport- und Ernährungsfreak. Oder gar noch an Magersucht oder einer nicht psychischen Krankheit oder Unverträglichkeit litt. Oder eben Veganer, beziehungsweise Vegetarier war. Dabei wollte ich dich einfach nur nicht unhöflich sein!...Ich war in der Bredouille. Geneigt zu lügen, unterließ ich dies dann aber doch wieder. Selbst wenn ich ihn nicht mehr wiedersehen würde, dass entsprach nicht meinen Prinzipien. Man konnte keine Ehrlichkeit erwarten, wenn man dies selbst nicht vertrat. "Nein, ich bin kein Vegetarier. Auch wenn ich nicht übermäßig Fleisch esse." Kurz hielt ich inne. Der Geldschein kam mir zurück in die Erinnerung, dass er wohl für mich beim Essen bezahlte. Dachte er etwa, mein Gehalt sei derart niedrig, dass ich an der Existenzgrenze lebte? Oder schlimmer noch: arbeitslos war?! Mir wurde heiß und kalt zugleich. Mein Image war mir schon wichtig. Gepflegtheit, gutes Auftreten, das war mir wichtig. Ich wollte nicht reich aussehen, um Gottes Willen, aber eben auch nicht wie ein Arbeitsamt-Stammkunde. Aber wann hatten wir uns eigentlich das "Du" angeboten?! Naja, wir waren ja jetzt irgendwie miteinander verabredet. Vielleicht war es ja ganz gut, wenn wir nicht so steif und fremd miteinander kommunizieren würden. "Die Reste kann man ja einpacken. Ich für meinen Teil esse die Sachen dann immer vom Vortag kalt oder aufgewärmt." Nein, das klang irgendwie wieder ärmlich. Vielleicht war er ja so jemand, der das nicht tat. Hilfe, warum nur wollte ich seinen Vorstellungen - die ich ja gar nicht kannte - entsprechen? Schnell löschte ich mit wenigen Klicks alles hinter dem Wort "einpacken" und reichte das Smartphone zurück. Gott fühlte ich mich unwohl. Und irgendwie künstlich, verstellt. Wann war ich dazu übergegangen?...

Mit großer Neugier betrachtete ich seine flinken Finger wie sie über das Display huschten und tippten. Was tippten sie nur? War er Veganer? Ich wusste nicht was ich mit einem Vegetarier machen sollte. Was aßen die? Waren sie eine andere Spezies? Würde er mich dann hassen, wenn ich ein Steak vor ihm zerteilte und mir genüsslich in den Mund steckte? Hoffentlich nicht, das wäre mein Grauen gewesen. Meine Anspannung wuchs proportional zu meiner Zeit an, mit der ich auf mein Handy wartete. Etwas zögerlich nahm ich das Gerät zurück und ließ mein Augenmerk über den hellen Bildschirm wandern in Erwartung des schrecklichsten aller Szenarien. Doch was ich laß, ließ mich erleichtert aufseufzen. Er war kein Vegetaier. Okay, wenigstens das war gerettet. Ich durfte also noch mein schönes Steak vor seinen noch schöneren Augen zu mir nehmen, ohne von ihm auf dem nächsten Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Ein dankbares Lächeln huschte über meine Züge und ich nickte ihm freundlich gestimmt zu. Ja, er hatte wohl Recht damit, die Reste konnte man einpacken. Warte mal. Hieß das er wollte immernoch keine Pizza? Aw, das war so schade. Aber nagut, was sollte ich machen, zum essen zwingen konnte ich den zierlichen Kerl ja nicht. Ich lächelte verlegen und tippte erneut. „In Ordnung. Ich hatte schon die Befürchtung dir auf den Schlips getreten zu sein, das hätt ich nicht gewollt. Du bist eine sehr reizende Person, sehr anmutig und zurückhaltend, das ist sehr angenehm.“ tippte ich ehrlich hinein und musterte mein Gegenüber leicht. Ich konnte meinen Blick kaum von dem Jungen lassen. Er war so ästhetisch anzusehen und seine Art war fast wie die einer schüchternen Frau, auch wenn es ein Mann war. Ich hatte noch nie eine Person getroffen, sie so eine Sanftheit aber auch Schüchternheit ausstrahlte. So gerne wollte ich seine Hand halten, aber wie konnte ich begründen, dass ich kein komischer Irrer war, der die Hand eines bildhübschen jungen Mannes halten wollte??! Ich tippte nochmals. „Du solltest unbedingt mit deiner Freundin mal hierher kommen.. das Angebot an feinen Gängemenüs lässt sich echt sehen.“ tippte ich ein und schob das Teil Chika wieder rüber.

Immer während er tippte vertrieb ich mir die Zeit ein bisschen indem ich mich umsah. So unbeteiligt ohne Aufgabe dazusitzen war einfach überhaupt nicht meins. In der Kita war immer Spaß und Leben. Alles wirbelte herum, es war voller Farben und Gerüche. Jeder lachte und war aktiv. Auch ich genoss es aktiv zu sein. Sportliche Betätigung gefiel mir, doch nach der Arbeit war ich dazu meistens viel zu erschöpft. Und eigentlich betätigte ich mich dort ja auch schon mehr als genug. Man musste immer irgendeinem Kind hinter rennen, jemand an oder ausziehen, etwas von A nach B räumen oder sehr oft einfach wegräumen. So war der Mittagsschlaf immer Auszeit. Wir quatschten miteinander, wenn ich involviert war natürlich in Gebärdensprache, was umso kinderfreundlicher war, denn dann wurden sie natürlich auch nicht wach. Wir hatten unterschiedliche Erzieher. Zwar beherrschten alle die Gebärdensprache, doch nicht jeder war taub oder schwerhörig. Und konnten wie ich nicht sprechen. So war es auch mit unseren Kinderchen. Jedoch hatten viele Kinder, die ein ganz normales Hörvermögen hatten, hörgeschädigte Geschwister oder Eltern. Es musste ja schließlich einen Grund geben, warum die Eltern sich genau diesen besonderen Kindergarten aussuchten. Wir betreuten sogar Kinder, die uneingeschränkt hören konnten, aber arge Probleme mit dem Sprechen hatten.
Es war nur natürlich, dass ich mich überwiegend mit taubstummen Kindern viel beschäftigte. Sie waren wie ich und ich war wie sie. Man verstand die Probleme und Ängste des Gegenübers und ich konnte eine Vorbildfunktion ausführen. Aber keines der Kinder hatte Probleme mit irgendeinem Erzieher. Wir hatten relativ kleine Gruppen und es war eine familiäre Atmosphäre. Die Gruppe, welche ich zusammen mit meiner Kollegin betreute, würde nächstes Jahr eingeschult werden. Ich freute mich sehr auf eine neue Gruppe, auch wenn es immer etwas weh tat, die Alten gehen zu sehen. Die ganz Kleinen bei uns, in der Krippe, waren natürlich besonders niedlich. Nichts munterte einen mehr auf, als ein Tag dort zu verbringen...
Fast hätte ich in meinen ganzen Überlegungen vergessen, dass ich ja nicht alleine zuhause meinen Feierabend feierte. Beziehungsweise meinen freien Tag. Ich schreckte ein bisschen auf, als sich beim Umdrehen das Handy direkt vor meiner Nase befand und entschuldigte mich instinktiv mit der Gebärde der Entschuldigung, nahm das Mobiltelefon auf. Und ich wurde sofort rot als ich den Text sah. Der erste Satz war schnell in den Hintergrund gerückt und ich hang an den Adjektiven des zweiten Satzes regelrecht fest, kam nicht mehr davon los. So etwas war ich es nicht wirklich gewohnt. Nein, eigentlich gar nicht. Arbeitete man mit Erwachsenen zusammen, waren Komplimente sicherlich öfter zu hören, so stellte ich mir das zumindest vor, doch ich hatte seit meinem Schulabschluss noch nie etwas anderes gemacht als mit Jüngeren zu arbeiten. Die Kinder bewunderten dich dafür, dass du so schön malen konntest, dass du groß warst und dir alleine die Jacke anziehen konntest. Sie fanden dich so unglaublich lieb und lustig, mochten deine Spiele und wie du sie fütterst, was erzählst, den Streit schlichtest. Unter den Erziehern lobte man sich für ähnliche Dinge. Es gab immer "Problemkinder", neue Spiele waren gerne gesehen oder höchstens ein neues Kleidungsstück oder das leckere Essen welches man mitbrachte wurde bewundert. Eigentlich alle hatten Kinder und Partner, so quatschte man in den freien Minuten natürlich überwiegend darüber. Und meines Erachtens gab es sonst keine nicht-heterosexuellen. Und seit wann sagte man einem Mann, dass er so reizend und anmutig war? Nein, das war etwas was ein Mann einer Frau sagte- Nicht andersherum und schon gar nicht ein Mann zu einem anderen Mann. Es sei denn natürlich...
Den Herzschlag konnte man normalerweise nicht hören oder? Konnte er das? Wie laut schlug das Herz? Und wie laut war laut? Groß war ja nicht immer gleich groß und "groß", das konnte ich wenigstens verstehen. Das konnte man ja auch sehen. Ich wurde etwas nervös und ich wusste genau, dass ich roten Flecke im Gesicht hatte, was mir unendlich peinlich war. *Beruhig dich! Ganz ruhig!*, versuchte ich mich wieder runterzuschrauben und griff nach dem eingegossenen Glas Wasser. Als würde alles in Ordnung sein lächelte ich meinen Gegenüber dabei scheinheilig an, nahm einen Schluck und stellte das Glas zurück auf den Tischplatte. Da stand ja auch noch mehr. Und hoffentlich war das jetzt nicht allzu auffällig gewesen! Dass ich ruhig war, das wusste ich. Auch wenn dies geteilte Reaktionen bei meinen Mitmenschen zu Folge hatte. Für die einen war ich eine Schlaftablette, für die anderen ein Ruhepol. Vielleicht ein weiterer Grund, warum ich in der Krippe so beliebt war. Ich hatte ruhige Hände und eine sanfte Ausstrahlung. Und ich war der festen Überzeugung, dass besonders die Kleinsten unserer Art spüren konnte, was man ausstrahlte.
Den letzten Satz musste ich erst einmal interpretieren. Ernst...oder Überprüfung?...Durfte ich ihm etwas unterstellen? Wie sollte ich antworten?! Neutral? Mit Gefühl? Dass ich wusste, dass er mich testen wollten - wobei ich das nicht mit Sicherheit wusste. Sollte ich stattdessen eine Gegenfrage stellen oder einfach überspringen? Als wäre nicht gewesen? Wie sehr würde es ihm auffallen, wenn ich nur halbherzig antworten würde. Durfte ich das überhaupt? War das dann nicht schon dreist? Aber immerhin griff er mit dieser Frage auch sehr ungehemmt in mein Privatleben ein. Wobei man dann wieder argumentieren konnte, dass es ja auch lediglich nur eine Frage war und die war ich nicht gezwungen zu beantworten...aber meine Moral sagte da was anders! Oh mir war heiß und kalt und weil ich nicht nochmal etwas trinken konnte, fing ich dann schweren Herzens doch an zu tippen. Hoffentlich kam was Gutes dabei heraus!...
"Nein, Nein, Quatsch. Die Frage war ja berechtigt." *So weit, so gut. Die erste Hürde ist geschafft...* Wobei...wenn man das als Hürde bezeichnen konnte, dann war das was jetzt kam wohl die Zugspitze...Unbewusst strich ich mir meine Haare auf der eine Seite hinters Ohr, obwohl ich meine Frisur eigentlich mit Absicht nicht so trug. Es sah besser aus, wenn die Strähnen die Ohrmuscheln bedeckten. So empfand ich das zumindest. "Danke dir, du bist auch sehr nett." Mir fehlte das große Vokabular, was wahrscheinlich der Großteil der Menschen hatte. Zum einen war ich bilingual aufgewachsen, also teilweise, denn als taubes Kind war das nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, es gab schließlich zu jeder Sprache auch eine eigene Gebärdensprache. Und dann kam hinzu, dass ich mit Kindern zu tun hatte. Diese lernten viele Gebärden und überhaupt Wörter noch. Und apropos Gebärden, nett, freundlich, lieb...für die unendlichen Adjektive, die doch so ziemlich das gleiche bedeuteten gab es gar nicht so viele Gebärden. Viele kannte ich natürlich trotzdem, nur durch Bücher, aber teilweise konnte ich sie nur buchstabieren und nicht über Gebärde ausdrücken. Und somit rückten sie in den hinteren Teil meines Gehirns. Diesen konnte ich in einer Situation wie dieser natürlich nicht hervorkramen. Ich hoffte sehr, dass er mir das nicht übel nahm. Er kannte als Hörender sicherlich unendlich viele schöne Worte dafür um einen Menschen zu beschreiben...Wie beeindruckend. Ich war wirklich etwas neidisch.
"Ganze Gängemenüs sind sicherlich nicht ganz billig. Aber für besondere Festlichkeiten sehr schön, das kann ich mir vorstellen. Mit meiner Familie sind wir zu Feiertagen oft in Restaurants unterwegs. Ich selbst gehe lieber ins Café, alleine im Restaurant zu sein und ein Gängemenü zu bestellen, das macht sicherlich einen komischen Eindruck." Ich fühlte mich nicht wirklich wohl mit der Antwort. Ich wollte es anders formulieren, aber ich wusste nicht wie. Ich wollte ihm geschickt sagen, dass ich Single war. Und irgendwo wollte ein Teil von mir dem Mann gar nicht sagen, dass ich Single war. Und das Frauen nicht in Frage kamen. Und überhaupt alles...Ach Gott, es war so kompliziert! Ich musste mich regelrecht dazu zwingen, meinem Gegenüber wieder das Smartphone zu überlassen.

Mir fiel sofort das Zögern meines Gegenübers auf. Man konnte regelrecht dabei zusehen, wie es in seinem hübschen Köpflein anfing zu arbeiten und der Dampf aus seinen Ohren rauskam. Hatte ich vielleicht zu privat gefragt? War es zu dreist gewesen, gleich nach der Freundin zu fragen? Wahrscheinlich schon. Aber sonst sollte ich erfahren, ob ich vielleicht eine Chance hatte bei ihm zu landen? Zunächst musste man eben in Erfahrung bringen, ob das Feld frei war, oder ob man erst noch darum kämpfen musste. Ich fürchtete schon, dass ich ihn vergrault oder erschreckt hatte. Er schien eine Weile regelrecht verdutzt zu sein und lächelte mich nur an. Derweil strich er seine Haare hinter ein Ohr, welches wahrscheinlich auch mein Flüstern nicht wahrnehmen würde, wenn ich wohl hinter ihm stand und ihm Dinge ins Ohr sagte.. Nein. Ich seufzte innerlich, als mir wieder klar wurde, wo meine unsteten Gedanken wieder hin wollten. Dann kam mir die Erleuchtung. Er mochte zwar nichts hören, doch er würde sicher meinen warmen Atem spüren können, oder? Ein leichtes Lächeln huschte bei diesem Gedanken über mein Gesicht. Mir war klar, dass es nicht richtig war sich intimere Szenen mit seinem Gegenüber vorzustellen, wenn man jenen gerade am Tisch beim Abendessen hatte. Dennoch tat ich genau das. Ich musste unweigerlich an ihn denken und fragte mich, ob er wohl leise fiepen würde, wenn ich ihn auf die Schläfe küsste...
Das Handy unterbrach mein Kopfkino. Mein Herz rutschte augenblicklich in meine Hosentasche, als ich auf den leuchtenden Display schaute, der von nun an wohl mein wichtigstes Utensil sein würde, wenn ich mit diesem Menschen bekannt werden wollte. Mein Blick wanderte über die Zeilen und ich verschlang die Buchstaben im Nu. Was ich las ließ mich kurz stocken. Die Nachricht war nicht direkt formuliert, mehr indirekt versteckt. Ich laß sie nochmals. Den ersten Satz.. okay, er war wahrscheinlich überrumpelt gewesen von meinem Kompliment. Ja, ich war selbst überrascht gewesen, dass ich sowas einfach so heraus sagen bzw. schreiben konnte. Aber gut, er schien es mir nicht übel zu nehmen, dass ich ihn gerade hemmungslos angeflirtet hatte. Das war schonmal ein gutes Zeichen. Jeder andere Typ, der von einem Typen angeflirtet wurde, hätte bestimmt schon Leine gezogen. Dann laß ich den zweiten Teil der Nachricht. Die Antwort auf meine so private Frage. Ich musste unwillentlich breiter lächeln, als ich das Wort 'allein' laß. Oh, wie fein hatte er umschrieben, dass er keine Freundin hatte und wahrscheinlich auch keinen Freund, sonst hätte er nicht alleine gesagt. Ich konnte nicht anders als drauf loszutippen und meine Freude ungehemmt in Worte zu fassen. Wenn das noch so weiter ging würde ich vielleicht noch ein super Schriftsteller werden. „Das freut mich zu hören. Also nicht, dass du alleine ins Cafe gehen musst, aber zu wissen, dass ich dann theoretisch mit dir gehen könnte.“ tippte ich eifrig und spürte wie ich dabei rot wurde. Ich ignorierte völlig die Bedienung die kurz drauf herbei gerauscht kam und unser bestelltes Essen auf dem Tisch ausbreitete. Die Dame lächelte und meinte noch etwas wie, wenn was nicht stimmt oder fehlt, solle ich es ihr mitteilen. Sie verschwand wieder. Ich reichte meinem Gegenüber schließlich das Handy wieder rüber und spürte wie mein Herzschlag in die Höhe schoss. Wenn er ja sagte, war das ein guter Anfang für einen Kontaktaufbau. Ich wollte ihn nicht überfordern, aber einfach so gehen lassen wollte ich ihn auch nicht. Vielleicht hatte ich ja eine kleine Chance bei ihm, nun da er Single war und wohl ungern alleine ausging.

Wieder fragte ich mich, ob die Leute uns mittlerweile schon anstarrten. Doch ich konnte eigentlich keine wirklichen Hinweise darauf sehen. vielleicht war ich aber einfach nur viel zu abgelenkt. Mein Fuß wippte leicht nervös auf und ab und als ich das bemerkt hatte hörte ich schnell auf. Nicht dass noch jemand denken würde, ich leide unter ADHS oder dergleichen. Nicht dass ich Betroffene dieser Störung irgendetwas unterstellen wollte oder dergleichen, kaum einer wusste besser als ich wie es war anders zu sein, gehandicapt und von den Menschen um einen herum das ein oder andere mal schief angestarrt. Al erwachsener Mensch sollte man jedoch nun wirklich ganz gut in der Lage sein still zu sitzen für mehr als nur eine kurze Viertelstunde. Apropos, wie lange saßen wir hier eigentlich schon? Nach dem Gefühl meiner inneren Uhr wäre alles zwischen 3 Minuten und 3 Stunden möglich gewesen. Es war schon sehr komisch. Er machte, dass die Zeit irgendwie still zu stehen schien und andrerseits waren die Momente des Wartes auf die Nachricht so unendlich quälend lang. Wann nur hatte ich das letzte mal ein vergleichbares Gefühl wie dieses gehabt?!
Eine Uhr konnte ich ihn dem Lokal leider nicht entdecken. Mein Handy war im Betrieb und ich wollte mich nur ungerne jetzt unaufgefordert über den halben Tisch beugen, bestenfalls noch meine Haare oder das Oberteil im Schein der Kerze anzünden. Nein, nein, so lange konnte ich dann jetzt auch noch warten. Ein Blick aus dem Fenster verriet mir zumindest, dass die Sonne bereits nennenswert tief stand. Der Tag neigte sich dem Abend zu und ich musste unweigerlich an das Sprichwort denken: Du sollst den Tag nicht vor den Abend loben. Nun ja, bei mir war es heute dann wohl eher etwas andersherum. Oder? Würde vielleicht doch noch etwas Negatives bei dem Treffen hier bei rumkommen? Ich war wirklich nicht stolz darauf, mich mit 23 quasi noch ungeküsst zu sein. Ich hatte ja ehrlich gesagt schonmal eine Dating App ausprobiert. Nun ja, hier habe ich die größten Negativ-Klischees kennengelernt, die das Internet zu bieten hatte. Nach nicht einmal einem Monat war die App wieder unten gewesen...Und jetzt saß ich plötzlich hier, mit einem Mann der sogar noch mein Alter zu sein schien und nett zu mir war. Doch was hatte diese Nettigkeit jetzt genau zu bedeuten? Er schien direkter zu sein als ich, doch ich wusste nicht, trotz allem, auf was genau er hinauswollte.
Kinder waren so leicht. Sie sagten direkt heraus was sie wollten und was ihre Absichten waren. Sie dachten nicht so komplex über Handlungen und Worte nach und scherten sich nicht in dem Ausmaß, was andere von ihnen denken und wollen konnte. Mein Gegenüber war aber nun leider nicht eines meines Kita-Kinder sondern ein attraktiver Mann, der vielleicht mehr wollte von meinem Körper, als nur von mir in den Arm genommen werden. Und was war mit mir?!...Was wollte ich? Mir wurde spürbar warm in den Klamotten, obwohl sie regelrecht perfekt an das Wetter angepasst waren und da ich meine Jacke, natürlich, ausgezogen hatte, mir eigentlich gar nicht zu warm sein durfte! Verstohlen sah ich zu Lilou herüber und mir schon vorzeitig einen kleinen "Spoiler" zu holen. In welche Richtung ging seine Antwort? Ich war mir ziemlich sicher, dass er mit der Antwort nicht auf sich warten ließ und doch war ich nur zu neugierig, was er wohl schrieb.
Und das war...natürlich nicht eindeutig. Also naja, irgendwo war ich ja erleichtert. Wobei...ging sie nicht...? Aber wenn doch?...Ich war so zwiegespalten und doch glücklich. Er wollte wieder etwas mit mir unternehmen?! Ich lächelte selig in mich hinein. Doch ich behielt den letzten Satz, meine Antwort darauf und wie Lilou wiederum reagiert hatte, fest in meinem Kopf. "Freundin". Natürlich ging man, wenn man so locker flockig im Alltag auf einen Mann traf, nicht davon aus, dass er schwul war. Dafür war es eben doch eifnach noch zu selten. Ob nun akzeptiert hin oder her. In der Regel, ging man vom regelmäßigen aus. Und das war nun einmal nur eine Sache: Hetero sein. Doch woher kannte er die Gänge Menüs des Restaurants? Dass er vielleicht gerne hier aß war ja an sich nichts außergewöhnliches. Vielleicht er kochfaul und die Speisen hier gingen preislich völlig klar. Wenn sie dann auch noch schmeckten: warum nicht?! Aber ich bezweifelte, dass er sich regelmäßig der Gängemenüs bediente. Dafür war er einfach zu gut gebaut! Und außerdem musste man für so etwas dann doch tiefer in die Tasche greifen. Und überhaupt: alleine hatte so etwas doch NULL Flair! Es sei denn natürlich...der Mann gegenüber von mir kannte mich gar nicht. Ja gut, er hatte mich fälschlicherweise fertig gemacht und Geld von mir verlangt. Aber trotzdem lud man ihn doch nicht gleich zum Essen ein oder?!
Etwas panisch wurde mir bewusst, dass ich vielleicht doch ein bisschen zu sehr durch die rosarote Brille schaute. Wer sagte mir denn nun, ob und was er von mir wollte? War es doch nur ein (gezwungener) Akt der Höflichkeit? Oder noch schlimmer: versuchte er mich simpel gesagt, nur ins Bett zu bekommen? Á la: ich habe dein Essen bezahlt und du musstest das Hemd nicht bezahlen. Ich habe etwas gut bei dir. Ja, er war hübsch, ja er war freundlich, ja er war vielleicht sogar schwul, aber Hilfe, nein, niemals würde ich mit ihm ins Bett gehen! Also...naja...zumindest nicht gleich heute Abend...später vielleicht...?
Ich wurde schlagartig rot, als ich mir meiner Gedanken bewusst war und noch einer zweiten Sache: Seit wie viel Minuten oder um es gänzlich auf die Spitze zu treiben: Stunden?! hielt ich jetzt eigentlich schon wie der Depp vom Dienst, das Mobiltelefon in der Hand?! Fragend, erwartungsvoll schaute mich der Mann an, der Bildschirmschoner hatte sich bereits eingestellt und ich war erstmal wie erstarrt, ehe ich schnell reagierte. Ich entschuldigte mich, wie üblich, mit meiner Gebärde. Zum Nachteil. Denn nicht nur, dass mein Gegenüber sich denken mussten, was es zu bedeuten hatte, dass ich mit meiner einen Hand über den Handrücken der anderen Kreisbewegungen machte, ich spreizte dabei natürlicherweise meine Arme von meinem Körper ab und die gut gemeinte Geste der Bedienung, die Kerze so zu stellen, dass sie nicht mehr zwischen uns stand, wurde mir nun zum Verhängnis. Schnell war der filigrane, goldene Stände umgefallen und das romantische Licht brannte nun nicht mehr zwischen uns beiden, sondern auf der Tischdecke. In Panik sprang ich auf, stieß dabei schmerzhaft gegen den urigen Holztisch und griff die erstbeste Flüssigkeit die ich erreichen konnte, um die kleine Flamme zu löschen.
((Ok, ich habe keine Ahnung wie schnell eine Tischdecke brennt, wenn es unrealistisch ist: Tut mir leid, ich habe Angst vor Feuer, deshalb nutze ich nicht einmal Streichhölzer/Feuerzeuge - kenne mich also nicht besonders aus >-<)

Ich, dumm wie Brot, hat den Text zweimal geschickt.

x3 nanaa, bist ein leckeres Zuckerbrötchen *annag* :3 alles gut!

Ich freute mich ziemlich als das Essen da war. Ich wusste zwar, dass man normalerweise kurz wartete auf seine Tischpartner, aber ich war ein Vielfraß, ein gieriges Monstrum, das sich holen wollte, was es so begehrte – wäre das nur beim Essen so gewesen, wäre ich froh gewesen. Doch das war nicht so. Ich hatte Hunger bekommen. Nicht nur auf meinen großen italienischen Pizzateller der mich herrlich anduftete, sondern auf mein süßes Gegenüber. Er war niedlich, er war schüchtern, er war wahrscheinlich noch Jungfrau, hatte keine Ahnung von küssen, aber er war feminin und freundlich und er brauchte mich in einer Welt, in der er niemals etwas hören konnte. Ein leichtes Lächeln zierte meine Mundwinkel. War ich gerade wieder dabei ein kleines Monster zu werden? Hatte ich grade wieder den Braten gerochen, der so unbedacht und unschuldig gegenüber von mir auf einem Stuhl saß und seine Hände als Zunge gebrauchte. Ach würde ich nur verstehen, was diese seltsame Geste von diesen schlanken Händen bedeuteten. Ob ich wohl ein paar davon lernen konnte? Wir brauchten für eine Kommunikation ein bisschen mehr als ein Handy in der Hand. Schreiben war zwar gut, doch auch nicht alles. Wenn ich ihn besser verstehen wollte, musste ich wohl oder übel diese Gebärdensprache lernen. Ich hatte mir gerade ein Stück Pizza mit Käse in den Mund gesteckt, als ich mit ansah, wie mein Gegenüber wild mit den Armen fuchtelte und den Kerzenständer in der Tischmitte unabsichtlich, aber doch treffsicher umwarf. Einen Moment fragte ich mich, was zum Henker er eigentlich vor gehabt hatte, bis mir wieder einfiel, dass er wahrscheinlich etwas kurzes sagen wollte und automatisch in die Gesten verfiel. Sowohl das heiße flüssige Wachs, als auch die Flamme verteilte sich auf dem Tisch und fraß sich in die filigrane Tischdecke. Ich schrie auf, zog meine Jacke hastig aus und klatschte sie auf den brennenden Tisch, als wollte ich ein riesiges Insekt töten. Dann schrie ich nach der Kellnerin, die hastig herbeigelaufen kam. Ich rettete die beiden Teller mit Essen und schielte noch zu der Kellnerin, die einen Feuerlöscher herbeiholte und rasch die Tischdecke vollsprühte, damit nicht das Holz darunter weiter anfing zu korkeln. Ich sah recht unbegeistert zu dem angekohlten Tisch, dann auf die beiden Essteller, die ich wie ein Butler, je auf einer Handfläche trug. Kurzerhand setzte sich mich an einen anderen Tisch, dieses mal mit einer Eckbank. Ich wählte die Bank als Platz. Legte die Füße hoch, dann fing ich an zu Lachen und schüttelte leicht den Kopf und wischte mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sowas hatte ich noch nicht erlebt. Bei allen Dates, die ich je hatte, war noch nie etwas in Feuer aufgegangen. Ich lächelte und winkte mein Gegenüber her. Ich hoffte inständig, er würde sich durch ein kleines Feuer nicht abschrecken lassen sein Abendessen einzunehmen. Als die Bedienung wieder herkam und versicherte, dass das Feuer aus war, nickte ich erleichtert. Ich beobachtete, wie sie sich vorlehnte und eine neue Kerze aufstellen wollte. Meine Hand griff an ihren Arm, dann schüttelte ich den Kopf und meinte wir hätten genügend Feuerschein für heute gesehen. Sie lachte leise entschuldigend und ging dann wieder. Einen Moment lang schloss ich die Augen, dann blickte ich zu meinem Gegenüber. War er sehr schockiert? Hatte er Angst? Würde er sich wieder beruhigen, oder würde er nun geschwind abhauen? Ich war mir fast sicher, er würde schnellstmöglich nachhause wollen, nach dem Feuerschock. So nahm ich eine Serviette und kritzelte ihm meine Nummer auf das Tuch und den Satz „Sorry, ich war wohl zu heiß.. das Feuer wollte zu mir. Mach dir nichts draus, ist ja nichts passiert.“ dann malte ich noch einen Smiley drauf. Dann schob ich die Serviette über den neuen Tisch und deutete darauf, dass er sie aufmachen sollte und reinschaun, ich hätte was darin geschrieben.