Geschichten Oktober - Dezember 2018 » Die Bilder der Geräusche

„Brauche ich Hilfe, bin ich auf mich alleine gestellt.
Wenn ich mir einen Kaffee bestellen möchte, dann ist das oft gar nicht so einfach.
Mein Lachen klingt ganz komisch und wie ein Hund macht, das weiß ich nicht.
Remple ich jemand an, so kann ich mich nicht richtig entschuldigen.
Laut und leise kann ich nicht unterscheiden.
Mit mir hat nie jemand gesungen.
Genauso wenig wie Klassik und Pop.
Ein Sozialleben wie jeder andere es führt: kann ich nicht.
Meine Ohren haben nie ein Ton vernommen.
Denn ich bin ohne Gehör geboren worden.“

Suuuuuuu, für @Anikin Heavenclaw und mich :3

Steckbriefvorlage

Name
Alter/Geburtstag
Blutgruppe (evtl.)

Beschäftigung

Familie

Vorlieben
Abneigungen

Aussehen

Sonstiges

Name Chikafusa Hiraoka (in den meisten Fällen aber Chika)
Alter/Geburtstag 23/26. Mai
Blutgruppe B positiv

Beschäftigung Kindergärtner

Familie
Chikafusa ist ein Einzelkind und hat ansonsten ein doch sehr unspektakuläres Familienleben gehabt. Seine Eltern sind schon lange verheiratet und sind dort aufgewachsen wo auch er wohnt seit seiner Kindheit. Als er noch mit seinen Eltern wohnte, war dort auch immer der Großvater gewesen, den er immer noch sehr liebt. Mittlerweile ist der - dem Alter bedingt - schwerhörig und auch wenn sein Enkel das nie zugeben würde, fühlt er sich dadurch etwas besser verstanden von seiner Familie, obwohl jeder enge Verwandte von ihm (Erwachsene) die Gebärdensprache beherrscht.

Vorlieben
o Kinder
o Sommer
o gemütliche Abende der Zweisamkeit
o Gemüse, Sushi, Reis und westliches Essen
o Häkeln
o Kuscheln und Streicheln
o Joggen (aber nur bei schönem Wetter)

Abneigungen
x tiefe Gewässer
x Hunde, Katzen, Großtiere, Spinnen und Insekten
x Gewalt in jeglicher Hinsicht
x Veränderungen
x Winter
x Intoleranz und Unhöflichkeit
x Rot

Aussehen (er ist der Linke)



Sonstiges
- Nichtschwimmer
- sehr gutes Zahlenverständnis
- saubere, leicht feminine Handschrift
- immer bemüht höflich und ordentlich zu sein
- hegt einen großen Kinderwunsch, aber er hofft nicht darauf je einen Partner zu haben und alleine wird es ihm verweigert ein Kind zu adoptieren

Name: Lilou de Bretagne
Alter/Geburtstag: 22 Jahre; 16. August
Größe: 1.94m

Beschäftigung:
Leiter einer Poststelle.

Familie:
Lilou hat zwei jüngere Brüder (Louis, Loulou) und eine ältere Schwester (Lucienne). Seine Brüder wohnen noch bei den Eltern zuhause, während seine Schwester ausgezogen ist und einen festen Freund hat – mit dem sie bereits verlobt ist und wohl bald heiraten wird. Lilou hat schon immer einen Beschützerkomplex gegenüber seinen Brüdern gehabt und seit er von zuhause weg ist, fehlt ihm ein bisschen die Wärme der einstigen großen Familie, die sie mal waren.

Vorlieben:
Tiere, ruhige Landschaften, in die Badewanne steigen, Wein und Käse, Bequemlichkeit, Kuschlige Stunden vor einem Kamin oder auf einem Sofa, schöne Stoffe anfassen oder Haut

Abneigungen:
Hektik, frühes Aufstehen, mexikanisches Essen, schwangere Frauen, Staubwolken unter dem Bett, einsam sein

Aussehen:

Sonstiges:
Trägt Snoopy-Unterwäsche und besitzt ein paar Kuscheltiere aus seiner Kindheit; ist Brillenträger (-4,5) und kann bei Dunkelheit nicht Autofahren (Nachtblindheit), kriegt die Krise wenn er seine Brille verlegt, hat immer ein zugeknöpftes Hemd an.

Charakter: ehrlich, neugierig, aufgeschlossen, freundlich, seriös, entgegenkommend

Es war ein Tag wie jeder andere auch. Die Poststelle war zum bersten gefüllt, die Pakete und Briefe wurden hin und hergereicht und ein jeder wartete ungeduldig darauf, dass er an die Reihe kam. Lilou war es mittlerweile gewöhnt und ärgerte sich schon lange nicht mehr daran. Auch wenn er sich oft woanders hindachte, wo es ruhiger zuging und er vielleicht entspannt ein Buch lesen konnte oder zumindest einfach rausschauen durch ein Fenster und das irdische Treiben beobachten. Achja..
Ein wohlbekannter Gong läutete das Ende des Tages ein und die Mitarbeiter rafften ihre sieben Sachen zusammen, um schleunigst nachhause zu kommen zu Frau und Kind oder zumindest Freundin oder Haustier. Nicht so Lilou. Er war alleine in einer 3-Zimmer Wohnung mitten in der Stadt, in nicht allzu weiter Entfernung von einem kleinen grünen Park, wo abends meistens Hundebesitzer ihren Vierbeiner Gassi führten oder Verliebte sich in irgendwelche Büsche hineinsetzten und dort Händen hielten oder sich manchmal auch zu mehr verleiten ließen. Lilou trat heraus durch die automatische Schiebetür und starrte einen Augenblick in den Himmel des späten Nachmittags. Er war stahlgrau mit einem Ticken blau. Er legte seine Tasche um und trat den Heimweg an. Ein Auto brauchte er nicht. Den Weg konnte man super zu Fuß zurücklegen. Unterwegs kam er an einer großen Einkaufsstraße vorbei, die erst jetzt regen Menschenbesuch hatte, und an dutzenden von Buchläden und Cafes. Die großen Glasscheiben boten sehr viel Möglichkeit hineinzuschauen, aber auch hinauszuschauen. War es nun ein spannen oder bespannt werden? Lilou musste schmunzeln, da es ihn doch in gewisser Hinsicht an eine Art Zoo erinnerte, wo er nun die wilden Tier beobachten konnte, die eigentlich ja Menschen waren. Die Lust packte ihn dann doch, dass er sich zumindest auf einen Kaffee in ein solches Cafe setzen wollte. Einfach so. Er hatte ja sonst nichts zu tun, und zuhause wartete auch keiner auf ihn. Er hatte auch kein Haustier. Er wollte es dem armen Tier einfach nicht antun, den halben Tag alleine zu verbringen. An zwei Haustiere hatte er bisher nicht gedacht. Wer weiß, vielleicht kam das ja noch eines Tages.
Die Türklinke des Cafes war vergoldet und auf alt gemacht. Es wirkte ein wenig verspielt und sehr auf Gemütlichkeit ausgelegt – ein bisschen wie ein englischer Tearoom. Viel Platz für Komfort, ein weicher Teppich als Willkommensgestus und unglaublich tolle Kronleuchter. Wow. Dieser Ort war wirklich schick. Man sah dem Laden seinen Tiefgang von außen gar nicht an. Drinnen war der Raum, der wohl mehr in ein Schloss als in ein Cafe gehört hat. Eine freundliche Bedienung in schwarz-weißer Uniform grüßte ihn höflich und bot ihm sogleich einen warmen Platz hinter der Fensterbank an. Der kleine Tisch besaß eine winzige Tischdecke und ein kleines Blümchen, das allerdings aus Plastik war, dennoch erfüllte es seinen Zweck eine Art Willkommensgefühl zu erzeugen. Lilou sackte in den Stuhl und schloss kurz die Augen. Die Atmosphäre war so angenehm so friedlich und es roch herrlich nach Kuchen, Kaffee, Schokolade.. alles was das Herz begehrte. Nachdem er sich einen Kaffee bestellt hatte, blickte er kurz neugierig auf seine Umgebung geworden, um sich herum. Welche Gäste gingen hier wohl ein und aus? Würde er vielleicht das ein oder andere Gesicht von der Poststelle kennen? Bestimmt nicht.
Sein Blick blieb an der kleinen Plastikblume auf seinem Tisch hängen. Nachdenklich musterte er ihre Farbgebung. Lilou schob seine Brille zurecht und spürte an einem leichten Luftzug wie jemand an seinem Tisch vorbeiging. Er dachte schon, es sei die Bedienung mit seinem Kaffee und drehte sich freudig auf seinem Stuhl um. In jenem Moment trat ein unbekannter junger Mann neben die Bedienung, die noch lauthals zur Vorsicht mahnte, und brachte sie zu Fall, da er gegen sie im Laufen stieß. Es folgte ein lautes Geschepper und ein heller Aufschrei der Bedienung, die sich keinen Moment später auf dem Boden wiederfand. Der Kaffee flog durch die Luft mitsamt Tasse. Lilou sprang reflexartig auf und versuchte die Situation schnell zu begreifen. Die braune Flüssigkeit war ihm auf dem Schoß und Hemd gelandet.
Seine Gesichtszüge entgleisten etwas, als er das Maleur sah. "Was?! Ist das dein Ernst?!" rief er kurz von Schock getroffen und sah den rothaarigen leicht finster und entsetzt an. "Du kannst doch nicht einfach so Leute anrempeln! Hast du nicht gesehen, wo die Frau mit dem Tablett gestanden hat?! Schöne Scheiße hast du da angestellt!" Er war aufgestanden und schimpfte auf den Jungen, der warum auch immer einfach nicht reagierte.

Gähnend lehnte ich mich nach hinten an die gepolsterte, dunkelgrüne Lehne. Sie war aus Kunstleder und mit harmonisch zusammenspielenden Ziernähten versehen sie nicht so übertrieben waren. Heute war wieder einmal ein besonders anstrengender, wenn auch schöner, Tag gewesen. Kindergeburtstage bedeuteten schließlich immer viel Freude, aber eben auch so einiges an Arbeit. Und da es heute geregnet hatte, mussten wir die Kinder indoor beschäftigen. Und an so einem besonderen Tag gaben sie sich natürlich nicht mit stillen Spielen zufrieden. Zumal wir sowieso kreativ sein mussten. "Normale" Kinder zu beschäftigen, die alle Sinne hatten, die fühlen, tasten, schmecken, riechen, sehen und hören konnten, das war ja schon eine Herausforderung. Aber ich arbeitete nun einmal in einem besonderen Kindergarten und war auch in gewisser Weise stolz darauf. Schon früh wollte ich etwas soziales im Beruf machen. Vielleicht weil ich selbst in einer herzlichen Familie aufgewachsen war, vielleicht weil ich selbst durch mein Handicap immer auf Hilfe angewiesen war, aber vielleicht war es auch einfach nur meine Art gewesen. Ich war gerne unter Menschen, von frühester Kindheit auf. Ich hatte auch immer viele Freunde haben wollen. Mit der Zeit lernte ich aber natürlich, Qualität der Quantität vorzuziehen, ich musste es ja auch, denn nicht jedes Kind hatte meine "Andersartigkeit" akzeptiert. Aber das hatte sich bis heute nicht geändert. Der Großteil der Erwachsenenwelt benahm sich natürlich höflich und unauffällig, aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht mehr komisch angestarrt werde und in seltensten Fällen: niemand sich über mich lustig macht. Aber darüber lernte man mit der Zeit hinwegzukommen und der Großteil war hilfsbereit und tolerant. Und Butter bei die Fische: Ändern, konnte ich weder an meiner Lage etwas, noch an den Mitmenschen. Und ich wollte mich nicht vor der Gesellschaft verstecken...
Und so hatte ich mich auch heute mal wieder für etwas neues entschieden. Natürlich, es war nicht mein erster Cafébesuch, aber hierbei handelte es sich um ein relativ neues Lokal und der Blick durch die großzügigen Fensterscheiben hatte mich einfach magisch angezogen. Wir waren im Spätsommer und es war ein windiger, fast schon herbstlicher Tag. Da kam ein Stück Kuchen in Verbindung mit Kaffee und einmal gemütlichen Sitzplatz ganz recht! Und so genoss ich meinen Besuch auch. Ich hatte mir absichtlich einen Platz am Fenster ausgesucht, da konnte ich schön hinaussehen und natürlich auch ein bisschen die Leute beobachten. Wem machte das denn nicht Spaß? Natürlich hatte ich auch mein Handy und oftmals auch ein Buch mit bei - ich war eine große Leseratte - doch am Handy hing ich meiner Meinung nach eh schon zu viel. Man konnte es mir ja nicht wirklich verübeln, Texte zu schreiben war für mich der einfachste Weg der Kommunikation, außer natürlich die altmodische Weise mit Zettel und Stift, denn nur die aller wenigsten beherrschten nun einmal die Gebärdensprache und ich sah es ihnen nicht nach. Warum auch? In dem Sinne war es eine Sprache wie jede andere auch, mit Vokabeln, Satzbau und ihrer eigenen Grammatik. Und welchen Sinn gab es diese Sprache zu "sprechen" wenn man sie nicht wirklich anwenden konnte?
Leicht sehnsüchtig beobachtete ich das Treiben da draus, neben den ganzen geschäftigen Menschen entdeckte ich eine ältere Dame mit ihren beiden Enkeln - zumindest vermutete ich dies - die aus dem Supermarkt kamen. Ohne Aufforderungen zerrten sie ihrer Oma die Einkaufsbeutel aus den Händen, aber nicht etwa eigennützig um die Schokolade auszukramen oder ähnliches, nein, sie schienen sie nur tragen zu wollen. Und so trug am Ende jeder eine Tüte. Das war natürlich keine besondere Szenerie, aber wie sagte man so schön? Es waren die Freuden des Alltags. Des weiteren beobachtete ich noch ein Pärchen um die 30, die Hand in Hand und in ein Gespräch vertieft die Straße entlangschlenderten und ich seufzte innerlich etwas auf, lächelte jedoch. Ich hatte die Hoffnung noch längst nicht aufgegeben, auch wenn es nicht einfach war. Gerade wollte ich einen weiteren Schluck aus der Kaffeetasse nehmen, da bemerkte ich, dass mein Portmonee fehlte. Um Gottes Willen hatte ich es etwa am Tresen vergessen? Hektisch tastete ich erst einmal natürlich meine Taschen ab, doch nicht. Ich schluckte und sprang dann schnell auf. Nicht, dass ich den Angestellten generell misstraute, aber es gab schließlich überall schwarze Schafe und immerhin befand sich in meiner Geldbörse nicht nur - logisch - Geld, sondern auch der ganze andere wichtige Kram wie Karten, Ausweis und nicht zu vergessen: mein Führerschein. Ohne diesen kam ich schlecht nach Hause. Schnellen Schrittes auf dem Weg zur Kasse, übersah ich den Großteil meiner Umwelt, ich hatte nur die Sorge des verlorenen Portmonees vor Augen und malte mir schon das schlimmste aus, als ich gegen etwas stieß. Nein, jemanden. Die Kellnerin. Ein Kaffeebecher flog durch die Luft und schon befand sich die Frau auf dem Boden. Und ich im Mittelpunkt des Geschehens. Alle Augen waren auf mich gerichtet und ich konnte gar nicht machen, stand still da wie eine Salzsäule. Der Schock saß noch tief, als meine Augen den aufgebrachten Mann vor mir wahrnahmen. Natürlich, auf Hemd und Hose waren bräunliche Flecken. Und so langsam realisierte ich das auch alles. Gerade noch still gestanden, wirbelte ich jetzt herum. Sofort wickelte ich den Schal von meinem Hals und drückte ihn verzweifelt auf die Flecken des Mannes, als würden sie dadurch verschwinden. Wie ein Irrer einige Laute von mir gebend, denn dazu war ich ja in der Lage, wandte ich mich dann aber der armen Bedienung zu und half ihr auf. Ich wollte auch das Tablett aufsammeln und den zu Boden gefallenen Becher, aber dann konnte ich mich nicht verständigen! Verzweifelt, zeigte ich mit meinen Händen Gesten, deutete an, dass es mir Leid tat, entschuldigte mich, und sie verstand mich nicht einmal. Und die ganzen anderen Gäste in den, zum Glück überschaubaren, Café sahen mich wahrscheinlich auch an, als wäre ich ein Entflohener aus der Irrenanstalt. In solchen Situationen war das Verständnis für Hörgeschädigte erst einmal kaum vorhanden...

Der Typ war verrückt. Er musste einfach verrückt sein. Wie ein seltsames Tier gab er Laute von sich und versuchte das Chaos, das er angerichtet hatte wieder zu richten. Lilou sah mit leichtem Entsetzen und Schock dem verrückten zu, wie er seinen Schal von seinem zierlichen Hals wickelte und ihn auf die Flecken seiner Hose drückte. Einen Moment hatte er das Bedürfnis ihm einfach eine Ohrfeige zu geben für diese Unverschämtheit. Doch etwas seltsames an dem verwirrten Irren war ihm auf eine unerklärliche Weise sympathisch. Lilou beobachtete den rothaarigen weiter und besah sich seine Verzweiflung, wie er der Bedienung aufhalf und wild herumgestikulierte, als habe er keine Stimme zum reden und keine Ohren zum hören. Dieses Bild war mehr als irre, es war schon beängstigend. Weder die Bedienung verstand den Verrückten, noch irgendein anderer tat es. Lilou brauchte einen Moment um sich innerlich soweit zu beruhigen, dass er normal sprechen konnte. Andernfalls hätte er den rothaarigen wohl an den Schultern gepackt und geschüttelt und angeschrien. Nein, das tat man nicht mit fremden, das tat man nur manchmal mit ungezogenen Brüdern. Der hellhaarige wischte sich eine Strähne aus der Stirn und räusperte sich. Er sollte normal mit dem Irren reden, egal ob er nun irre und einer Anstalt entlaufen war oder nicht. Es wäre unhöflich gewesen, und er wäre kein Deut besser gewesen würde er es nicht zumindest auf die zivilisierte Art versuchen. Ja, die Betonung lag auf versuchen. Also trat er näher heran zu dem fuchtelnden und schob seine Brille ein Stück hoch.
„Ich.. möchte Sie ja nicht beunruhigen, aber wie gedenken Sie mir das Hemd zu ersetzen? Es ist nicht so, als könnte ich es einfach in die Waschmaschine legen.“ er seufzte und sah den rothaarigen leicht genervt an. Natürlich das konnte er nicht machen, aus Grund so und so. Also musste was anderes her. Lilou zuckte die Schultern und rang sich zu einem Lächeln durch. „Wie dem auch sei, Sie zahlen jetzt meinen Kaffee und die Sache ist nie passiert, was halten Sie davon?“ Mit verschränkten Armen musterte er den rothaarigen weiter und hoffte inständig, dass jener soviel Verstand in sich trug, dass er zumindest verstand, was er von ihm wollte. Insgeheim fragte sich Lilou, ob jener wirklich ein Entlaufener einer Anstalt war. Welcher Idiot fuchtelte soviel mit den Händen herum und gab dabei seltsame Laute von sich, wenn nicht ein Irrer? Oder.. versuchte er mit seinen Händen zu sprechen? Egal wie man es drehte, dieser Typ schien nicht ganz normal zu sein.

Hilflosigkeit machte sich in mir breit. Pure Hilflosigkeit. Ich war gehörlos. Gehörlos von Geburt an. Nein, schon davor. Meine Ohren hatten nicht einmal im Leben auch nur das geringste Geräusch. Nie konnte ich jemanden lachen hören, kein: Ich liebe dich, du bist mir wichtig, du bist wundervoll. Kein Lob. Ich verstand nicht, was Menschen an Musik so besonders fanden - etwas unsichtbares und für mich in keiner Weise greifbares. Handysüchtig? Oh ja, das war ich. Denn es war mein Weg, meine Verbindung zur Außenwelt die es da draußen gab. Wenn ich schrieb, dann war ich wie alle anderen Menschen. Dann war ich völlig normal und ohne Handicap. Gesellte ich mich aber unter Leute, so war ich ein eingeschränkter Freak, behindert. Wobei, ich sah mich so nicht. Meinen festen Platz in der Berufswelt hatte ich gefunden, da waren Menschen wie ich, Menschen die schwer oder gar nicht hören konnte, da fiel ich nicht auf. Und im Gegensatz zu blinden Menschen beispielsweise oder Rollstuhlfahrern, war meine Behinderung von außen nicht sichtbar - außer natürlich ich "sprach". Ich war mit all dem aufgewachsen, gelernt damit zu lernen - da ich es ja nicht anders kannte - und vor allem auch mich zu akzeptieren mit diesem Handicap. Nahezu nie stellte es sich als Problem für mich heraus, aber in Szenen wie dieser hier...
Ja, wahrscheinlich war ich etwas sensibler als die meisten Menschen. Ich war harmoniebedürftig und steckte viel zurück, hatte aber auch viel Lebensfreude. Doch so angestarrt zu werden, als wäre man wirklich...ein Freak...Monster...ein Irrer, es schmerzte zutiefst in meiner Brust. Ich konnte doch nichts dafür! Aber ich würde nicht heulen! Schnell sammelte ich all mein Selbstbewusstsein, kratzte die letzte verbliebende Würde vom Boden auf. Der junge Mann vor mir redete auf mich ein, hatte abwesend die Arme verschränkt. Er war sichtlich sauer und das war verständlich. Es war nicht meine Schuld, dass ich gehörlos war, wohl aber hatte ich Mitschuld daran, die Kellnerin umgerannt zu haben. Worüber er sich aber genauer echauffierte, über die Flecken, den verschütteten Kaffee, darüber, dass ich die Frau umgerissen hatte...oder aber einfach, weil ich nur spärlich, mit spastischen Lauten reagierte. Ich hörte mich selbst ja nicht, war nur in der Lage, instinktive Laute von mir zu geben.
Aber darüber konnte ich mir jetzt keine Gedanken machen. Einige Gäste hatten sich eh schon wieder ihrem eigenen Leben gewidmet und die Kellnerin schüttelte sich kopfschüttelnd um einen sauberen Boden. Ich hingegen musste mich nochmals unbeliebt machen. Flink flüchtete ich vor dem Mann und zurück zu meinem Platz, wo ich in der Tasche wühlte. Das orangefarbene Portmonee herausnehmend lief ich zurück zu ihm, mit unglaublicher Vorsicht diesmal, sah mich auch um. Stumm streckte ich ihm 50 Euro entgegen. Seine Sachen sahen irgendwie teuer für mich aus. Hoffentlich reichte das, um es halbwegs zu ersetzen...Nicht das es noch teurer war. Als verarmt würde ich mich nun nicht bezeichnen, doch ein alleinstehender Kindergärtner war nun auch wirklich nicht reich...50 Euro, das war normalerweise das Geld für mein Essen über ein, zwei Wochen verteilt. Aber das musste meine Haushaltskasse jetzt einmal verkraften! *Verdammt, wenn ich nur mein Handy hätte, um ihm zu signalisieren-!* Verzweifelt deutete ich auf meine Ohren, meine Mund, als der Mann sein Gesicht zum Tresen drehte. "Was ist denn hier los?!" Der Geschäftsinhaber, so vermutete ich kam aus dem Personalbereich. Ich bekam etwas Muffensausen. Die Kellnerin schilderte was passiert war, deutete auf mich. Und ich wiederum hatte meine Hände noch an meinen Ohren. "Ja sehen Sie denn nicht? Der Mann ist schwerhörig oder taub!" Nun deutete auch er auf mich und auf seine eigenen Ohren. Ich schüttelte zutiefst betrübt den Kopf, dachte er fragte mich, ob ich etwa hören konnte.
Weg. Ich wollte einfach nur hier weg.

Lilou beobachtete den rothaarigen eine Weile. Blicke, die musternder kaum hätten sein können. Wie alt war er wohl? Kam er aus der Gegend? Hatte er eine Freundin? Oder ein Haustier? Seltsame Fragen, die durch den Kopf des hellhaarigen wanderten, die er sich selbst nicht rational erklären konnte. Die meisten der Gäste um sie herum wandten ihre Blicke von dem Geschehen ab, als wohl keine Schlägerei oder ähnliches folgte. Ihre schaulustigen Gesichter nahmen schon leicht enttäuschte Züge an. Nein, Lilou würde hier keine Show abziehen, das war es nun wirklich nicht wert. Ein verdammter scheiß Kaffe und verdammte Flecken. Ach ja... was für ein toller Feierabend das doch war. Und dann geschah es. Der Verrückte wollte abhauen?! Lilou fasste nach dem Arm des fliehenden, doch erwischte ihn nicht. Er wollte ihm schon nachsetzen wie ein Hund, den man gereizt hatte, doch dann kam der flüchtende wieder zurück. Mit einer fast schüchternen Geste streckte jener ihm einen nicht kleinen Geldschein entgegen. War das für den Kaffee oder das Hemd? Wohl für das Hemd. Lilou legte skeptisch den Kopf schief und musterte den rothaarigen jungen Mann erneut. Er vermutete, es war für das Hemd. Mit leicht überraschtem Ausdruck nahm der hellhaarige den Schein ebenso wortlos an und blickte einen Moment lang auf die schillernden Zahlen des Papiers. "So? Du entscheidest dich also doch für das Hemd wie ich sehe.. verstehe." sagte er dann in etwas ruhiger und steckte den Schein tatsächlich ein. Es war geschenktes Geld, und auf alle Fälle war damit alles entschuldigt vom Kaffee bis zum Hemd bis zum versauten Feierabend. Lilou nickte daraufhin und schob die Hände nun in die Hosentaschen, statt sie abwehrend vor seiner Brust zu lassen. Er seufzte und schielte kurz zur Seite weg. Eigntlich mochte er so Streitereien gar nicht, vor allem wenn es um sowas dummes wie Kaffee ging. Er blickte den rothaarigen erneut an und lächelte leise schnaubend, während er bereits den Mund öffnete um ihm zu sagen, dass er ihn vorhin nicht so anschreien wollte. Doch dann fuhr ihm ein Mann dazwischen, der wohl der Chef des Ladens war und donnerte vom Thresen wissen zu wollen was los war. Die Kellnerin stotterte so gut sie konnte Bericht davon, was sie gesehen hatte und deutete auf den rothaarigen.
Dann hörte ich was der miesepetrige und etwas strengere Chef dazu zu sagen hatte. Es erstaunte mich zutiefst. Schwerhörig? Taub? War das etwa die Erklärung dafür, dass er so scheinbar ungeschickt und unaufmerksam war? Dass er einfach nicht reagierte auf das angesprochen werden und war das der Grund dafür, warum er herumstöhnte, wenn er mit den Armen fuchtelte?
Ich musterte den jungen Mann erneut und hatte mich schon fast an seine zierliche Gestalt gewöhnt, da blieb mein Augenmerk an seinen Ohren hängen. Waren sie so nutzlos wie sie niedlich und klein waren? Ich sah wie er den Kopf schüttelte und hörte dem Mann im Hintergrund zu, der etwas vor sich hin grummelte. Schließlich trat ich vor, nahm meinen Mut zusammen und ergriff die Handgelenke des Jungen, damit er die Hände wegnehmen sollte von seinen Ohren. Ich sah ihn mit einem festen Blick an. Irgendwas an ihm gefiel mir, ich konnte nicht genau sagen was es war. Ich musste mich wirklich beherrschen meine Gesichtszüge nicht entgleisen zu lassen. Sodann lehnte ich mich ein wenig vor. "Hörst du mich tatsächlich nicht?" brummte ich dicht an sein Ohr, sodass mein Atem schon gegen seine Muschel streifte. Und auf einmal war jene Barriere weg, die ich normalerweise zu einem fremden hatte. Als ich bemerkte, was ich grade eben getan hatte, fing ich an verlegen zu lachen. Oh scheiße. Ich hatte gerade ernsthaft einen fremden angegraben einfach so aus dem blauen heraus. Jetzt war ich der Verrückte. Ich wurde augenblicklich rot und ging einen Schritt zurück. Dann zückte ich mein Handy und schrieb 'Kannst du mich tatsächlich nicht hören? Entschuldige meine Art, aber dein Gesicht ist irgendwie süßer, als mein gezuckerter Kaffee es je hätte sein können - Lilou, wie heißt du? Und wollen wir woanders hingehen, falls du nichts dagegen hast?' Dann streckte ich ihm den Bildschirm entgegen und hoffte er reagierte.

Beim Überreichen des Geldscheins gingen mir zwei Sachen durch den Kopf. Natürlich zum einen eine gewisse Erleichterung, denn er schien nicht weiter zu brüllen, zum anderen aber diese Ungewissheit nicht zu wissen was er sagte. Hatte das Hemd eigentlich weniger gekostet? oder sogar mehr? Verspottete er mich oder bedankte er sich? Was sagt er jetzt dazu? Oh es war doch gemein, so unglaublich gemein, dass manche Menschen damit gesegnet waren hören zu können, sich gegenseitig problemlos verständigten, normal Fernsehen guckten, Musik hörten, laut und leise unterschieden. Geräusche, Stimmen und Lieder...Sie sollten so verschieden sein wie die Welt, die ich durch das Auge sehen konnte. Und das war Wahnsinn. Warum also blieb mir SO ein großartiger, gigantischer Teil der Welt verwehrt? Ja gut, ich konnte besser riechen als der normale Mensch und ich brauchte keine Brille, meine Augen waren super, aber lieber war ich Brillenträger und hatte einen Geruchssinn wie jeder...und dafür ein funktionierendes Gehör. Ich kannte ja nicht einmal meine eigene Stimme oder die meiner Mutter - die man ja schon als Fötus vernahm. Doch was brachte es sich darüber zu echauffieren?!...Der Mann steckte den Geldschein ein und ich sah, wie der Chef des Ladens auch schon von mir abließ. Hatte er es nun verstanden, dass ich taub war? Naja, er sah nicht mehr ganz so erbost aus und wandte sich jetzt auch an seine Angestellten.
Ich selbst hatte einfach nur das Verlangen nach Hause zu gehen. Da es Freitag war, hätte ich morgen und übermorgen frei und so mein Wochenende zu planen...mit 50 Euro weniger im Geldbeutel. Aber gut, ich wusste ja eigentlich, dass ich nicht so unachtsam rennen sollte, weil ich nun einmal nichts hörte. Die zwei Verkehrsunfälle in meiner Kindheit hatten mir da wirklich als Standpauke gereicht. Auf den Ansatz also umkehrend wollte ich zu meiner Tasche und Jacke an der anderen Seite des Cafés, als mich der angerempelte Mann aufhielt. Ich zuckte zusammen. Was denn noch? Viel mehr Bargeld hatte ich nicht dabei und in mir machte sich schon ein bisschen Panik breit, wie ich ihm das erklären sollte. Wenn er das ganze Hemd ersetzt haben wollte müsste er mit meiner Versicherung reden, das konnte ich nun wirklich nicht stemmen! Um Gottes Willen, was war, wenn es so ein Louis Vuitton Designerhemd war?! Kalte Angst brach in mir aus während ich den Mann gegenüber wie zu einer Salzsäure erstarrt mit großen schreckgeweiteten Augen ansah und innerlich anfing zu beten. *Hoffentlich will er sich nur verabschieden oder nochmal meckern oder so. Oh bitte lass es nicht teurer werden!*
Sein Gesicht kam näher und ich zuckte etwas, kniff die Augen zusammen. Warum genau, das wusste ich nicht. Ein Schreien direkt in mein Ohr hatte ich ja nicht zu befürchten, davon bekäme ich nicht viel mit, außer die Luft an meinem Ohr. Und genau das passierte dann. Ein Blick der anderen Leute verriet mir aber, dass es nicht sonderlich laut gewesen sein konnte, denn keine Sau guckte zu uns. Spätestens jetzt war ich mir sicher, dass er mich verspottete. Was er mir wohl ins Ohr geflüstert hatte? Eine Drohung? Eine Beleidigung? Oder irgendeinen Schwachsinn? Wobei, der Chef hatte ja irgendwie angedeutet, dass...Und er hatte meine Hände von den Ohren genommen, das konnte doch kein Zufall sein! Er lachte. *Also doch Verspottung oder Beleidigung...* Ganz fest dachte ich nicht daran, um Tränen zu vermindern. Ich war ein Erwachsener! So etwas bewegte mich nicht. So etwas ließ ich nicht an mich heran! Mit keiner Träne! Könnte ich das Lachen doch wenigstens hören...Zwar konnte ich sie nicht unterscheiden, doch ich wusste, dass es verschiedene Arten des Lachens gab. Welche war das hier? Gehässig?
Mir wieder ein Stück Platz lassend zückte er sein Handy und verwirrte mich damit vollends. Fragend sah ich zu ihm. Er tippte eine ganze Weile und mein Blick schweifte von Augenpartie zu Display - welches ich aber natürlich nicht sehen konnte. *Kann ich nicht einfach...* Ein kurzer Blick zu meiner Sachen und prüfend zur Tür. *Nein, nein, nein, das bringst du nicht. Und so schnell bist du nun auch nicht. Und wenn du aus versehen noch jemanden umrennst oder auf die Straße- Nein, nein, nein, so schlimm kann es schon nicht werden. Ganz ruhig!" Ich fasste meinen nassen Schal enger, der zwei Tropfen gesüßten Kaffees auf den Boden tropfen ließ. Mir wurde das Smartphone entgegen gestreckt und erschrocken drückte ich den Rücken durch, griff nochmals fester zu in den Stoff. Rasch huschten meine Augen über den zu hell eingestellten Bildschirm - der viel zu viel Akku entzog in meinen Augen, ich hatte ihn immer fast ZU dunkel eingestellt, weil ich im öffentlichen Leben ja quasi auf das Teil angewiesen war und mir einen leeren Akku nicht leisten konnte.
Schon beim ersten Satz wich meine Angst ein wenig. Wenigstens hatte er es verstanden...Ich sah auf, sah ihm fest in die Augen, wobei ich diesen etwas strecken musste und schüttelte langsam, entschlossen meinen Kopf, ließ ich dabei nicht aus den Augen. Ich sah ihn an, etwas länger als normal. Vielleicht um dies nachwirken zu lassen, vielleicht, um mir einen Punkt zu suchen an dem ich festhalten konnte, denn obwohl mich das sonst nicht berührte, über mein Handicap zu reden, so war es heute in dieser Situation ein bisschen anders als sonst und ging mir unangenehm nah. Der Text ging weiter und meine Augen folgten links nach rechts den schwarzen Buchstaben. Eine Entschuldigung...ein Kompliment-!?! Sofort stieg mir Röte ins Gesicht und man konnte auf den Punkt genau deutlich in meinem Gesicht lesen, wann ich diesen Teil gelesen hatte. *Lilou...etwas kindlich...*...und es folgte...eine Einladung?! Ich war überfordert. Sichtlich überfordert. Zitterte meine Hand da leicht? Nein, Nein, nur Einbildung...Oder?...Hoffentlich. Jemanden wie mich lud man dich nicht ein? Mir war bewusst - ich war ja nicht blind - dass ich an sich ganz hübsch war. Gepflegt in jeder Hinsicht, ein schönes Gesicht mit guter Figur...Bis auf die fehlende Männlichkeit und entsprechende Größe war ich schon ein wirklich hübscher Mann...aber...welche Frau nahm jemanden wie mich? Aber gut, mich interessierte das ja nicht, ich war- Moment-! War der Mann gegenüber etwa-?! Oder dachte er ich sei eine Frau?! Und-Und überhaupt, mit einem Tauben traf man sich als normaler Mensch nicht im Café! Gott verdammt nein, nein! Er hatte mich gerade angeschrien! Er hatte 50 Euro von mir kassiert! Er-!? In meinem Kopf war wirklich das totale Chaos und mir wurde sogar etwas schwindelig, als ich vollständig errötete. Wie peinlich!
Ich getraute mich gar nicht ihn anzusehen. Jetzt wirklich zitternd nahm ich ihm das Handy ab. Gott, ich musste mich hinsetzen! Warum nur warf mich das jetzt so aus der Bahn? Er war doch nur ein normaler Mensch wie eben jeder andere! Gut er hatte mich fertig gemacht und dann solche Sachen geschrieben - ok, vielleicht war er doch nicht GANZ so normal. Aber wie ging man damit jetzt am besten um? Ich wollte auch nicht noch verrückter wirken als ohnehin schon und auch sicherlich nicht unhöflich sein und ihm das Handy einfach ins Gesicht klatschen...Meinen ganzen Mut zusammennehmend fing ich an zu tippen...Ohne arrogant wirken: ich war grandios im Tippen! Ohne Fehler huschten meine Finger über die Tastatur, ich konnte auch blind schreiben. Alles, weil ich es so viel benutzte. Gut, kurz musste ich mich auf die Tastatur einstellen, die größer als meine war, aber es war trotzdem überraschend schnell - für die meisten jedenfalls. "W-Was wollen Sie von mir?" Kurz sah ich ihn an. ich wollte sichergehen und fügte in einer Doppelklammer hinzu: "Entschuldigen Sie, ich bin ein Mann, falls sie mich verwechseln und äh...Dankeschön!" Alles wirkte so...unwirklich. Die ganze Situation...er...Unsicher gab ich das gerät zurück, wobei sich unsere Hände kurz streiften und mir einen kleinen Schlag gaben.

Er reagierte tatsächlich. Nur leider nicht so, wie ich es mir erhofft hatte. Ich nahm mit neugieriger Begeisterung mein Gerät zurück und fing an zu lesen. Was? Warum fragte er mich noch was ich von ihm wollte? Ich hatte ihm doch erklärt, dass ich mit ihm ausgehen wollte. Dann las ich weiter, und langsam wurde mir klar, was sein Problem war. Ich hatte wohl nicht nachgedacht gehabt. War er eine Hete? Aber er sah gar nicht so aus, als würde er Frauen ansprechen wollen. Die Haare, das Gesicht, das ganze Outfit, die süße Art.. das machte man doch nicht, wenn man Frauen anlocken wollte. Die standen nicht so auf kindliche zierliche Jungstypen. Oder stand er auf die Mannweiber? Ich war verwirrt. Egal wie ich es drehte, es schien ihn wohl zu stören, dass ich ihn als Mann angegraben hatte. Ein wenig enttäuscht starrte ich noch ein wenig auf den Bildschirm und nickte schließlich. Vielleicht mochte er tatsächlich nur Frauen. Nunja, so war das eben manchmal. Man darf eben nicht nach der Äußeren Erscheinung gehen. Ich blickte ihn an, und wollte ihm schon sagen, dass mir egal was ob er ein Mann war und ich ihn dennoch gern ausführen wollte, doch dann fiel mir wieder ein, dass er mich ja nicht hören konnte, wenn ich es tat. Und so tippte ich erneut. „Ja, ich weiß, dass Sie ein Mann sind. Verstehe. Ich wollte Sie nicht bedrängen oder so, sondern Sie lediglich ausführen, da ich interessiert an Ihrer Person bin. Wenn Sie nicht möchten, ist das natürlich auch in Ordnung.“ tippte ich ein, und drückte es dem rothaarigen erneut in die Hand. Ich konnte nicht einfach so aufgeben. Wenn er doch nein sagte, dann war es eben ein nein. Was war ich auch für ein Idiot, der einfach so Leute angrub, die ihm gefielen?! Wieso... ach was sollte es schon. Ich hatte es bereits getan, und es gab kein zurück. Sollte er mich doch hassen oder komisch finden. Es wäre nicht das erste mal gewesen, dass mich ein Mann zurückgewiesen hatte, einfach weil er tatsächlich eine Frau zuhause sitzen hatte. Irgendwie hatte ich da kein gutes Gespür für, wer an was Interesse hatte. Egal. Mit leicht steigender Nervosität wartete ich auf die weitere Antwort meines Gegenübers und beherrschte mich, nicht nervös an meiner unteren Lippe rumzunagen.

Konnte ich da etwa Enttäuschung im Gesicht des Mannes sehen?! Aber natürlich, er hatte wohl eine Frau erwartet. Gut, eine Frau mit nicht vorhandener Oberweite, aber nicht jeder Mann stand ja auch Brüste XXL. Ich ja auch nicht. Gut, ich konnte Brüsten allgemein nicht so viel abgewinnen, aber ich war nicht vollends schwul. Durchaus würde ich auch eine Frau nehmen, mir gefiel beides. Wobei ein Mann da irgendwie...meine Präferenz war. Aber dennoch würde ich mich als Bisexuell bezeichnen, nur nicht öffentlich. Es reichte in allen Maßen auf durch Taubheit aufzufallen, da wollte ich nicht noch jedem ins Gesicht drücken, dass ich sowohl auf Frauen, als auch Männer stand. Aber in der Regel kam das auch gar nicht so weit. Man fragte mich nach meinen Beziehungsstand, ich antwortete, dass ich Single war und fertig war die Sache. Einen Partner? Den hatte ich noch nie gehabt, keine Lüge. Klar, in der Grundschule hatte man mal jemanden und hatte sich auf die Wange geküsst, aber ich stand überhaupt nicht auf One Night Stands und Menschen standen nicht darauf mit Zettel und Stift, beziehungsweise mit Handy zu kommunizieren. Gebärdensprache? Tzz, konnten die wenigstens. Klar, in der Kita wären meine Chancen wohl am größten, aber wir waren eher wie Freunde. Und irgendwelche Selbsthilfegruppen waren mir nun wirklich zu wider. Eine Selbsthilfegruppe, nur weil man nichts hören konnte? Zumal dort hauptsächlich ältere Leute, unglaublich verzweifelte, oder Eltern von tauben, beziehungsweise schwerhörigen Kindern saßen und somit auch vergeben waren. Nein, ich nahm das selbst in die Hand...oder so.
Aber entgegen meiner Erwartungen war die Enttäuschung wohl nicht, weil ich ein Mann war, sondern weil ich ihn so abspeiste. *Wie?!* P-Passierte das gerade hier wirklich? War da dieser Mann, der gar nicht mal schlecht aussah, der auf Männer stand - oder wie ich auch Frauen UND Männer - der mich einlud etwas trinken zu gehen?! *Komm schon, gib dir einen Ruck, diese Gelegenheit kannst du dir nicht entgehen lassen!* Ich schluckte und sah ihn an. Wovor hatte ich Angst? Dass er mich in irgendeine Seitengasse zog, vergewaltigte, entführte?! Gehen konnte ich doch eigentlich immer noch, oder?! Das Handy wieder entgegennehmend, kämpfte ich immer noch mit mir. Er hatte mich ausgelacht, angeschrien und bloßgestellt. Oh...wahrscheinlich war das genau der Punkt, er wollte sich entschuldigen. Wobei, dann sagte man doch nicht, dass man Interesse hatte...?! Gott, ich war hin und hergerissen. Aber letztendlich fing ich doch an zu tippen. "Ich mag Lokale wie diese. Keine Discotheken. Und ich kann nicht zu lange, ich muss noch einkaufen fahren, habe zuhause nichts mehr." *Fragt sich nur von welchem Geld...Das wird ein magerer Einkauf...* Erwartungsvoll gab ich ihm das Handy wieder. War das zu eintönig gewesen?! Er hatte das Telefon schon wieder zurückgenommen, da entriss ich es ihm wieder. "Also wenn sie das meinten, ich wollte nicht so unhöflich sein. Und ich dachte Sie seien..." Ich sah ihn an, nervös. Ich löschte alles hinter dem ´Und´ und gab es ihm zurück, jetzt endgültig.

Mit der Beherrschung kam ich wirklich nicht weit. Nach den ersten paar Sekunden war meine Lippe auch schon blutig gebissen. Der leicht metallische Geschmack ließ mich aufmerken, dass ich gerade die Kontrolle verlor. Ich nahm einen tiefen Atemzug und fokussierte die Finger meine Gegenübers, die so flink wie der Wind über den hellen Bildschirm meines Handys tanzten. Oh, was für schöne Finger er hatte. Sofort hatte ich das Bild im Sinn, wie er wohl reagieren würde, wenn ich einen dieser Finger küssen würde. Nein warte mal. Was dachte ich da eigentlich? War irgendwas in meinem Kaffee dringewesen?! Ich schimpfte innerlich mit mir selbst. Nein sowas aber auch! Dann sah ich wie Zeitlupe, wie der junge Mann mir mit erhobendem Blick das Handy zurückgab. Ich war bereits gierig darauf es zu ergreifen und zu lesen. Ich kam nur bis zu „Ich mag Lokale wie diese. Keine..“ und wumms, hatte er es mir wieder abgenommen! Was tat er denn da? Wollte er noch was schreiben und hatte es einfach nur vergessen? Dann endlich gab er es mir zurück. Doch ich konnte sehen, dass er zuvor getippt hatte und dann schnell alles weggewischt. Nein hoffentlich hatte er nicht die ganze Nachricht gelöscht! Ich wollte .. ich wollte sie doch lesen verdammt! Fast schon gierig griff ich nach dem Gerät und las die letzten Zeilen. Er hatte einen Teil gelöscht, definitiv. Warum nur? Aus den obrigen Sätzen konnte ich entnehmen, dass er wohl dachte ich sei der Partygänger. Ich lächelte und schüttelte leicht den Kopf. Erneut wollte ich aussprechen, was in meinen Gedanken war, doch dann entsann ich mich wieder, dass jener mich ja nicht hören konnte. Also tippte ich erneut leise seufzend und hoffte er blieb noch 2 Minuten da stehen. Apropos stehen! Wir standen eh schon viel zu lange mitten im Lokal herum. Die Bedienungen hatten sich bereits mehrmals um uns herumschleichen müsssen und der ein andere Gast blickte leicht genervt rüber. Ja sicher, zwei Idioten schoben sich gegenseitig das Handy hin und her. War ja sonst auch nichts besonderes dran. Egal. Was machte ich mir Gedanken um die anderen. Die intressanteste Person war immernoch der, der mich nicht hören konnte! „Nein bitte warten Sie. Ich wollte Sie zum essen einladen, nicht zum tanzen. Ich habe den Kühlschrank voll zuhause. Es ist drei Straßen von hier entfernt. Aber ich möchte Sie nicht bedrängen. Um eines möcht ich Sie dennoch bitten. Kann ich Sie wiedersehen? Und hier.. nehmen sie Ihr Geld, ich brauch es nicht, das Hemd ist nicht so wichtig.. ich hab mich vorhin nur erschrocken über den kaffee auf meiner Hose. Entschuldigen Sie, dass ich so grob und laut war.“ Damit gab ich ihm das Handy erneut in die Hand. Und Während er das Gerät halten sollte, steckte ich meine Hand in die Hose und zog den 50er raus, den ich von ihm hatte. Ich hielt es ihm hin und nickte ihm zu.

Wow...tippten Personen immer so langsam?...Oder war der Mann mir gegenüber nur besonders langsam?! Apropos Mann gegenüber...seinen Namen kannte ich ja schon und hatte mir ein Bild davon gemacht, aber meine Namen?! Unhöflicherweise hatte ich diesen ihm noch gar nicht übermittelt! Aber gut, ich war ja auch erst einmal ziemlich vor den Kopf gestoßen gewesen. Erst diese ganze Situation mit dem Kaffee und er Bedienung und dann dem Geld und dem Gebrüll...und Hilfe, schlussendlich dann diese komische Handykonversation, aus heiterem Himmel. Inklusive Interessebekundung und einer nicht ganz eindeutigen Einladung - zumindest für mich nicht. Alles sehr verwirrend und kräftezehrend. Aber nun steckten wir hier nun einmal mittendrin und mussten das beste daraus machen. Und die ersten wagen Schritte in die richtige Richtung waren ja schon gemacht oder nicht? Am liebsten hätte ich ihm in einer Nacht und Nebelaktion gerne nochmal das Handy entrissen, aber ihn ein zweites mal am Lesen, beziehungsweise jetzt ja eher am tippen, zu hindern, hätte ich doch etwas dreist und hektisch gefunden. Schließlich waren wir ja nun auch nicht auf der Flucht! Wobei ich schon...so ein klitzekleines bisschen ungeduldig war! Immerhin, die Bedienung machte das ganze nicht allzu langweilig, ich war immer damit beschäftigt mich woanders zu platzieren. *Puh, wie hektisch!* Das mochte ich gar nicht, das hatte ich in der kleinen Kita schon echt zu genüge. Kindergartenkinder und Krippenkinder wollten schließlich auch bespaßt, gefüttert, sauber gehalten werden. Ich liebte meine kleinen Schätzchen ja wirklich, sie waren mein eigener ´Kinderersatz´ und ich gab alles für sie. Aber wenn ich das bunte Haus am Nachmittag beziehungsweise Abend hinter mich ließ, so wollte ich dann auch endlich meine wohlverdiente Ruhe.
Und siehe da, da war sein Smartphone auch schon wieder meins! Ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen und freudig griff ich das Handy zurück. Besser wir beendeten das hier schnell. So ging das ja nicht weiter. Mein Lächeln wurde etwas schief. *Tanzen...Ahaha...* Einen Tauben in einem Tanzlokal, na das wäre immerhin etwas neues! Aber bestimmt nicht so die Regel...Egal! Ich las weiter. Mit Skepsis betrachtete ich die folgenden Zeilen. Das klang nun wirklich...irgendwie...eh...billig...bedrängend...nun ja, als würde er halt nur DAS EINE wollen...Zu mir oder zu dir halt. Nein, wie bereits erwähnt, so ein Typ Mensch war ich wohl garantiert nicht. Passte auch irgendwie nicht zum Image eines Kindergartens, wobei das natürlich in im Geringsten etwas auszusagen hatte und stille Wasser waren ja bekanntlich tief. Auf wörtlicher Ebene, müsste ich da wohl ein Ozean sein...haha. Spaß beiseite, die Aufforderung war sicherlich lieb gemeint, entsprach aber nicht wirklich meinen Vorstellungen. Aber er schien mich zu verstehen, ehe ich Einwände gemacht hatte und das beruhigte mich sehr. Noch beruhigender, aber auch unglaublich überraschend zugleich, waren aber die letzten Wörter, welche auf dem Display standen. *Hach wenn er doch nur die Gebärdensprache beherrschen würde...* Naja, Wunschdenken. man durfte ja noch träumen.
Ich begann wieder in meinem gewohnten Tempo zu tippen, als mir der 50-Euro Schein entgegen gestreckt wurde. Wow, er meinte es wirklich ernst! Mein Bild wandelte sich etwas und ein kleines, ehrliches Lächeln voller Erleichterung machte sich in meinem Gesicht breit. Die flache Hand an mein Kinn legend machte ich eine Bewegung, ähnlich des Handkusses, welches dem ´Danke´ entsprach. Hoffentlich verstand der Mann mir gegenüber dies...Und hoffentlich sah er es nicht wirklich als Handkuss an! Oh, ich bereute die Geste kurz darauf schon wieder etwas, aber jetzt war es eh zu spät! "Ich verzeihe Ihnen.", tippte ich und fuhr in der nächsten Zeile fort. "Es tut mir wirklich leid, ich war so in Gedanken gewesen, mein Portmonee war weg. Mit allem drum und dran. Nun ja, wie sie sehen habe ich es ja wiedergefunden, ich bin ein Dussel." Entschuldigend lächelte ich ihn an, obwohl er die Nachricht ja noch gar nicht gesehen hatte. "Wenn Sie hier in der Nähe wohnen kennen Sie sich bestimmt besser aus als ich. Können sie ein Lokal empfehlen? Mir reicht eine Kleinigkeit und ich esse eigentlich so ziemlich alles. Ich möchte Ihnen wirklich keine Umstände machen!" Mir war immer noch nicht ganz klar, ob er jetzt wirklich von einem Restaurant redete oder anderweitig ein Lokal meinte, beispielsweise ein anderes Café, für ein Stück Kuchen. Ich würde keine Ansprüche stellen, das war nicht meine Art. Nun haperte ich noch mit dem wiedersehen...Oh...wie brachte ich ihm das bei?! Das war vielleicht endlich meine Chance und ich war so überfordert! Ich wollte keine leeren Versprechen machen und ließ das ganze erst einmal unerwidert. Beim Essen oder was auch immer er plante, würde sich ja mehr herausstellen. Ich drückte ihm sein Handy zurück in die Hand.

Einen Moment lang starrte ich auf meine Füße und meine Hose. Dann kam mir ein Geistesblitz, der mich härter hätte nicht treffen können. Was hab ich ihm da geschrieben? Jemanden zu sich nachhause einzuladen.. oh nein, wie blöd war ich gewesen? Ja, ich hatte es gut gemeint und so und ich wollte ihm was gemütliches bieten, aber um Gotteswillen nein! Nein! Das musste furchtbar pervers in anderen Ohren klingen. Das war doch wie dieser dämlich Spruch, zu mir oder zu dir. Nein, wieso konnt ich nicht einmal nachdenken, bevor ich etwas ins Handy tippte?! Etwas beschämt schielte ich zur Seite und hoffte, der Typ wär mir nicht arg sauer, dass ich ihn gerade echt gefragt hatte, ob er zu mir nachhause wollen würde. Ich war entweder sehr mutig .. oder ich war einfach zu spontan und überlegte nicht, ehe ich was sagte oder schrieb! Ich hätte mir in dem Moment echt in den Hintern beißen können. Jetzt hatte ich ihn garantiert verschreckt und er fand mich abstoßend und aufdringlich. Oh toll gemacht. Ich wollte gerade schon resigniert die Schultern einziehen und das Feld räumen, als er mir einen Luftkuss gab. Ich blinzelte einen Moment irritiert und schaute ihm fragend ins Gesicht. Wie jetzt? Er hatte mich erst abblitzen lassen und jetzt warf er mir einen Luftkuss zu?! Wirklich? Ich spürte mein Herz einen Satz machen und mir den Hals hinaufklettern. Ohgott ich war so aufgeregt und nun spürte ich auch wie meine Wangen und Ohren deutlich wärmer wurden. Nein nein bloß nicht rot werden, nicht jetzt! Ich schluckte hart und schob mir aus Verlegenheit erneut die Brille hoch, die eigntlich perfekt saß. Dann bemerkte ich, dass er mir erneut mein Handy zeigte und ich las was er mir geschrieben hatte. Die letzten Sätze ließen mich kurz nach Luft schnappen und ich hätte mir schier den Mund zugehalten vor Erstaunen und Fassungslosigkeit. Nein. Meinte er das jetzt ernst, oder machte er sich lustig über mich? Oder.. hatte er meine Einladung ihn einzuladen doch ernst genommen? Hatte er mir deswegen einen Luftkuss zugeworfen? Ich schluckte meine Verlegenheit sogut es ging runter und nahm einen tieferen Atemzug um mich zu entspannen. Schließlich nickte ich. Er ließ sich also zumindest auf ein Essen einladen, egal wo das jetzt war. Naja, ein neutraler Ort war sicherlich die klügere Wahl also schlug ich ihm eine Pizzeria in der Nähe vor, wo es guten Wein gab, ich tippte ihm noch die Adresse ins Handy und zeigte dann mit der Hand in eine Richtung in die wir gehen würden, wenn er mitkäme. Insgeheim fragte ich mich, wie jener wohl kommunizierte, wenn er kein Handy dabei hatte? Wie unterhielt man sich, wenn man nichts hörte? Etwas neugierig musterte ich sein Gesicht. Er war blutjung und verdammt hübsch. Ich lächelte leicht und sah dann rasch weg. Nein, zuviel Augenkontakt war wieder so ein Anmachding, das sollte ich besser lassen. Schließlich tippte ich noch ins Handy. „Ich würde mich freuen, wenn ich Sie einladen darf. Wie heißen Sie eigentlich?“

War er etwa...nervös?...Er rückte seine Brille gerade, obwohl sie an Ort und Stelle saß. Von einem ehemaligen Schulfreund von mir wusste ich - der genau das immer während Vorträgen gemacht hatte - dass das bei so einigen Brillenträger ein Anzeichen für Nervosität war. Oder eines schlecht sitzenden Gestells, das konnte natürlich auch möglich sein. ich wollte ihm nichts unwissend unterstellen. Halbwissen und wage Vermutungen waren schließlich immer ein bisschen gefährlich. Allerdings...war da etwa eine leichte Röte in seinem Gesicht zu erkennen?! Genauer hingucken - aber mich dabei nicht bewegend, ich wollte schließlich nicht wie irgendein gruseliges Wesen näher kommen - zog ich fragend eine Augenbraue hoch. Immerhin, er hatte seine Stimme nicht verloren und tippte die zu sagenden Worte ins Handy ein. Doch anstatt einer Nachricht, bekam ich stattdessen eine Adresse präsentiert. Ich sah etwas genauer hin, zoomte das Bild des Lokals heran. *Eine Pizzeria?...Naja, warum eigentlich nicht?!* Als Zustimmung nickte auch ich ihm zu. *Sieht doch ganz nett aus. Und nicht zu nobel. Ob er mich wohl wirklich einlädt? Naja, zur Not werde ich mir wohl auch mal eine Pizza und Getränk leisten können. Kostet ja jetzt auch nicht die Welt.*
Die Hand des anderen Mannes deute aus der Tür heraus nach rechts und verfasste mir anschließend wieder eine Textnachricht. *Hat er das nicht eigentlich schon klar gemacht?!*, dachte ich etwas amüsiert und lächelte in mich hinein. Vielleicht war er ja doch nervöser als ich vielleicht dachte. Und das wiederum ließ mich ehrlich gesagt etwas unentspannt werden. Er hatte doch nichts schräges vor oder?! Bevor ich wieder anfing zu tippen drehte ich mich nochmals im Laden um. Wollte ich vielleicht doch lieber...hier bleiben?!...Ach Quatsch, nein! Was dachte ich denn hier? Kaum zeigte ein männliches Wesen mal Interesse für mich, schon hatte ich die Angst vergewaltigt zu werden in irgendeiner dunklen Gasse?! Mal ehrlich: wie wahrscheinlich war das denn schon? Und außerdem war es ja jetzt noch hell und die Straßen belebt. Das Restaurant war gleich um die Ecke und auch dort würden sich ja wohl Menschen befinden und wenn es nur die Besitzer waren. Wenn er mich - so wie es schon einmal den Anschein gemacht hatte - wieder in sein Zuhause einladen würde, würde ich mich einfach freundlich bedanken und gehen. Schnell. Ach, irgendwas würde mir dann schon einfallen, warum sollte ich jetzt schon irgendwelche Dramen mir ausmalen, wo ich noch nicht einmal aus dem Café hier heraus war?
"Mein Name ist Chikafusa." Stimmt ja, ich war vorhin so perplex und panisch gewesen, dass ich ja ganz vergessen hatte, ihm auch meinen Namen zu nennen...Wie unhöflich. Ich machte drei Absätze unter meinem Text, ehe ich weiterschrieb. "Wären Sie dann eigentlich so weit bereit zu gehen?" Wie so oft in den letzten paar Minuten wechselte das Smartphone seinen Besitzer und ich drehte mich bereits um, kramte meine Sieben Sachen zusammen, packte den Kleinkram in die Tasche, beziehungsweise stopfte es eher ein bisschen ungestüm und hektisch hinein. Angewidert musste ich anschließend den natürlich immer noch nassen Schal über diese legen. *Na toll, wie überaus passend für ein nettes Essen...* Da fiel mir plötzlich ein, dass es Lilou ja viel schlimmer traf! Der Arme hatte ein mit Kaffee beschmiertes Hemd! Mir wurde ganz schlecht. Er würde sicherlich ausrasten, wenn er sich das wieder ins Gedächtnis rufen würde und wir aber schon beisammen saßen. Mit wackligen Beinen kam ich also fertig zurück und da er mein Handy noch hatte, tippte oder las, deutete ich nur auf den Fleck auf dem Stoff, deutete in Gebärdensprache: "Wollen Sie damit wirklich essen gehen?..." Ich fühlte mich abermals schlecht. Würde ich mir einen schönen Abend jetzt endgültig damit versauen, dass ich mal wieder viel zu hektisch unterwegs gewesen war?! Warum...Warum hatte er sich nicht einfach ein Glas Wasser bestellen können?! Das hätte zwar keinen kleineren Fleck gemacht, aber wäre in 20 Minuten oder so - je nach Stoff natürlich - rückstandslos weggegangen. Ich hatte ja natürlich keine Wechselwäsche bei - wie die Kleinen bei mir im Kindergarten. Und selbst wenn...ich war klein und zierlich. Und er...naja...männlich gebaut und eine ordentliche Größe.