Geschichten April - Juni 2020 » Alter Schmerz erblüht erneut

Riven Dearing





Name: Riven Dearing
Alter: 26
Größe: 1,73
Haarfarbe: kastanienbraun mit leichtem Rotstich
Augenfarbe: braun
Sonstiges: Tunnelohrringe und ein Nasenpiercing

Beruf: gemeinnütziger Dienst
Hobbys: früher Violine spielen zusammen mit seinem besten Freund (hat er hingeschmissen nachdem dieser spurlos verschwunden war), heute schreibt er nur noch Melodien ähnlich wie seine Mutter doch er spielt die Lieder nie, ab und zu zeichnet Riven noch während er über seine Kopfhörer Musik hört

Vorlieben: Zigaretten, Musik, Alkohol, Männer, Sex, Motorräder, ist immer auf der Suche nach einem Kick
Abneigungen: Frauen, Streichinstrumente, Stille, die Behörden, Langeweile, Normalität langweilt ihn

Geschichte:
Riven war immer ein sehr aufgewecktes Kind gewesen, ein kleiner Wirbelwind, wie seine Mutter ihn früher gerne genannt hat. Extrovertiert und gut darin auf andere zuzugehen. Kein Wunder also, dass er sich mit den Kindern aus der Nachbarschaft schnell angefreunden konnte, sowie im Kindergarten und später in der Schule nie Anschlussschwierigkeiten hatte.
Seine Mutter, eine bekannte Komponistin hat Riven schon früh mit Musik bekannt gemacht und ihn für ihre Violine begeistern können, worauf sie ihn an ihrer alten Musikschule anmeldete, über die der Junge seinen besten Freund kennen lernte. Auch wenn sie acht Jahre trennten störte es ihn nicht. Sein bester Freund war gleichzeitig auch sein Vorbild, das langsam seine Mutter ablöste.
Rivens Schwärmerein hielten aber nicht lange, als sein bester Freund eines Tages spurlos verschwand ohne ihm eine Nachricht zu hinterlassen. Der Verlust riss eine tiefe Narbe in sein Leben, das sich von da an grundlegen verändern sollte.
Anfangs zog sich der Junge zunehmend zurück, wurde stiller, sprach nur noch selten und zog sich von seinen restlichen Freunden zurück. Er fing an verstörende Bilder mit Kohle zu zeichnen, woraufhin seine Mutter ihn zu einem Arzt schickte. Riven war schließlich für ein Jahr in Behandlung und danach schien es ihm auch wieder gut zu gehen, bis sich Schüler an seiner Schule, frühere Mitschüler seines besten Freundes, in aller Öffentlichkeit über ihn lustig machten. Durch eine Kurzschlussreaktion geriet Riven in eine Prügelei, die darin endete, dass er einen der Schüler mit dessen Taschenmesser das Auge ausstoch.
Nach dem Vorfall wurde er für drei Jahre eingewiesen. Mit 18 brach er sämtlichen Kontakt zu seiner Mutter und anderen Menschen in seinem Leben ab und verließ die Stadt. Ohne Abschluss und einem hohen Gefahrenlevel findet Riven weder Arbeit noch eine Bleibe, worauf er über eine Vermittlungstelle für Fälle wie ihn in einem Wohnheim landete, das er sich mit zwei anderen jungen Männern teilen musste. Seine Arbeit besteht aus gemeinnützigen Diensten, die seinen Gefahrenstatus wieder senken sollen. Alle zwei Monate muss er sich bei der Vermittlungsstelle melden und seinen Status überprüfen lassen. Allerdings verschlechtert der sich zunehmend von Jahr zu Jahr.


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Judas Eichen


Name: Judas Eichen
Alter: 28 Jahre
Größe: 1,84 Meter
Beruf: Architekt
Haarfarbe: Blond
Augenfarbe: Hellgrau

Hobbys: Vögel malen, Cello spielen, nachts spazieren gehen, reisen, schwimmen

Geschichte:
Judas wuchs bei seiner Mutter auf, welche zum Glück wohlhabend war. Sein Vater verließ die Mutter kurz nach der Geburt, ihm war der Stress mit einem Kind zu viel.
In jungen Jahren konnte er durchaus als sehr freundlich, zuverlässig und freiheitsliebend beschrieben werden. Er war viel draußen unterwegs, beliebt bei anderen Kindern, ein intelligenter Junge, welcher generell Respekt vor Erwachsenen hatte. Judas hielt sich an Regeln und war stets hilfsbereit.
Als Judas etwa 9 Jahre alt war, zog der neue Partner der Mutter in das gemeinsame Haus ein. Die Familie wirkte lange Zeit nahezu perfekt und idyllisch. Mit 10 Jahren veränderte sich Judas zunehmend. Aus dem zuvor freundlichen und aufgeweckten Jungen wurde ein wahrer Satansbraten, der entweder gegen alles rebellierte oder sich sehr zurück zog. Er war kaum noch Zuhause, blieb auch gerne mal nachts weg, und kommunizierte nicht mehr gerne mit anderen Menschen. Von den Freunden, die er hatte, wurde er meist als sehr grob und wagemutig beschrieben.
Mit seinem besten Freund ging er sehr ambivalent um. Mal sehr nähebedürftig und überaus nett, dann wieder ein Lügner und er beleidigte ihn häufig. Mit 11 Jahren begann Judas Pornos zu schauen und zeigte diese auch seinem besten Freund. Er wechselte die Schule, da ein Mitschüler ihn beschuldigt hatte, dass Judas ihm nachstellte und ihn auf einer Klassenfahrt beim Duschen gewaltsam angefasst hatte. Seit diesem Vorfall sprach Judas nur noch das nötigste.
Mit 12 Jahren war Judas von einem Tag auf den anderen einfach verschwunden. Seine Mutter stritt sich viel mit dem neuen Partner und warf ihn wenig später aus dem Haus. Eine Woche später verkaufte sie das Haus und zog in eine andere Stadt. Es wurde mit niemandem über die Gründe gesprochen.



Seine Freundin

Name: Teresa (Tessa) Ihrmann
Alter: 29 Jahre
Beziehungslänge: 7 Monate|addpics|jjn-f-f505.jpg,jjn-g-3ac8.jpg|/addpics|

Es war ein herbstlicher und leicht bewölkter Tag in der Innenstadt. Nur vereinzelt brachen die Strahlen der Sonne durch die Wolkendecke. Es war windig, der grobe Herbst eben mit seiner rauen Natur.
Dort spazierte ich nun mit meiner Freundin, die ich nun seit etwa einem Jahr hatte. Eine sehr hübsche Frau, welche viel Wert auf ihr Äußeres legte und dies auch einzusetzen wusste. Ihr hohen Schuhe klackerten auf dem Steinboden der modernen Passage. Wir passten gut zusammen. Ich hatte einen langen grauen Mantel an, eine schwarze Hose, schwarze Anzugschuhe. Ich ließ sie einfach bummeln, folgte ihr, beriet sie, schleppte ihre Taschen, verwöhnte sie so sehr sie es eben wollte. Sie übertrieb es auch nicht und war nicht ungebildet, auch wenn sie gerne von vielen Leuten als verwöhnte Göre beschimpft wurde, natürlich nur hinter ihrem Rücken, versteht sich. Ihr so etwas ins Gesicht zu sagen traute sich niemand. Erst recht nicht, nachdem sie mich kennen gelernt hatten.
Wir hielten vor einem Laden mit teurer Markenkleidung, augenscheinlich interessierte sie sich für ein Kleid. Ein kurzes, schwarzes. Meine Hand strich kurz unauffällig über ihren Hintern, ehe ich wieder ihre Taille umfasste. Ich flüsterte etwas in ihr Ohr und sie lächelte bezaubernd. Wir wirkten glücklich und idyllisch, wenn man das so sehen wollte. Straßenmusiker erhellten die Passage mit ihren Klängen.

Ich mochte den Herbst nicht. Für die Arbeit war er eine undankbare Jahreszeit. Zusammen mit ein paar anderen hatten wir im Herbst oft Straßendienst, was so viel hieß wie die gefallenen Blätter Bäume zusammenzukehren, welche in den meisten Fällen aber vom Wind wieder durcheinander gewirbelt wurden. Oder den Müll aufzusammeln, Penner zu verscheuchen, die Wege sauber und ordentlich zu halten. Allgemein gesagt, waren wir dafür verantwortlich das Image einer Stadt zu polieren, die Menschen wie uns nicht mal mit dem Hintern ansah.
Davon abgesehen mochte ich den Herbst. Es hatte etwas beruhigendes zu beobachten wie wunderschön ein Ableben sein konnte.
"Riven! Trödel nicht, sonst fliegt den Haufen wieder weg und wir können von vorne anfangen!", maulte es ein paar Meter neben mir, wo einer meiner Kollegen gerade verärgert versuchte die Blätter daran zu hindern sich selbstständig zu machen.
Auch mein Haufen, den ich bis eben noch zusammengekehrt hatte stob auseinander und ließ ein frustriertes Seufzen über meine Lippen entweichen. Dieser Job war wirklich undankbar.
Ich wollte gerade wieder ansetzen meine Blätter wieder einzusammeln, da beobachtete ich auf der anderen Straßenseite ein Pärchen, das gemütlich über den Gehweg schlenderte und ganz offensichtlich Einkaufsbummel betrieb. An sich wäre das keine Sensation gewesen. Hier kamen ständig Pärchen und allerlei andere Pasanten herum, doch dieses hier war anders. Und das lag nicht an der äußerst auffällig attraktiven Frau.
Meine Augen ruhten auf dem Mann und für ein paar Sekunden schien meine Welt wie eingefroren. Er hatte sich stark verändert, doch er war es, ohne Zweifel.
Meine Finger umklammerten den Besenstiel fester als ich beobachtete wie er seine Partnerin berührte. Die gute Laune, die die beiden austrahlten kotzte mich an.
"Alter, was ist los mit dir?!", keifte Robert nun wirklich sauer und erst jetzt bemerkte ich, dass er sich inzwischen meiner Blätter angenommen hatte und versuchte das tote Laub zu bändigen, das mir um die Füße wehte.
Ich drehte mich um, weg von dem Bild dieses glücklichen Paares und packte meinen Kollegen grob am Kragen.
"Noch ein Wort und ich ramm dir den verfickten Besenstiel in deinen Arsch!", zischte ich ihm zu und musste wohl so zornig aussehen, dass er mir meine Drohung sofort abnahm und sich nickend von mir losriss um sich zu entfernen.
Ich zog die dunkle Skimütze tiefer über meine Haare und schlug den Kragen meiner Jacke hoch, um mein Gesicht ein wenig zu verdecken. Auch den schwarzen Schal zog ich mir höher bis zu meiner Nase, sodass nur meine Augen und meine Nase zum Teil herausschauten. So sollte er mich zumindest nicht erkennen, sollte ihn Roberts Rumgezeter aufmerksam gemacht haben.

Teresa blieb stehen und entspannte sich, während sie wohl überlegte, ob sie mir zumuten sollte, in diesen Laden zu gehen. Sie glaubte noch immer, dass es das furchtbarste sein musste, einen Mann mit zum Bummeln zu nehmen, obwohl es bei mir nicht der Fall war. Ich mochte es, sie glücklich zu machen und dabei zuzusehen, wie sie versuchte, sich immer wieder für mich schön zu machen. Das ehrte mich und ich wollte ihr dabei gerne eine Unterstützung sein.
Auf einmal kam ein Windstoß auf und wehrte einige Blätter um uns herum. Ich weiß nicht, was es war - vielleicht ein Duft - der mich erstarren ließ. Tief vergrabene Gefühle kochten hoch, packten meinen Geist und ich hatte das Gefühl, in ein endlos liefes Loch zu fallen. Konnte nicht denken, mich nicht bewegen, mein Atem hielt an. Nur langsam drehte ich den Kopf zu jenem Ort, aus dem der Windstoß gekommen war. Es waren nur ein paar gewöhnliche Straßenreiniger. Nichts ungewöhnliches. Teresa fasste mich am Arm. "Judas, was ist los mit dir?", fragte sie mich und ich schüttelte mich kurz. "Nichts, ich war nur in Gedanken." Sie sah zu den Straßenreinigern. "Sie tun mir so leid", murmelte sie leise. Mir hing noch immer das eisige Gefühl in den Knochen, von dem ich nicht wusste, woher es kam. "Sie versuchen ihre Schuld abzubauen. Sie sollten glücklich sein, diese Chance zu haben. Mir tun ihre Opfer leid."
Wir gingen in den Laden, ich wollte diese Diskussion nicht weiter führen und mich an die schwachen Menschen erinnern, von denen ich selbst mal einer war. Wir kamen wenig später mit einer kleinen Tüte heraus und gingen dann weiter die Passage hinab, zu einem der öffentlichen Bahnstationen.

Ich hatte den Laden keine Sekunde aus den Augen gelassen solange die beiden darin waren. Es dauerte auch nicht lange bis sie wieder herauskamen, doch für mich fühlte sich jede Minute an wie Stunden. Als Ich meine Beine schließlich wieder in Bewegung setzte fühlte es sich an wie Eis, das langsam aufbrach, meine Glieder und Gelenke aber noch fest umschlossen hielt. Jeder Schritt war schmerzhaft und schickte mir ein Alarmsignal nach dem anderen ins Hirn, wo sie sich aber verliefen. Die Warnung kam nicht an.
Auch als mein Kollege mich warnte "Bist du völlig verrückt, man?! Die wissen ganz genau wenn du dich hier wegbewegst und dann kriegst du richtig Ärger!" hörte ich nicht.
Meine Beine bewegten sich wie von selbst, folgten dem Pärchen langsam und mit Abstand, immer im Schutz anderer Passanten, die meine Verfolgung deckten. Hier liefen genug Menschen herum, da fiel es nicht auf, wenn einer sich im Strom mitbewegte. An einer Ecke ließ ich meinen Besen gegen die Wand gelehnt stehen und steckte die Hände in meine Jackentaschen, zog den Kopf noch etwas ein und spürte meinen eigenen heißen Atem vom Schal zurückprallen.
Bei der Bahnstation blieb ich mit einer kleinen Gruppe im Raucherbereich stehen, kramte meine Schachtel Zigaretten aus der Jackentasche und zündete mir eine an. Meine Finger zitterten, doch das konnte für Außenstehende auch so aussehen als läge es an der Kälte. Sie konnten nicht ahnen das ich innerlich am Kochen war.
Als die Bahn nach ein paar Minuten einfuhr fiel mein Blick wieder zu dem Pärchen. Ich wartete bis sie eingestiegen waren, dann trat ich meine Kippe am Boden aus und schlüpfte noch durch die sich gerade schließenden Türen, bevor die Bahn die Station verließ.

Ich hatte dieses furchbare Gefühl verdrängt, so wie ich so vieles verdrängt hatte. Darin war ich gut geworden, das hatten sie mir beigebracht. Und dennoch, eine unterschwellige Störung in meinem Inneren wollte mich nicht los lassen.
Und so unterhielten wir uns und ich lachte mit Teresa in der Bahn ab und an und wir bemerkten den Verfolger nicht. Es dauerte nur eine halbe Stunde und wir waren ein wenig außerhalb der Innenstadt in einem hübschen Stadtviertel. Dort stiegen wir schließlich aus. "Ich bestelle uns heute was zu essen. Worauf hast du Lust?", fragte ich sie und kannte doch die Antwort. "Indisch natürlich!" Wir würden einen entpannten Abend verbringen, vielleicht einen Film schauen, vielleicht miteinander schlafen. Ich war im großen und ganzen zufrieden mit meinem spießigen Leben, in welchem ich Stabilität und Sicherheit erlangt hatte. Genug Geld, genug ansehen, oberflächliche Freundschaften. Die alten furchtbaren Geschichten packten mich nur noch selten, und immer seltener. Sie wusste von nichts, niemand wusste irgendetwas und das war auch gut so. Es sollte auch für immer so bleiben, bis ich irgendwann in Frieden an Altersschwäche sterben würde. Ohne Kinder.
In eines der weißen modernen Hochhäuser, welches von vielen Pflanzen an einer Wand bis nach oben hin bewachsen war, verschwanden wir schließlich. Der Aufzug brachte uns bis in die 23. Etage, dort verschwanden wir in meinem Appartment.

Am liebsten hätte ich meine Kopfhörer rausgeholt und mit meiner Musik das Gekicher übertont, doch ich befürchtete, dass ich so vielleicht interessante Gesprächsthemen verpassen könnte. Also ließ ich ihre gute Laune, ihre ach so glückliche Aura über mich ergehen, während ich mir in Gedanken verschiedene Möglichkeiten ausdachte diese dämliche Schönheit an seiner Seite loszuwerden. Sie war ganz klar ein Störfaktor. Der Schatten, der in ein ansonsten perfektes Bild fiel und es ruinierte.
Je länger die Bahn fuhr, desto angespannter wurde ich, doch schließlich steigen die zwei aus und ich folgte ihnen mit ein paar anderen, die ebenfalls die Bahn an der Haltestelle verließen.
Ich machte mir nichts aus meiner Umgebung, meine Augen hefteten noch immer an den Rücken der beiden, folgte ihnen unauffällig bis zu einer Reihe Hochhäuser, die von außen schon den Eindruck erweckten, dass man viel zahlen musste um hier leben zu können. Bevor ich ihnen auch nach drinnen folgte zögerte ich einen Moment, doch meine Beine trugen mich noch bevor ich es mir anders überlegen konnte. Gerade sah ich die beiden in einem Fahrstuhl verschwinden und beobachtete die Anzeige darüber bis zu welcher Etage dieser nach oben fuhr.
23 also... Hübsche Aussicht.
Ich beschloss in der Loby unten zu warten. Zehn Minuten etwa, dann stieg auch ich in einen der Fahrstühle und fuhr in die 23te Etgae hoch. Oben öffneten sich die Türen lautlos und ich trat in den Flur, in dem sich eine Reihe Türen erstreckte. Ich ging von Namensschild zu Namensschild und blieb schließlich bei einem stehen.
~ J. Eichen ~
Ein leichtes Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.
"Hab ich dich gefunden... Judas."

Diese Klette tief in meinem Unterbewusstsein verlolgte mich weiter, selbst als wir in meinem Appartment ankamen. Es war nicht sehr groß, eher minimalistisch eingerichtet und fast vollkommen weiß. Ich wollte mich nicht mit zu viel Ballast befassen, sondern mich auf die Wesentlichen Faktoren in meinem Leben konzentrieren: Selbstverwirklichung, Job, Frau, Freizeit, Gutes tun.
Wir bestellten etwas zu Essen und ließen uns auf dem Sofa nieder. Sie zog ihre hohen Schuhe aus, fuhr sich durch die Haare und entspannte sich, wie ich ebenfalls. Wir diskutierten darüber, welchen Film wir sehen wollten. Und noch immer fühlte ich mich ein wenig unwohl. Ich konnte es nicht erklären und irgendwann begann ich darüber nachzudenken. Der Film lief bereits, projezierte Formen und Farben in den Raum. Aber ich war auf der Suche nach etwas. Immer, wenn ich das Gefühl hatte, es greifen zu können, verschwand es wieder. Im Laufe der Zeit verzog sich mein Gesicht, meine Laune wurde immer übler, durchwachsener...
Etwas später kam der Lieferant aus dem Fahrstuhl und pfiff im Flur ein Lied vor sich hin, suchte nach dem richtigen Namen und blieb dann verwundert vor Riven stehen.

Da der Fahrstuhl keinen Laut von sich gab wenn er ankam und die Türen öffnete bemerkte ich den Neuankömling erst, als das Pfeifen ertönte. Schnell zog ich mir Schal und Mütze tiefer ins Gesicht, hielt meinen Kragen fest, was mich genau genommen nur noch verdächtiger machte, wenn man bedachte, dass es hier drinnen nicht kalt war. Trotzdem wollte ich unbedingt verhindern, dass der Typ mein Gesicht sah. Wenn er Judas kannte und mich beschrieb wars das vielleicht.
Ich entschuldigte mich knapp, schob mich an dem Lieferanten vorbei und verschwand schleunigst im Fahrstuhl und drückte hecktisch auf den Knopf um wieder nach unten zu kommen. Die Lobby verließ ich fast schon fluchtartig und rannte auf die Straße hinaus wo ich mich zum ersten mal wirklich umsah.
Wo zur Hölle war ich hier gelandet?
Mein Blick fiel zurück zur Bahnstation und mein Hirn brannte sich den Namen ein, ebenso wie das Gebäude, die Etage, die Tür mit dem Namensschild daran.
Hier wohnte er jetzt also.
Mir wurde übel und ich hatte auf einmal das Verlangen mich übergeben zu müssen. In meinem Kopf herrschte das reinste Chaos und ich konnte einfach nicht begreifen, wieso. Wieso es soweit gekommen war. Das er mich verlassen hatte und sich hier weit außerhalb ein neues, ja so perfektes Leben geschaffen hatte, löste bei mir einen Würgereiz aus.
Das würde ich ihm nie verzeihen.
Ich blickte nochmal hoch zu dem hohen Gebäude, zählte gedanklich die Etagen durch und blieb bei den Fenstern der 23ten hängen. Ein dunkles Funkeln in den Augen und ein schiefes Lächeln auf den Lippen, bevor ich mich abwandte und auf den Rückweg machte.

Diese schlimme Stimmung verflog irgendwann wieder. Der Abend gestaltete sich doch noch angenehm. Jedoch wurde im Laufe der nächsten Tage in der Nachbarschaft getratscht, dass immer eine dunkle Gestalt an der Bahnhaltestelle und um das Haus herum schlich. Davon hatte ich zum Glück noch nichts mitbekommen. Die Leute machten sich Sorgen, ich fand das ganze lediglich lustig und interessant, machte mir wenig Gedanken darum. Nur oft, wenn ich aus der Haustür rauskam und der Wind mich fasste, bekam ich eine Gänsehaut und fühlte mich erneut unwohl. Ich schlief schlecht, und sogar Teresa bekam meine schlechte Laune hin und wieder mit.
Ich entschloss mich nach zwei Wochen, den Spieß umzudrehen. Zumindest wollte ich den Spinner vertreiben. Ich holte meinen alten Schlagstock aus dem Zimmer, der noch aus meiner Jugend stammte. Mein Gott, wie jung war ich damals gewesen, als ich das Ding irgendwo gefunden hatte, gemeinsam mit... Ich verdrängte es, aber dort standen unsere Initialien eingeritzt.
Es war spät Abends. Hinter dem kleinen Haus, in dem die Abfälle des Viertels gelagert wurden, versteckte ich mich und hielt Wache. Ich war nervös, aber vielleicht würde auch einfach gar nichts passieren und die Nachbarn erzählten nur Quatsch.

Für mein Ausbleiben von der Arbeit bekam ich natürlich die Quittung, doch das brachte mich nicht davon ab, jeden Morgen zu dem Haus zu fahren und zu beobachten, wann er es verließ, jeden Abend stand ich dort und beobachtete wie er nach Hause kam. Nach zwei Wochen war ich der Meinung sein Muster soweit durchschaut zu haben, dass ich in der Zwischenzeit, wo er arbeitete wieder meiner Arbeit nachgehen konnte, um den Schuldenberg etwas abzubauen.
Ganz zur Freude meiner Kollegen beeilte ich mich sogar, damit ich rechtzeitig gehen und mit der Bahn ins äußere Stadtviertel fahren konnte um zu warten, wann er nach Hause kommen würde.
Heute tat sich allerdings nichts. Es wurde immer später, doch jede Bahn ein einfuhr spuckte mir nur fremde Gesichter aus. Er war nie darunter.
Langsam wurde ich ungeduldig und fing an auf meinen Fingernägeln zu kauen. Hatte ich etwa einen Fehler gemacht? Vielleicht war er nach der Arbeit aber auch direkt zu ihr gegangen.
Sofort wurde mein Gesichter wieder finster, sodass ein paar Fußgänger, die mich genauer ansahen einen leichten Bogen um mich machten.
Als sich nach einer Stunde immer noch nichts tat und die Sonne langsam hinter den Häusern unter ging, trat ich wütend gegen die Mülltonnen an der kleinen Gasse, neben dem Haus, in dem er wohnte. Mein Blick ging wieder nach oben, doch die Lichter in der 23ten waren fast alle dunkel. Ich wusste wo seine Tür war und konnte mir so in etwa ausrechnen welche Fenster zu seiner Wohnung gehörten. Er war nicht da.
"Verfluchte Scheiße!", zischte ich zu mir selbst und ballte die Hände zu Fäusten.
Er war bestimmt bei ihr, anders konnte es doch nicht sein. Aber ich hatte keine Ahnung wo sie wohnte. Wieder kaute ich nachdenklich an meinen Fingernägeln und bemerkte in meiner Aufregung gar nicht, dass ih nicht der einzige hier war.

Ich bemerkte nach einer Weile, dass eine Gestalt bei der Bahnhaltestelle wartete, jedoch in keine Bahn einstieg. Irgendwann stand diese auf, trat gegen eine der Mülltonnen und fluchte vor sich hin. Das musste er sein, ich war mir sicher. Wieso sonst schlich er hier herum, wartete. Aber worauf? Was war sein Ziel und was regte ihn so sehr auf, obwohl doch nichts geschehen war.
Ich beschloss, ihn zu konfrontieren. Normalerweise war ich keineswegs ein ängstlicher Mensch. Ich war selbstbewusst und mutig. Und doch, etwas in mir wollte mich zurück halten. Es war keine Angst vor Gewalt, es war die Angst vor etwas viel schlimmeren. Doch ich hörte nicht darauf.
Ich kam hinter dem kleinen Haus hervor und schritt direkt auf ihn zu. In der Hand deutlich sichtbar der Schlagstock. "Die Leute haben Angst vor dir! Verpiss dich und komm nie wieder, oder du wirst es bitter bereuen!", schrie ich ihm entgegen. Es war noch viel Abstand zwischen uns, er hatte die Möglichkeit jetzt zu rennen, ehe ich ihn erwischte. Ich ging nicht schnell, sondern ließ ihm Zeit, das Weite zu suchen. Doch als uns nicht mehr viel trennte, blieb ich stehen. Mein Herz raste. Der Wind trug seinen Duft in meine Nase. Ich fasste den Schlagstock stärker. Auf einmal fühlte ich wieder anders, das Gefühl der letzten Wochen packte mich stärker als zuvor.

Mein Kopf fuhr herum, suchte die Quelle der Stimme, die ich so gut kannte und erstarrte im selben Moment.
Er war hier, genau vor mir und schrie mich an. Für den Schlagstock hatte ich keine Augen, stattdessen starrte ich ihm nun direkt ins Gesicht, blickte in seine Augen und fühlte mich auf einmal wieder wie der kleine Junge, der seinem größten Idol gegenüberstand.
Ausgerechnet heute war ein wärmerer Herbsttag weswegen ich meinen Schal und meine Mütze Zuhause gelassen hatte, lediglich, die Kapuze meines Pullis und der Kragen meiner Jacke bot meinem Gesicht etwas Schutz.
Ich überlegte wegzurennen. Er war nicht auf mich losgestürmt und hielt Abstand, drohte mir nur. Ich könnte einfach kehrt machen und verschwinden. Meine Beine waren schnell, vermutlich würde er mich nicht einholen können, doch gerade waren sie so schwer wie Blei und rührten sich keinen Milimeter vom Fleck.
Der Wind wehte zwischen uns hindurch, bließ meine Kapuze ein Stück hoch und wirbelte meine Haare darunter ein wenig durcheinander.
Nein, zum Weglaufen war es längst zu spät. Er wusste, wer ich war, dass konnte ich förmlich spüren.

Ich stand da, und sah der Gestalt ins Gesicht. Sie wurde nur von wenigen Lampen um uns herum beleuchtet. Ich starrte ihr uns Gesicht und es dauerte lange, bis ich mir eingestehen konnte, wer sie war. Ich wünschte , ich hätte mich für immer dagegen gewehrt, es einzusehen und ihn zu erkennen. Meine Hand umgriff den Schlagstock so stark, dass die Knochen weiß unter der Haut hindurch schimmerten. Doch dann fiel dieser auf einmal einfach zu Boden. Alles kam wieder auf und packte mich wie eine schwarze furchteinflößende Welle. Bilder von Wolken, Melodien der Steichinstrumente, sein Stimmklang als Kind, der Duft von ihm und Wald, der sich irgendwann mit unseren ersten Deos vermischt hatte. Bilder von unseren Verstecken, Bilder von Pornos, Bilder von meine Haus, meiner Mutter, ihrem Mann.
Angriff oder Flucht. Ich konnte meiner Vergangenheit, wie sie nun vor mir stand, den Kopf zertrümmert. Stattdessen ging ein Ruck durch meinen Körper und ich begann zu rennen. Wusste nicht wohin, in welche Richtung. Er würde mich einholen, alles von damals würde mich einholen. Er war schon immer der bessere Läufer gewesen und mit seinen rotbraunem Haar wie ein Hirsch im Walde. Und er würde mich mit seinem Geweih aufspießen.