RE: Die Diebesgilde - 4

Gegen Abend machte Narim sich wieder auf den Weg. Seiner Schwester hatte er erzählt, dass er sich mit Freunden treffen würde, aber gegen Mitternacht wieder zuhause ankommen sollte. Falls nicht, wäre er höchstwahrscheinlich der Diebesgilde über den Weg gelaufen. Dennoch bat er sie um Stillschweigen. Seiner Schwester konnte er vertrauen.
Ruhig betrat er die Taverne und wurde überrascht von ein paar Gästen begrüßt, die nicht damit gerechnet hatten, ihn hier anzutreffen. Auch, wenn die Taverne hübsch und angesehen war, war es seltsam, dass ein Handelsfürst sie betrat.
Narim nickte ihnen zu, während er Ausschau nach Connor hielt und sich schließlich an einem Tisch etwas abseits niederließ.

Die beiden hatten bereits eine Weile gewartet, als ihr Kontaktmann die Taverne betrat. Diese bestand aus einem einzigen und dazu noch recht kleinen Raum im ersten Stock, nur zugänglich über eine kleine Treppe. Viele Gäste gab es nicht, dafür war sie ausgekleidet mit luxuriösen Polstermöbeln, Teppichen, Bannern und tiefen Tischen, auf denen Wasserpfeifen auf ihre Benutzung warteten. Alles in allem wirkte dieser Ort exklusiv, auch wenn man sich natürlich nicht besonders gut in der Menge tarnen konnte, wenn es keine Menge gab. Doch auch Privatsphäre war gewährleistet, denn Durch Raumteiler konnten immer noch Abtrennungen vorgenommen werden. Das passierte vor allem dann, wenn sich doch mal zwei Handelsfürsten hier trafen, die sich nicht leiden konnten.

Zeira und Connor wechselten diskret den Tisch und setzten sich zu Narim. Er auf der rechten, sie auf der linken Seite des jungen Adligen.
"Schön, dich wiederzusehen", grinste Connor, was ihm ein entnervtes Stöhnen von seiner Gildenmeisterin einbrachte. Diese wandte sich sofort Narim zu.
"Es ist schön, Euch kennenzulernen, Meister Anzenz", begann sie, "vor allem da Ihr solch unverhoffte Möglichkeiten versprecht. Mein Name ist Zeira. Ich bin die Meisterin der Diebesgilde und hier, um mir Eure Vorschläge und Eure Pläne anzuhören."

Narim nickte Connor kurz zu, doch wollte ihn nicht grüßen, wenn er schon wieder so respektlos war und ihn einfach duzte. "Es freut mich Euch kennen zu lernen Meisterin Zeira", erwiderte er ruhig. "Zunächst einmal brauche ich genauere Informationen zu Eurer Beziehung mit dem Eisenrad. Wie kommt man darauf, dass die Diebesgilde mit dem Raub zusammen hängt." Selbst, wenn die Diebesgilde an der Sache beteiligt war, würde er ihr dennoch gerne aus dem Schlamassel helfen, solange er damit seinen Onkel loswerden konnte.

Zeira nickte.
"Ich bin sicher, Ihr seid mit der Adligen aus Taneth, Magnifika Falohra, vertraut. Eine der einflussreichsten Familie der Stadt. Die Grabstätte dieser Familie liegt seit Jahrhunderten hier, auf Hews Fluch. Und vor vier Jahren beschloss unser damaliger Gildenmeister Nicolas, dass es an der Zeit sei, dem Grab seine uralten Geheimnisse zu entlocken. Doch... es ging alles schief. Die Mitglieder, die dort hinein gingen, kamen nicht mehr alle heraus und der Schatz - Magnifika Falohras Mitgift - blieb für uns unerreichbar. Die Fallen des Grabs waren zu ausgeklügelt. Ihr seht also, die Mitgift ist immer noch an dem für sie vorgesehenen Ort. Man gibt der GIlde die Schuld für einen Raubzug, der so nie stattgefunden hat."

"Der Vorsatz war demnach dennoch da, auch wenn Ihr selbst nicht an der Planung beteiligt ward, Meisterin Zeira." Selbst diese Informationen waren Gold wert und das Zeira ihm diese Informationen so bereitwillig geliefert hatte, zeigte ihm, dass die Gilde bereit war eine Partnerschaft mit ihm einzugehen.
"Dennoch würde ich Euch dabei helfen können, die Schuld auf einen weiteren Adeligen zu schieben." Damit die Adligen aus Taneth Verdacht schöpfen konnten, musste ein weiterer Adeliger sie darauf ansprechen, oder dezente Hinweise verteilen. Auf den einfachen Pöbel würden sie nicht hören.

"Oh, natürlich war der Vorsatz da", lächelte sie. "Ich war sogar maßgeblich an der Planung beteiligt. Durch den Einbruch in die Gruft haben wir in ein Wespennest gestochen und nun führt sich das Eisenrad im Auftrag von Taneth so auf, als würde Abahs Landung ihm gehören. Die Handelsfürsten halten die Füße still, weil sie sich mit der Macht Taneths nicht messen können. Inzwischen hat diese kleine Söldnerarmee die No Shira-Zitadelle im Süden besetzt und leitet ihre Operationen von dort aus. Es ist für uns nicht eben eine einfache Zeit."

Kurz fragte Narim sich, ob es sich lohnte mit jemanden zusammen zu arbeiten, der offen zugab, dass die eigene Planung nicht gründlich und gut genug durchdacht gewesen war. Diesen Gedanken behielt er allerdings für sich. "Greifen sie Eure Gilde an, Meisterin Zeira?", wollte der Handelsfürst stattdessen wissen. Es stimmte tatsächlich. Seitdem die Söldnerarmee hier ihr Unwesen trieb, wurde alles viel genauer überprüft, was zwar bedeutete, dass man sich nicht mehr um die Diebesgilde sorgen musste, allerdings gingen wesentlich bedeutendere Einnahmequellen ebenfalls verloren.

Einmal abgesehen davon, dass das Eisenrad sich aufführte wie Schweine und unschuldige Bürger tyrannisierte und belästigte. Sie plünderten und nahmen sich, was sie wolltne. Die Diebesgilde waren wirklich nicht die einzigen Leidtragenden.
"Nun, unser Versteck haben sie selbstverständlich noch nicht gefunden", sagte sie lächelnd. "Doch einige unserer Verbündeten in der Stadt sind bereits zu ihrem Ziel geworden. Großteile der Gilde sind nach dem Mitgift-Beutezug geflohen, auch wenn einige zurückgekehrt sind, als ich sie rufen ließ. Connor hier ist erst nach dem Beutezug dazugekommen und er hat seitdem viel für uns geleistet."
"Ja. So bin ich."

Connor interessierte Narim in diesem Moment allerdings weniger. Er würde den Vertrag schließlich mit der Gildenmeisterin aushandeln, und nicht mit irgendeinem dahergelaufenen Gossenjungen. Nur kurz lächelte er, bevor er sich wieder der Dame zuwandte.
"Ich selbst möchte die Familie Falohra auf eine andere Fährte locken, und verschiedene Hinweise legen, dass mein Onkel den Überfall geplant hat", rückte er nun mit der Sprache heraus. Sie alleine würden es nicht schaffen, doch mit einem Handelsfürsten auf ihrer Seite, der für seine Ehre bekannt war, würde sich ein Verdacht leicht erzeugen lassen.

Die beiden Diebe staunten nicht schlecht. Diese Enthüllung war alles andere als vorhersehbar gewesen. Nun, klar. Die Differenzen in Narims Hause hatten für Gerüchte gesorgt, doch dass es so weit ging?
"Und Ihr seid Euch da sicher? Was, wenn die Rache der Magnifika auch Eure Familie trifft?", wollte Zeira wissen. "Das Eisenrad ist nicht besonders wählerisch."
"Würden die etwa den Palast eines Handelsfürsten stürmen?"; wollte Connor wissen, was Zeira nur mit einem Nicken beantwortete.
"Für Taneth sind die hier ansässigen Fürsten nichts als kleinere Hindernisse. Korrupt, handeln mit Piraten und Schmugglern." Mit Blick auf Narim fügte sie hinzu: "Das gilt natürlich nicht für alle! Und doch... Sie sind den Tanethern ein Dorn im Auge."
"Tja, wenn wir die Sache deinem Onkel anlasten wollen, wäre es da nicht - ich weiß nicht - sinnig, wenn ein Teil der Mitgift auf im Besitz deines Onkels wäre?"

Connor dachte ihm zu schnell. Narim war klar, dass durchaus noch ein paar Probleme mit seinem Plan einher gingen. Er fürchtete sich ebenfalls davor, dass die Magnifika sich nicht bloß an seinem Onkel rächen wollten, sondern an seiner gesamten Familie. Das wiederum wäre das Risiko nicht wert gewesen. "Daher möchte ich Euch um Euren Rat bitten, Meisterin Zeira", erklärte er also. Unter keinen Umständen konnte er es zulassen, dass sie erkannte, dass er in Wahrheit ihre Hilfe brauchte.
Narim selbst fühlte sich durch die Bemerkung der Gildenmeisterin nicht angegriffen... bloß ertappt, schließlich saß er gerade gemeinsam mit ihr zu Tisch und plante einen Komplott gegen seine eigene Familie.

"Euren Onkel dem Eisenrad preiszugeben, würde unmittelbar Euch und alle aus Eurer Familie in Gefahr bringen", stellte die Gildenmeisterin klar. "Das Eisenrad müssen wir auf andere Weise überlisten. Nun, wenn das alles ist, was Ihr anzubieten habt... Connor, vielleicht solltest du unseren neuen Freund zurück begleiten. Die Straßen sind dieser Tage nicht sicher."
"Aber natürlich, Chefin!"

Fast schon empört blickte Narim die Gildenmeisterin an. Noch nie hatte es jemand aus dem Pöbel gewagt ihn auf so eine Art und Weise zu bevormunden. Nur sein Onkel zog schlimmere Saiten auf. "Wie sieht es mit meinen Schwestern aus, die so oder so bald verheiratet werden. Hätten sie Konsequenzen zu fürchten?", fragte er stattdessen. Ein düsterer Gedanke kam ihm. Wenn nötig, würde er selbst sich verkaufen, um seine Schwestern zu retten.
Und auf gar keinen Fall würde er sich von Connor nach Hause begleiten lassen, als wäre er ein kleiner, dummer Junge.

"Das kann ich nicht beurteilen", sagte Zeira kopfschüttelnd. "Doch wenn sie aus dem Haus sind, wird sich Taneths Zorn wohl nicht auf sie erstrecken. Dennoch solltet Ihr Euch überlegen, was Ihr da tut. Ihr werdet das Haus Eurer Vorväter dem Ruin preisgeben. Sicherlich gibt es günstigere Methoden, Euren Onkel zu demütigen? Denkt Ihr nicht?"
"Es gab Zeiten, da hatte die Diebesgilde sogar einige der Handelsfürsten in der Tasche", erklärte Connor. "gibt es verfängliche Informationen, die wir gegen ihn verwenden könnten? Stellt euch vor, er wäre die Marionette der Gilde."

Alles in allem schien es so, als müsste Narim sich etwas anderes überlegen. Nur weil er selbst nicht mit seinem Onkel zurecht kam, konnte er sein Haus nicht ruinieren, das würde er nicht übers Herz bringen. "Vielen Dank für Eure Zeit, Meisterin Zeira." Narim kam sich vor, wie ein dummer, hitzköpfiger Junge. Er würde dafür sorgen müssen, dass sein Gespräch mit der Gildenmeisterin kein Aufsehen erregen würde, um wenigstens schlimmere Folgen vermeiden zu können.
Auf Connors Vorschlag ging er nicht ein, er wollte nicht, dass sein Onkel ein Werkzeug der Diebesgilde würde, denn auch das würde sein Haus in ein schlechtes Licht rücken.