RE: Die Diebesgilde - 5

"Solltet Ihr noch einen Vorschlag an uns haben, so wisst Ihr ja, wie Ihr uns kontaktiert", sagte Zeira knapp, wenn auch freundlich, und erhob sich. Connor tat es ihr gleich. Jedoch folgte er nicht ihr hinaus, sondern wartete auf Narim.
"Mir war nicht klar, dass es selbst in solch hohen Familien zu Zwistigkeiten kommt", erklärte er, als sie hinausgingen. "Was hat Euer Onkel getan, um Euren Zorn auf sich zu ziehen?" Er war neugierig, denn Narim interessierte ihn. Es war der übliche Flirt, aber da war noch mehr. Jedenfalls fühlte es sich nach etwas anderem an. Interessiert musterte er den schönen Adligen, dem er zu gern in dessen luxuriöses Schlafzimmer gefolgt wäre. Rein geschäftlich natürlich.
Conner allerdings schlug nicht den Weg über die Hauptstraße ein, sondern erklomm eine Treppe, die augenscheinlich nicht zum Palast von Narims Familie zu führen schien.
"Wir könnten einen kleinen Umweg einschlagen und uns weiter unterhalten", schlug er vor. "Das heißt... wenn Ihr Euch traut, einmal was Unvernünftiges zu machen."

Narim fühlte sich wie ein kleiner dummer Junge, der in der harten Welt der Diebe nichts verloren hatte. Natürlich, er kannte sich mit Politik aus und wusste, wie man mit dem Adel umging, doch niemals hatte er jemanden hinrichten lassen, oder einen Mord begannen. Es fühlte sich so an, als hätte die Meisterin eben das bemerkt. Auch er nickte knapp und erhob sich schließlich.
Auf Connor Frage lächelte er bloß leicht. Die Geschäfte seiner Familie gingen den jungen Mann nichts an. "Also gibt es auch in deiner Familie Probleme?", schloss er stattdessen aus der Formulierung des Anderen und schlenderte gemeinsam mit ihm zurück. Als er merkte, dass Connor einen Umweg gehen wollte, zögerte er. Im Grunde konnte er es sich nicht leisten, dem Dieb zu vertrauen, einmal schon hatte er ihn bestohlen...
"Und warum sollte ich es mich trauen?", fragte er leise.

"Keine Ahnung", schmunzelte Connor auf die Frage des Adligen hin, ob es in seiner Familie auch Probleme gäbe. "Da ich nicht weiß, wo sie sind oder was sie machen, ist sie mir herzlich egal." Darüber sprach er nur selten und ungern. Selbst seine Gildenkollegen kannten nicht seine ganze Geschichte. Doch diese dunklen Erinnerungen überspielte er mit seinem unwiderstehlichen Lächeln. Die Vergangenheit war schließlich... nun, vergangen.
Ruhig musterte er den zögernden hübschen Kerl, der wohl zu glauben schien, er würde ihn in einer dunklen Gasse vergewaltigen und abstechen.
"Nun, es wäre mal eine Abwechslung", verteidigte er sich schmunzelnd und verschränkte die Arme. "Aber... ich verstehe, wenn Ihr dem bösen Dieb nicht traut." Er deutete in die Richtung der Hauptstraße, die hell erleuchtet war.

Also war der Andere ein Waisenkind, wie so viele andere auch. Fast hätte Narim etwas wie Mitleid empfunden, verbot es sich aber wieder. Er würde mit dem Dieb kaum noch etwas zu tun haben, also lohnte es sich nicht.
"Schließlich hast du mir auch allen Grund dazu gegeben, dir nicht zu trauen", erwiderte Narim ein wenig störrig. Sein Stolz war zugegebenermaßen wirklich verletzt, denn es war seine Aufgabe gewesen, die Ware sicher zurück nach Hause zu bringen. Zwar hatte er sich selbst immer wieder erzählt, dass er wenigstens auf seine Schwester aufgepasst hatte, aber der Verlust lag ihm schwer im Magen.
Abwechslung hatte er für heute auch genug gehabt; der Dieb schien wohl vergessen zu haben, dass Narim sich nicht einfach so mit dem gemeinen Volk traf.
Ruhig trat er wieder auf die beleuchtete Hauptstraße und war sich sicher, dass Connor ihm folgen würde.

"Nun, da hast du wohl recht", gab Connor zu und folgte ihm kopfschüttelnd. Er war ein wenig enttäuscht, dass Narim sich so misstrauisch gab. Kein Sinn für Abenteuer, der Bursche. Mit ihm war wohl nicht besonders viel anzufangen. Eine Weile ging er neben dem Adligen einher und betrachtete die still gewordenen Straßen, auf denen die Wachen ihnen misstrauische Blicke zuwarfen im Schein der Laternen. Immer wieder glitt sein Blick zu Narim herüber.
"Also, erzählt mal", wollte er wissen. "Was sind nun Eure weiteren Pläne?"

Still schritten sie neben einander her, Narim vertieft in seine Gedanken. Normalerweise wäre er vorsichtiger gewesen, doch irgendwie hatte Conner es geschafft, ihn einzulullen. Er war nachlässig geworden, wie beim letzten Mal, als Connor ihn beklaut hatte. "Ich weiß es nicht", gestand er müde. Er wusste wirklich nicht mehr weiter. Die Situation schien aussichtslos, besonders, da sein Onkel im Moment die Grafschaft verwaltete und sein Vormund war. "Aber eine Lösung wird sich schon finden lassen..."

"Tja, wenn du nur drauf wartest, passiert nicht viel", erklärte Connor schulterzuckend. Mann, der wirkte wirklich verzweifelt. Nun, so war das wohl in der adligen Welt. Immerzu sich gegen Intrigen zur Wehr setzen zu müssen oder welche aushecken. Dabei schien Narim ganz in Ordnung - für einen Handelsfürsten. Er begleitete ihn noch in die Nähe von dessen Anwesen, ehe er stehen blieb.
"Kommt Ihr von hier an allein zurecht?", wollte er wissen, "Oder soll ich Euch begleiten?"

Vermutlich hatte Connor recht, aber gerade fühlte Narim sich nicht in der Lage, etwas zu unternehmen. Wieder schritt er still neben Connor her und musste zugeben, dass er dankbar war für die Begleitung des Anderen. Alleine hätten sich seine Gedanken sicherlich nicht beruhigen können.
"Danke, ab hier komme ich alleine zurecht", meinte er dennoch. Er konnte nicht zulassen, dass er mit jemandem wie Connor gesehen wurde.
Trotzdem lächelte er ihm zu, als er sich respektvoller, als er es gesollt hätte von ihm verabschiedete.

Nun brauchte er nicht mehr lange, bis er wieder in seinem Zimmer war. Es war erleuchtet und kurz wunderte der Sohn des Fürsts sich, bis er Akila bemerkte, die sich langsam in seinem Bett aufrichtete. "Guten Abend, Herr", begrüßte sie ihn. Narim hatte nie auf Frauen gestanden, und dennoch war Akila sein Liebling. Auch heute hatte sie ihm wieder Tee gebracht, doch schien er schon kalt zu sein. "Akila", grüßte er sie ruhig und goss ihr und auch sich eine Tasse ein, während sie sich in ein dünnes Tuch wickelte und an ihn heran trat. "Trinkt das nicht." Ihre Stimme klang brüchig und Narim drehte sich überrascht zu ihr um. "Bitte." Erst jetzt erkannte er ihre geröteten Augen.
Verwirrt blickte er sie an. Akila war bislang immer gehorsam gewesen, warum sollte sie ihn nun um etwas bitten, was ihr nicht zustand? Doch kannte er sie zu gut, als dass er sie schelten würde. "Akila, hast du geweint?" Sanft umgriff er ihr Kinn und musterte sie. Die junge Frau sah ganz anders aus als sonst.
Und dann, ganz plötzlich, fing sie wirklich an zu weinen.

Es dauerte eine Weile, bis Akila ihm alles erzählte, doch innerhalb weniger Minuten hatten sie beiden beschlossen, dass Narim fliehen musste. Jetzt. Ohne lange zu überlegen, es musste so aussehen, als wäre er nicht einmal mehr hier gewesen. Er hatte gewusst, dass er seinem Onkel nicht trauen würde. Doch hatte er nicht angenommen, dass sein Onkel ihn von seiner eigenen Dienerin ermorden lassen wollte.

Vollkommen übermüdet galoppierte er aus dem Tor hinaus. Hoffentlich würde seine Schwester auch ohne ihn überleben. Sie nützte lebend mehr als tot.

Lautes Stöhnen hallte in der Kammer wider. Connor war beliebt bei den Mädchen. Er sah nicht nur gut aus, er war auch ein Süßholzraspler und hatte immer einen angenehmen Spruch auf den Lippen. Und auch wenn er für ihre Dienste bezahlte, war noch nie eine der Frauen unbefriedigt aus dem Zimmer gekommen. Der Bursche besaß wahrlich die Ausdauer eines jungen Stiers und hatte so manches Mal bereits eine ganze Nacht durchgehalten. Er war zwar durchaus der Männlichkeit nicht abgeneigt, aber für Connor stand fest, dass beide Geschlechter durchaus Vertreter kannten die es wert waren, dass er sie näher kennenlernte.
Die heutige Nacht jedoch sollte unterbrochen werden, denn während er gerade mit seinen Lippen den zarten Hals der Dirne liebkoste, öffnete sich die Tür und die Wirtin von Hews Mähne, das durchaus auch andere Dienste anbot, als feinen Wein auszuschenken, stand darin. Sie wirkte nicht im Ansatz geschockt, kannte sie den jungen Mann doch inzwischen und wusste genau, was in diesen Räumlichkeiten so getrieben wurde. Verwirrt, immer noch vollkommen nackt (und in dem Mädchen steckend), wandte er ihr das verschwitzte Gesicht zu. Wenn sie nervte, musste es was Wichtiges sein.
"Ja?"
"Der junge Handelsfürst, den Ihr und die Gildenmeisterin heute gesprochen habt, er... er ist zurück. Scheinbar hält er dies für eine Art Treffpunkt der Gilde." Sie schnaubte belustigt. Dass er damit Recht gehabt hatte, musste ja keiner wissen.
"Aaaah, verdammt...", seufzte Connor, der sich eilig ein Tuch um die Hüfte legte und die rothaarige Schönheit schweren Herzens zurückließ. Er war vollkommen schweißbedeckt, die Haare, die breite Brust. "Wo hast du ihn hingetan?"
"In das kleine Schlafzimmer, da ist gerade niemand", antwortete sie. "Wir brauchten Diskretion."
"Verstehe. Dann ist wohl was passiert. Ich gehe hin."
"Du solltest dich anziehen." Er grinste.
"Das willst du doch nicht wirklich, oder?" Nun lächelte auch die Wirtin und schaute ihm ungeniert hinterher, während der Dieb die Tür öffnete.
"Wir sehen uns schneller wieder als gedacht", sagte er.

Narim hatte nicht gewusst, wohin er fliehen sollte. Er konnte keinen seiner früheren Freunden vertrauen, schließlich konnte es durchaus sein, dass sie mit seinem Onkel unter einer Decke steckten, oder sich zumindest von ihm bedrohen ließen. Als einziger Ausweg hatte sich die Kneipe angeboten, in der er sich mit den beiden Gildenmitgliedern getroffen hatte. Sie würden sich zumindest bestechen lassen. Aber einen wirklichen Plan hatte er noch nicht getroffen.
Die Wirtin brachte ihn in ein Zimmer, in dem er zumindest für eine Nacht Ruhe finden konnte. Er bezweifelte, dass sein Onkel diese Nacht nach ihm suchen würde. Doch spätestens ab morgen musste er auf der Hut sein. Für ein paar Minuten hatte er seine Ruhe und ließ sich langsam auf dem Stuhl nieder, der in dem kargen Zimmer stand. Er wusste nicht, wohin mit sich.

Dann, plötzlich, öffnete sich die Tür. Sofort sprang Narim auf, bereit sich zu verteidigen, doch entspannte er sich wieder, als er erkannte, dass es Connor war. Seine Aufmachung ignorierte er. Er war kein Fürst mehr... genau das begriff er in diesem Moment.
"Connor", grüßte er ihn leise und entspannte sich langsam wieder. Er wusste nicht, was er sagen sollte. "Komm doch rein..."

Der junge Dieb schloss die Tür hinter sich. Er lehnte sich lässig von innen dagegen und balancierte einen Dolch in seiner Hand - nur zur Vorsicht.
"Was ist passiert?", wollte er wissen und musterte im Dunkeln den Adligen, der tatsächlich nur noch verzweifelt war. Mitleid regte sich in ihm. "Ihr seht aus, als hättet Ihr einen harten Abend gehabt. Das liegt aber nicht daran, dass Ihr Euch so nach mir verzehrt habt, oder?" Sein Lächeln war unpassend, er wusste es ja. Langsam trat er an das Bett heran und setzte sich neben Narim. Er noch noch immer nach Schweiß und dem Parfum der Huren hier, doch er konnte es ja nicht ändern. "Also, erzählt schon."

Obwohl Connors dummer Kommentar ihn nervte, war Narim erleichtert, den Anderen zu sehen. Er war nicht alleine, auch, wenn Connor vielleicht bloß hoffte Geld von ihm zu bekommen. Er sagte nichts dazu, adss der Dieb sich einfach auf seinem Bett niederließ sondern blickte den Dieb ruhig an. Doch was wirklich passiert war wollte er nicht aussprechen, zu sehr nahm es ihn mit. "Ich kann nicht mehr nach Hause zurück", flüsterte er bloß. Was genau passiert war konnte er nicht sagen.

Viel war aus dem Jungen ja nicht rauszuholen. Connor blieb schweigend neben ihm sitzen und hörte zu. Doch Narim schien bereits alles gesagt zu haben. Langsam legte Connor ihm die Hand auf die Schulter.
"Die Wirtin hat alles klar gemacht. Heute könnt Ihr hier schlafen und braucht Euch keine Sorgen zu machen. Morgen... Nun, ich spreche mit Zeira und wir werden sehen, wie wir Euch helfen können, einverstanden? Jetzt lasse ich Euch erst einmal allein."

Es überraschte Narim, dass Connor plötzlich still blieb, anstatt einen Kommentar zu reißen, oder anderweitig herumzublödeln. Überrascht blickte er zu ihm auf, als er die Hand auf seiner Schulter spürte, doch sagte er nichts dazu, sondern nickte bloß. Er wollte nicht, dass Connor wieder ging, aber vielleicht war es besser so... "Danke dir", meinte er leise und lächelte zaghaft. "Was würdest du ihr denn sagen wollen?"

Kein bissiger Kommentar, kein herrisches Getue. Connor hätte ihn gefragt, ob er krank sei, doch er hatte so das Gefühl, dass die Zeit für Späße endgültig vorbei war. Jedenfalls für heute Abend. Der fast nackte junge Mann hörte sich die Frage des neben ihm Sitzenden an, bevor er mit den Schultern zuckte und erst dann überlegte.
"Nun, du bist jetzt ein Geschäftspartner. Ein Verbündeter. Ich geb zu, unser erstes Treffen lief nicht so besonders, aber so ist das meistens", grinste er, ohne es böse zu meinen. Es stimmte schon, die hohen Herrschaften, die sich mit ihnen einließen (und seien wir ehrlich, das waren fast alle), sie alle wollten zu Beginn ihr Gesicht wahren und taten so, als seien ihre moralischen Werte unerschütterlich. Bis dann die Aussicht auf Profit die steinernen Säulen der Moral ganz urplötzlich zu Sand verwandelten. Aber das wollte er Narim im Augenblick nicht vorwerfen.
"Ich werde ihr sagen, dass wir uns was einfallen lassen müssen. Obdach können wir dir in jedem Fall bieten. In und um Abahs Landung verfügen wir immer noch über so einige Schlupflöcher, also keine Bange. So schnell passiert dir nichts." Aufmunternd klopfte er dem Prinzlein auf den Rücken.
"Heute Nacht sowieso nicht. Also was sagst du? Ich kann dir ein Mädchen hochschicken lassen. Oder wär dir ein Junge lieber? Die haben hier alles. Wenn du natürlich lieber einen starken Beschützer willst, könnte ich mein Gespräch mit der Gildenmeisterin auch auf Morgen verschieben." Ein Scherz, ein schlechter und anzüglicher noch dazu. Doch geblieben wäre er wohl. Wer konnte so einem hübschen Gesicht auch widerstehen? Dennoch wandte er sich langsam zum gehen. Langsam deshalb, um Narim wenigstens noch die Gelegenheit für einen bösartigen Konter zu geben, würde er doch das großzügige Angebot sicherlich ausschlagen.