RE: In deiner Schuld - 2

Überrascht hob Lijan den Kopf. Er kannte diese Stimme. Der Mann der gekommen war um ihn zu töten, war der junge Mann der ihm am Nachmittag noch Wasser gebracht hatte. Ausgerechnet ihn hatte man geschickt. Er selbst hatte mit Aren gerechnet, der hier das Sagen zu haben schien. Doch jetzt stand dieser Jüngling vor ihm. Einen letzten Wunsch wollte er ihm also nicht gewähren. Nun gut, sein Vater hielt solche Gesten ohnehin ein Zeichen von Schwäche. Lijan legte den Kopf zurück N DEN Baum und schloss die Augen, wartete darauf, das der junge Mann tat, warum er gekommen war.

In der Dunkelheit konnte Quirin nichts erkennen und vermutlich war das auch besser so, denn so konnte auch der Fremde sein Gesicht nicht sehen. Er war kurz davor etwas sehr gefährliches zu tun. "... Du bist eine Gefahr für uns, nicht wahr?", fragte er leise und blickte kurz hinter sich. Er hatte Sorge, dass man ihn beobachtete... womöglich hatte er jemanden aufgeweckt, was bedeutete, dass er schnell handeln musste und gerade jetzt in dieser Situation, in der jedes Scharren der Hühner ihn zusammenzucken ließ, war das keine gute Idee.

"Wahrscheinlich" antwortete Lijan und fragte sich, warum der Sklave Fragen stellte und es nicht einfach hinter sich brachte. "Man vermisst mich sicherlich Zuhause und sucht bereits nach mir. Du solltest meine Leiche also möglichst weit von hier weg schaffen."
Er schien sehr nervös zu sein. Was auch gut war, den es sollte einem niemals leicht fallen, ein Leben zu beenden. Tat es das, war man auf dem besten Weg, so zu werden wie sein Vater. "Nun mach schon... Bring es hinter ich. es wird nicht einfacher werden, wenn du zögerst."

Er konnte nicht fassen, wie ruhig sein Gegenüber blieb, obwohl er wusste, dass Quirin ihn töten würde... oder wusste er, dass Quirin es nicht schaffen würde? Sah man ihm direkt an, wie unfähig er war. "Versprich mir, dass du niemanden sagen wirst, was tatsächlich passiert ist", flüsterte er, während er mit dem Messer begann die Fesseln zu durchtrennen. Er begann einen riesen Fehler, dass wusste er. Doch wenn er dem anderen nicht zur Flucht verhalf, würde jemand anderes ihn ermorden.

Verwirrt über die worte des jungen Mannes beobachtete er, wie der junge Mann die fesseln durchschnitt und ihn befreite. Kaum war er frei, packte er den ehemaligen Sklaven am Handgelenk und nahm ihm das Messer ab. "Ich gebe dir mein Wort."
Er würde erzählen, dass er sich im Wald verlaufen hatte. Es würde ihn vor seinem Vater zwar wieder mal als schwächlicher Versager dastehen lassen, aber das war immer noch besser als das, was ihn und diese Männer und Frauen hier erwartete, sollte sein Vater die Wahrheit erfahren. Ausserdem stand er in der Schuld dieses jungen Mannes, der gerade sein Leben rettete. Bevor der Andere reagieren konnte, schnit er sich selbst eine tiefe Wunde in die Hand und verteilte das Blut am Baum an welchem er eben noch gelehnt hatte. "Wenn man kein Blut findet, wird man dir womöglich nicht glauben" erklärte er sein Handeln. Womöglich würde er seine Tat bald bereuen, da er alles andere als fit war und sich kaum auf den Beinen halten konnte.

Sein Herz klopfte wild gegen seine Brust, als er den letzten Stoff durchtrennte und sein Handgelenk plötzlich gepackt wurde. Der Schrei blieb in seinem Hals stecken, als der Fremde ihm das Messer abnahm. "Nein-", brachte er wimmernd hervor. Würde er sich nun rächen?
Doch stattdessen beobachtete Quirin verwirrt, wie der Andere sich selbst verletzte, um ihn zu schützen. Für Quirin schien all das unwirklich. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte und fürchtete, sich alles bloß einzubilden. "Danke", flüsterte er leise hervor.

"Ich hab zu danken" flüsterte Lijan und sah sich um. "Du solltest jetzt gehen."
Es war still um sie herum. Der Prinz sah in den Himmel, orientierte sich an den Sternen und wusste, wo er lang gehen musste. Er fühlte sich schwach, aber irgendwie würde es schon gehen. Da vernahm er ein rascheln im Gebüsch und entdeckte sein Pferd, dass bei seiner Gefangennahme entkommen aber wohl doch in seiner Nähe geblieben war. Was für ein treues Tier. Lijan nahm die Zügel, blickte noch mal zurück und stieg dann auf. Er hoffte inständig, dass man dem jungen Mann glauben würde, und er keinen Ärger bekam.

Die nächsten Stunden vergingen wie im Traum. Sie waren undurchsichtig und verschwommen. Das einzige, woran Quirin sich erinnerte war, dass er einen schweren Gegenstand gefunden hatte, den er weit weg vom Lager schleifte, um ihn an einem abgelegenen Hand zu verbuddeln. Er hoffte bloß, dass er es schaffen würde, mit der Lüge weiter zu leben. Der Fremde schien ehrlich gewesen zu sein und hatte sogar dafür gesorgt, dass er glaubwürdig erschien. Er wollte ihm vertrauen, doch noch immer plagte ihn die Sorge, dass er sich rächen würde...
Auch die Feier am nächsten Tag schien unwirklich. Er erinnerte sich an die lachenden Menschen, die ihn herzlich umarten, oder auf die Schultern klopften. Aren bestätigte ihm väterlich, dass er das Messer mit Stolz tragen sollte. Denn jetzt sei er einer von ihnen!
Die nächsten Tage waren die besten seines Lebens! Zum ersten Mal fühlte er sich frei und wichtig.

Lijan kehrte ritt auf seinem Heimweg einem Suchtrupp in die arme, der ihn an den Königshof zurück brachte. Sein Vater reagierte auf seine, doch recht glaubwürdige Geschichte, wie er es erwartet hatte; er lachte ihn aus und verspottete ihn.
Die folgenden Tage verliefen wie gewohnt. Bis ihn eines Morgens lauter Tumult im Schlosshof weckte. Er rief seinen Diener, liess sich von ihm ankleiden und über die Geschehnisse aufklären. "Die Soldaten eures Vaters haben wohl in der letzten Nacht ein verstecktes Lager entflohener Sklaven ausgehoben" erklärte er. "Viele wurden wohl an Ort und Stelle getötet, aber einige brachte man lebend her. Sie sollen heute Mittag zur Abschreckung geköpft werden." Die Stimme des Dieners klang zitterig. "Euer Vater wünscht, dass ihr dem Schauspiel beiwohnt."
Natürlich wünschte er, dass Lijan dabei war. Er konnte schon gar nicht mehr zählen, wie viele arme Seelen der König schon töten liess, wegen Nichtigkeiten. Auf das Frühstück verzichtete er. Er würde es ohnehin nicht bei sich behalten können.
Die Zeit bis zum Mittag verbrachte er in der Bibliothek und nahm, als es so weit war, neben seinem Vater auf einem kleinen Podium platz, dass man im Hof errichtet hatte. Der Ort war mit Menschen überfüllt, von denen die Meisten nicht freiwillig hier waren. Wer, ausser seinem Vater wollte schon dabei zusehen, wie jemandem der Kopf abgeschlagen wurde.
Die Gefangenen wurden herangeführt und Lijan blieb die Luft weg, als er denjenigen unter ihnen entdeckte, dem er sein Leben schuldete.

Womöglich würde es Quirin besser gehen, wenn in der Stadt noch immer lautes Tumult geherrscht hätte, vielleicht hätte er es geschafft seine Gedanken im Hier und Jetzt zu behalten, wenn man ihn faule Eier und Tomaten an den Kopf geworfen hätte. Doch diese bedrückende Stille, die ihm auf dem Weg zu seiner Hinrichtung begegnete erinnerte ihn daran, dass er dafür Verantwortlich gewesen war einen Gefangenen umzubringen. Der Einzige, der von ihrem Lager gewusst hatte, und die Möglichkeit gehabt hatte, jemand anderem von ihm zu erzählen.
War er Schuld daran, dass man das Lager gefunden hatte? Seine Gedanken kreisten nur um das eine Thema. Auch, wenn er versuchte sich einzureden, dass es nicht seine Schuld war. Dass auch er nun sterben würde wollte er nicht begreifen. Es war alles viel zu schnell gegangen und dennoch brannten seine Augen.

Der König verkündete das Urtei und so wurde Einem nach dem Anderen gerichtet. Ich bekam es gar nicht wirklich mit. Ich kämpfe mit mir und meiner Angst. Ich musste den Sklaven vor der Axt bewahren, das Gesetz stand auf meiner Seite aber meinem Vater würde das sehr Missfallen um es mal mild auszudrücken.
Viel Zeit um darüber nachzudenken, was er tun sollte, blieb Lijan nicht, den der junge Mann wurde bereits Aufs Schafott geführt und auf die Knie gezwungen. Lijan handelte instinktiv. Auch wenn er nicht alle vor dem Tode bewahren konnte, ihn konne, ihn musste er retten. Er stand auf und rief: „Haltet ein!“
Der Scharfrichter schaute zum Prinzen und setzte das Beil nochmal ab. „Was soll das? Warum unterbrichst du dieVollstreckung meines Urteils?“ fragte mein Vater. Er klang noch sehr gelassen für seine Verhältnisse.

Mittlerweile strömten die Tränen über sein Gesicht. Auch, wenn er noch nicht verstand, dass es sein Ende war, wusste er, dass seine Freunde nun tot waren. Die einzigen, die ihn offen willkommen geheißen hatten. Die einzigen, bei denen er sich nicht verstellt hatte. Und dann war er es plötzlich, der auf dem kalten Boden kniete und die Augen geschlossen hielt. Es würde gleich vorbei sein. Doch dann durchriss ein Ruf die Stille. In Quirin zog sich alles zusammen. Kannte er die Stimme? Langsam blinzelte er und richtete sich auf. Er musste träumen, denn er glaubte, den Gefangenen wieder zu erkennen.

Ich hatte ihm mein Wort gegeben, aber die Umstände hatten sich geändert und so erzählte ich, was im Lager geschehen war.
Mein Vater tobte vor Wut und beschimpfte mich aufs übelste. "Wie kannst du zulassen, dass ein Sklave dein Leben rettet?!" Irgendwann schrie er: "Geh mir aus den Augen bevor ich dir den Kopf abschlagen lasse."
Das war das Stichwort für mich, zu verschwinden. Ich Zog den Sklaven auf die Beine und führte ihn unter Getuschel der Menge vom Schafott, über den Platz ins Schloss, hoch in mein Zimmer.

Quirin fühlte sich fürchterlich. Er spürte, wie sein Magen zu rumoren begann und konzentrierte sich nur noch auf den Boden vor sich. Den Wortwechsel bekam er nur am Rande mit, doch merkte er, dass der Prinz sich für ihn einsetzte. Was war das bloß für ein grausames Spiel? Doch plötzlich begriff er, was das für ihn bedeutete. Sein Leben war noch nicht vorbei. Dem Prinzen sollte seine Ehre doch wichtiger sein, als der Tod eines Sklaven, oder etwa nicht?
Widerstandslos ließ er sich von dem Schafott wegführen und ließ den Kopf hängen, als er hinter dem Prinzen herschlurfte. Irgendwann hielten sie an und als Quirin den Kopf hoch, um sich umzublicken erkannte er, dass er in einem großen, gemütlichen Zimmer angelangt war.

Für einen Sklaven mochte seine Gemächer gemütlich erscheinen. Wenn man aber bedachte, das es die eines Prinzen waren, waren sie nicht wirklich luxuriös. Ich fröstelte und legte schnell etwas Holz im Kamin nach. Dann löste ich die Fesseln des jungen Mannes. "Ich habe euch nicht verraten, bitte, dass musst du mir glauben."
Meine Hände ruhten auf den Schultern des Sklaven. "Hätte ich etwas tun können, um auch sie zu retten, ich hätte nicht gezögert."