RE: Spouse - 6

Musste ich das? Ich wusste es nicht. Mir war gar nichts mehr klar in diesem Moment. Ich merkte nur, wie er mich packte und langsam wieder umdrehte. Hörte seine betörende Stimme neben meinem Ohr. Seine Worte waren nicht wirklich hilfreich. Es war etwas völlig anderes, ein Medikament bei mir ZUhause zu nehmen, als nun in ein Krankenhaus zu gehen, vor dem ich verdammte Panik hatte.
Er schob mich in die Richtung des Krankenhauses. Es war einfach zu behaupten, die Angst sei nur in meinem Kopf, wenn man nicht erlebt hatte, was ich erleben musste. Ich spürte wie schnell mein Herz schlug, doch schließlich ließ ich mich von ihm mitziehen. Er war hartnäckig. Ich wollte das nicht, aber letzten Endes kam ich doch mit, wusste aber nicht, ob das wirklich klug war. Er gab mir ein wenig Sicherheit und deshalb folgte ich ihm. Ich kam ihm nach, weil er in mir etwas auslöste und er wollte, dass ich mitkam.
Letzten Endes trafen wir im Krankenhaus ein, fuhren mit dem Fahrstuhl in die richtige Etage. Mein Herz raste noch immer, mir war übel, und ich merkte wie weich meine Beine geworden waren. Wie weit sie mich wohl tragen würden? Ich konnte es nicht abschätzen.
Die Zimmertür stand schon auf und darin saß ein Mann an seinem Schreibtisch, der bereits auf uns wartete.

"Es geht nicht um die Spritzen", presste ich direkt heraus und sah mir den Arzt an. Der Raum war weiß, steril, es roch noch nach Desinfektionsmittel, der Arzt trug seinen perfekten Kittel und je länger ich saß und zuhörte, desto nervöser und blasser wurde ich. Ich spürte meinen Angstschweiß in meinen Händen und entriss London irgendwann meine Hand. Ich hielt es kaum aus. Dr. Clace erzählte mir, dass die Hormone unterschiedliche Nebenwirkungen haben konnten. Übelkeit war häufig am Anfang, manchmal erbrechen, verstärkten Haarwuchs am Kopf und weniger an anderen Körperstellen. Ich konnte mich anders sexuell orientieren, mehr aber auch in seltenen Fällen kein sexueller Verlangen verspüren. Alles wurde ein bisschen weiblicher und ich könnte grade am Anfang Stimmungsschwankungen haben, bis mein Körper sich daran gewöhnt hatte. Ich sagte nichts, grummelte nur ab und zu und sah mir abweisend den Raum an. Der Arzt schob mir noch ein Infobuch zu, zu den Hormonen und auch zur Operation. "Ich werde auch die Operation durchführen. Ich habe mich auf dieses Thema spezialisiert. Sie brauchen sich also keine Sorgen machen." Dann sollte ich auf die Liege. Geistesabwesend legte ich mich darauf. Ich wartete einige Momente, Dr. Clance beugte sich über mich und ab da setzte es bei mir aus. "Ich kann das nicht", wiederholte ich plötzlich dutzende Male und versuchte aufzustehen, schob alle beiseite und war einfach nicht mehr Herr über mich selbst. "Bitte bitte bitte lasst mich!", schrie ich immer wieder, woraufhin der Arzt dann eine Spritze aus einem Schrank holte. "Halten Sie ihn bitte fest. Er wird ein Beruhigungsmittel erhalten." Ich begann daraufhin um mich zu schlagen.

Es war wirklich Londons Glück, dass ich in meiner Panik unkoordiniert handelte, denn sonst hätte es böse enden können. Ich war ein gut trainierte Soldat, aber davon war in diesem Moment nichts mehr übrig. Er war ein wenig kräftiger und so konnte er mich festhalten. Wie viele Minuten vergingen, bis ich nur noch schwer atmen auf seiner Brust lag, konnte ich im Nachhinein nicht mehr sagen. Ich hörte nur, dass Dr. Clance hierblriben würde. Weniger später fand ich mich auf den Armen von London wieder. Ich bemerkte die verwirrten, erstaunen und angewiderten Blicke der anderen Patienten und auch Ärzte. Ich fühlte mich merkwürdig, denn so wurde ich zuletzt als Kind getragen. Auf der Bank dann starrte ich auf den Boden, erholte mich von der Panikattacke. Mir war übel, aber ich ließ zu, was er mit meinem Arm tat. "Blutabnehmen ist nicht schlimm", sagte jch noch. Es war zwar unangenehm, aber nicht der Auslöser meiner Angst. Und so ließ ich es zu, dass die hauchdünne Nadel in meine Vene fuhr. Kaum spürbar. Mir war nur wichtig, draußen zu sein und nicht mehr in diesem Raum. Ich erkannte, dass London grade alles tat, um mich zu beruhigen. "Danke", murmelte ich irgendwann und sah mich um. "Ich weiß nicht wie ich diese OP überstehen soll. Ich weiß es einfach nicht. Wieso haben sie mich ausgewählt? Das ist doch schwachsinnig..." Mein Puls beruhigte sich langsam immer weiter, dennoch war meine Verzweiflung groß.

Obwohl die Panik abnahm, spürte ich noch deutlich, wie mich die Angst weiterhin lähmte. Und so reagierte ich auch kaum, als er mich an sich zog, um mich zu umarmen, und mich zu beruhigen. Ich wusste nicht, wie es ihm mit alledem ging, ob es für ihn schlimm war, die nächsten Jahre mit einem Mann zusammen zu sein. Ich bemerkte nur, dass er keine Angst hatte, mich immer wieder zu berühren und anzufassen, mich zu tragen, zu umarmen, mir nahe zu sein. Und das widerum machte mir Angst, denn ich wollte mich auf keinenfall von ihm befruchten lassen. "Mir wäre es lieber, ich würde dich anwidern", murmelte ich leise und sah auf den gut gepflegten Rasen unter meinen Füßen. "Ich sehe, wie viel du für mich tust. Aber ich will nicht, dass du mir helfen willst, mich berühren willst, Mitleid hast oder dich sogar verliebst." Letzteres war fast unausweichlich, das Programm, welches uns zusammen gebracht hat, war zu raffiniert. Auch für mich. Er war nicht perfekt, er war wie ein surrealer Traum, in welchem man himmelhochjauchzend fliegen konnte, um dann im nächsten Moment zutodebetrübt abzustürzen. Tief in meinem Innern packte er mich, auch wenn ich ihn nach außen hin abweisen wollte.
Die Frage nach Snuffkin nickte ich nur ab. Dann bemerkte ich, wie Dr. Clance auf uns zutrat. Er blieb vor uns stehen, hockte sich hin, damit er in mein Gesicht sehen konnte, welches ich tief gesenkt hatte. Ich war schwach und wollte ihm nicht in die Augen blickten. "Herr Jardtsch, ich habe mich für die Hormongabe per Spritze entschieden und würde Ihnen diese gerne gleich verabreichen. Ich befürchte, dass Sie die Tabletten nicht regelmäßig einnehmen würden. Ich werde nun kurz Ihr Blut im Labor untersuchen lassen, dann komme ich wieder. Ich möchte dann für übermorgen einen Folgetermin vereinbaren, um die Werte nochmal zu überprüfen und zu sehen, wie es Ihnen geht." Ich nickte nur. Ich konnte leider schlecht 'nein' sagen. Er erhob sich wieder und sah nochmal zu London.

Dr. Clance hörte London ganz in Ruhe und aufmerksam zu und nickte hin und wieder. "Da haben Sie natürlich recht, ich sehe es genauso. Ich werde versuchen, Haustermine zu vereinbaren. Ich werde einen Antrag dafür einreichen, aber ich weiß nicht, ob ich die Genemigung dafür erhalte", erklärte er London und ich sah mich in diesem Garten um. Es gab hier einige Patienten, die spazieren waren oder an Tischen saßen und sich unterhielten. Dr. Clance wandte sich nun wieder an mich und ich blickte langsam zu ihm auf. "Ich halte es jedoch für wichtig, dass Sie nochmal mit ihrer Therapeutin sprechen, um die traumatisierenden Ereignisse zu verarbeiten und sich psychisch auf die Operation vorzubereiten. So gerne ich es auch würde, aber diese kann ich nicht bei Ihnen Zuhause durchführen." Er nahm die Blutproben an sich. Mir schien, ihm war bewusst, dass ich mich gegen all das wehren und vielleicht sogar meine Werte manipulieren würde. Dumm war er anscheinend nicht. "Es tut mir sehr leid... für Sie." Er machte kehrt und ging wieder ins Krankenhaus. Mit überraschtem Blick sah ich ihm nach und versuchte den Mann einzuschätzen. Ich hasste ihn, alleine dafür dass er ein Arzt war und mich das alles durchmachen ließ, dass er da mitspielte und mir eine Gebärmutter einpflanzen würde. Ich hasste ihn, weil er Teil dieses System und Spiels war, genauso wie London, den ich auch hasste. Ich hasste sie für das, was sie waren, nicht für denjenigen, der sie waren.
Einige Minuten lang überlegte ich, ob ich noch irgendetwas sagen sollte. Ob irgendetwas passend war. Und begann dann nur leise die Melodie von "Wicked Game" zu summen.

https://www.youtube.com/watch?v=-Q1LRMr0wWY

"Dito", konnterte ich dann direkt, nachdem ich die Melodie beendet hatte. Aber ich wusste nicht genau, ob er sie erkannte. Vielleicht ja, vielleicht nein. Wenn ja, dann wusste er ja genau, was ich ihm sagen wollte, und wie es mir ging, und wie mich das alles ergriff und wie er mich ergriff und was er in mir auslöste und ach... verfluchter motherfucking Shit.
Ich verkniff mir den miesesten Kommentar, den ein Mensch wohl in diesem Moment hätte aussprechen können. Vielleicht zwingen sie dich dazu, mich zu vergewaltigen. Ob ihm das bewusst war? Er würde sich jedenfalls nie wieder im Spiegel betrachten können, sollte es passieren. Und ihm den Boden unter den Füßen wegreißen, wenn ich es aussprechen würde. Ich war alles und nichts für ihn. Und sie hatten ihn ausgewählt, sein persönliches geliebtes und gehasstes Alles und Nichts zu zerstören.
Ich sah zu ihm auf. Er wirkte unwirklich in dieser künstlichen Sonne, wie seine Haare in dem künstlichem Wind sich bewegten, mit dieser Bitterlichkeit im Gesicht. "Nobody... loves no one", sang ich nochmal leise vor mich hin, stand dann auf, als ich meinen Großvater im Augenwinkel sah. Der Mann, mit den vielen Falten, und dem Gesichtsausdruck, welcher nur so vor Kraft und Erhabenheit schrie. Wieso konnte nichtmal er uns helfen?
Er brachte mich nach Hause. Die Wirkung der ersten heftigen Hormondosis ließ auch nicht lange auf sich wirken. Ich war ein einziges Durcheinander...

Als es klingelte, öffnete ich direkt. Ich war auf dem Sprung. Mein Gesicht war rotgeweint, und doch wirkte ich grade voller Tatendrang und fast schon euphorisch. Das Skateboard in der Hand, die andere versuchte etwas unkoordiniert mir einen Schuh über den Fuß zu ziehen, während ich auf dem anderen Fuß hopste. Im Hintergrund mein Großvater auf der Couch, der nur am Ende mit seinen Kräften den Kopf schüttelte und auch keinen Rat mehr wusste.

Und ich, ich hatte in diesem Moment nur den einen total behinderten und fest entschlossenen Gedanken: "Ich will nur Skateboarden", meinte ich voller Tatendrang. Ich war nicht unter Drogen oder sowas, nein. Unter Hormonen, und was für welche. Und grade stand mir der Sinn danach. Mein Großvater hatte großartige Arbeit geleistet, mich getröstet als ich heulte, mich festgehalten als ich Tobsuchtsanfälle hatte, und die Klappe gehalten, wenn ich es Stille brauchte. Er kannte mich, aber so hatte er mich noch nie erlebt. Wie ein Teenager in seiner ersten Liebeskriese hatte ich mich aufgeführt. Alles drum und dran, ein einziges Auf und Ab, bis ich nicht mehr wusste, wo oben und unten war, hatte ich mich in meine bunten Kissen geheult.
Als ich dann endlich aufsah, nachdem ich den Schuh anhatte, sah ich ihn. Gott, wie wunderschön war dieser Mensch... Es dauerte einige Momente, bis ich reagieren konnte, und da hatte er sich schon umgedreht und wollte abhauen. Ich sprang auf mein Board, überholte ihn rollend, und streifte dabei mit einer meiner Hände seinen Arm. "Schlaf gut", meinte ich nur und übte mich in allergrößter Zurückhaltung, die ich irgendwo im tiefsten Inneren meiner grade krass verkorksten Seele finden konnte. Ich sah ihn noch einige Augenblicke an, ehe ich dann in eine Straße einbog.

Ich blieb vernünftig diese Nacht. Nach zwei Stunden war ich zurück, mein Großvater pennte in den Kissen, und ich überlegte fieberhaft, wie man einen Liebesbrief begann. So ganz altmodisch, mit Papier und Stift. Wo bekam man heutzutage noch Papier her? Und das um diese Uhrzeit? Shit...
Ich konnte nicht schlafen. Das alles machte mich fertig. Ich kannte mich so nicht und wusste nicht wohin mit mir.

Eine weitere Stunde später klopfte ich gegen seine Tür. "Diese Hormone machen einen richtig fertig", jaulte ich vor, als er die Tür öffnete. "Es tut mir so leid."