RE: >>>night shifts - 6

Ich warte lange. Viel zu lange für meinen Geschmack. Die Krankenhauskleidung roch irgendwie muffig, als hätte man sie viel zu lange irgendwo gelagert. Ein Blick in das Schild verriet mir dann auch den Grund. Männergröße XS. Natürlich. Welcher Mann war denn auch schon so klein und schmächtig wie ich? Dass sie mir nicht einfach eine Frauen S gegeben hatten, das verstand ich zwar nicht ganz, denn die hätte bestimmt nicht so nach Keller und Mottenkugeln gerochen, aber ich hatte nicht vor mich wegen solch einer Kleinigkeit aufzuregen oder gar beim Personal zu beschweren. Ich wusste selbst wie anstrengend sowas im Job war, da man doch nicht selten so schön zur Grenze der Überforderung war. Ich konnte ja nicht wissen, ob die Person, die ich vollsülzte trotz Erkrankung sich zur Arbeit schleppte, die schwanger war, familiäre Probleme hatte, gerade vom Partner getrennt, Geldsorge, Verlustängste oder etwas anderes zu bewältigen hatte. Schon ein simpler 24-h-Dienst raubte einem den letzten Nerv. Da wollte man sich verständlicherweise mit so etwas nicht auch noch rumschlagen müssen. Außerdem entsprach es weder meinem Charakter oder Einstellung: Leben und leben lassen, noch meinen religiösen Ansichten der Nächstenliebe und des einfachen Lebens.
Stil fragte ich mich, was Alva wohl gerade so machte und sogar an meine Eltern dachte ich mal wieder. Und das kam nicht oft vor. Ich hätte ich doch mehr auf sie gehört. Eine christliche Frau, von ihnen ausgesucht und zuhause bei ihnen wohnen, wo sie mich unter Kontrolle hatten. Und ich hätte einen christlichen Beruf ausüben sollen. So wie sie es für mich geplant hatten. Man sah ja was daraus geworden ist mit der Zeit. Ich hatte keine Freunde, der Schichtdienst machte dies unmöglich. Und es gab zu mindestens 95 Prozent nur Krankenschwestern, Männer waren nur Ärzte und die gaben sich meist nicht mit Fußvolk wie mir ab. Außerdem hatte ich noch nie Freunde machen können. Sie waren immer auf mich zugekommen. Ich hatte entgegen den Vorschriften der Bibel Sex vor der Ehe gehabt, ich hatte das Beten und Kirchengänge massiv vernachlässigt, ich war mehr oder weniger fremd gegangen. Aber überhaupt, dass ich mit einem Mann ins Bett stieg war ja schon Sünde genug. Eigentlich hatte ich es doch verdient aus der Glaubensgemeinschaft verstoßen zu werden...oder?! Ach, ich war so verzweifelt! Ich wusste nicht was ich tun sollte! Und dieses Zimmer bot ja auch keine Ablenkung. Mein Handyakku war nach wie vor alle, die Fernbedienung des Fernsehers nicht auffindbar. Doch bei der Gelegenheit fand ich immerhin eine Bibel. Natürlich, so etwas gab es in vielen öffentlichen Einrichtungen. Auch bei uns. Wenn auch nicht in jedem Zimmer verstand sich. Es widerstrebte mir eigentlich darin zu lesen, aber sonst würde ich in diesen vier Wänden wirklich noch durchdrehen oder mir etwas antun, was keiner wirklich wollte. Hoffte ich zumindest.
Eigentlich kannte ich ja schon alles. Vielleicht nicht so sehr, dass ich schon mitsprechen konnte, wie beim eigenen Lieblingsfilm oder noch einfacher: das Lieblingslied. Komisch, wie das Ganze einem als Kind so völlig unverständlich klang und man mittlerweile im Erwachsenenalter einen ganz anderen Wortschatz hatte. Aber dafür hatte es zuhause ja auch die illustrierte Kinderbibel gegeben. Nur in der Kirche hatte ich halt die Predigten über mich ergehen lassen müssen, obwohl ich nicht besonders viel verstanden hatte. Immerhin, ich hatte immer brav dagesessen, im Gegensatz zu meiner Schwester. Für sie waren Kirchengänge noch nie etwas gewesen, sie konnte einfach nicht stillsitzen. Und dennoch, ich hatte das Gefühl, sie war eine viel geringere Enttäuschung als ich, für unsere gemeinsamen Eltern. Es war wirklich unfair. Ich hatte mich als Kind so unglaublich gut benommen. Ich hatte in der Kita und in der Schule machen lassen mit mir was sie wollten. Sie nahmen mein Spielzeug, mein Essen, waren gemein zu mir manchmal. Und ich nickte nur lächelnd und vergab ihnen. Immer. Jedes einzelne mal oder zu überlegen. Warum hatte die Erziehung meiner Eltern dann nicht funktioniert?! Weil wir, egal wie sehr wir es versuchen, uns einfach so verlieben? Oder vielleicht manchmal zu wissen: warum? Zumal mir die ersten Zweifel unseres Glaubens mit dem Tod meiner Großeltern gekommen waren. Frei nach dem Motto: warum ließ Gott so etwas zu?! Ich war noch in der Grundschule, als sie verstorben waren und es hatte Jahre gedauert, über diesen Verlust hinwegzukommen. Meine Großeltern mütterlicherseits waren grantig. Hatten auch nicht vor körperlicher Züchtigung zurückgeschreckt und auch verbal einiges ausgeteilt. Was ich denn für ein Junge sei, der sich gerne mit Mädchen abgab, keinen Schmutz mochte und vor allem möglichen Angst hatte.
Aber das war alles nicht mehr änderbar. nichts von dem. Nie war etwas im Leben rückgängig zu machen. Denn selbst wenn man radierte, so blieb doch zumindest der Hauch eines Bleistiftstriches oder die Rille der Spitze zurück...Seufzend zog ich meine Beine an den Körper, legte meinen Kopf darauf ab, als ich meines Erachtens genug gelesen hatte. Und ich fing ein langes Gebet an. Denn natürlich konnte ich selbst diese immer noch auswendig. Auch wenn ich dabei die Augen offen hatte und keine Gebetshaltung. Aber das war ja jetzt auch erst einmal egal.
Und plötzlich erhielt ich wieder Gesellschaft. Ich roch es eher, bevor ich meine Augen öffnete und in der nahezu Dunkelheit meinen Besucher erkannte. Die Vorhänge waren ja noch zu. "Erik?!", murmelte ich. Und wunderte mich, dass meine Nase ihn so schnell erkannt hatte. Noch bevor ich das Buch wegziehen konnte, setzte der Mann, welcher die Farben der schwedischen Flagge (Gelb/Blau) trug, auf die Bibel. "Euh-" Ich kam nicht weiter, er unterbrach mich und perplex zog ich meine Arme an meine Brust. Er schmiss sich auf meinen Schoß/Unterbauch und hielt sich regelrecht an mir fest. Meine Hände wurden etwas runtergezogen und eigentlich wartete ich nur darauf, dass er gleich anfing zu weinen. Aber tatsächlich war ich es, keine 30 Sekunden später. Wie immer. Ich würde wirklich noch dehydrieren, wenn es so weiterging. Ich krümmte mich, sodass ich über ihn beugte. Die Wärme, der Körperkontakt tat gut. Und seine "Beichte" zu hören. *Besser jetzt als nie* Ich musste es endlich loswerden, diese Wut und Verzweiflung. Ich durfte es nicht, eigentlich, aber ich musste mich freimachen, ich hatte es nie gemacht. "Du müsstest hier liegen! Nicht-nicht ich! Ich habe viel gesündigt, aber ich habe den Menschen immer geholfen. Immer!" Ich drückte seine Hand ebenfalls, fest. Es musste ihm weh tun meine fein säuberlich gefeilten, aber nicht langen, Fingernägel auf der Haut zu spüren. "Gott müsste dich verlassen haben! Du tötest Menschen und lässt sie im Stich!" Schniefend und schluchzend biss ich die Zähne zusammen. Ja, er entsprach nicht dem idealen Christ, aber verdammt, irgendetwas ging von ihm aus. Es war wieder Moment, wenn Sonntags in der Kirche das Licht durch die bunten Fensterscheiben fiel, die Gemeinde gemeinsam sang. Man fühlte sich in anderen Sphären, dem Himmel ganz nah und hatte Gänsehaut. Genauso war es auch jetzt. Die Welt hätte untergehen können, nichts hätte mich dazu getrieben ihn loszulassen. "Du bist der Einzige, der noch zu mir hält...Du bist krank!" Ich drückte meinen Kopf auf seinen. "Du bist irre" SO SO irre!" Wie er sich dem Nachbarn gegenüber gestellt hat, meinem Angreifer. Wie er jetzt bei mir war, wie er jeden Tag sein Leben aufs Spiel setzte, damit das Land sicher war und mit dem Gewissen leben musste, Menschen auf dem Gewissen zu haben. Denn auch wenn es böse Menschen waren, so waren es immerhin Menschen. Und niemand wurde böse geboren- so der christliche Glaube. Er war unglaublich faszinierend. Eine tiefe, innige Wärme ging von ihm aus, die Mattis nie gehabt hatte. Oder Alva. Oder der Pfarrer.

"Ja, du hast Recht. Ich bin Krank. Ich bin bei dir, egal wie oft du mir unbewusst weh getan hast, wenn du zu deinem Oberarzt gerannt bist oder er dich grob gepackt hat. Zudem die ganzen Filme in meinem Kopf, wenn er Nachts neben dir lag, dich küssten durfte oder mit dir schlafen. Das macht mich alles wahnsinnig und dennoch tue ich mir das alles an, weil ich einfach nicht anders kann. Ich möchte deine Nähe und einfach bei dir sein. Egal ob als Freund oder... mehr. Du bist mein Engel. Ich kann dich doch nicht einfach alleine lassen, dafür liebe ich dich viel zu sehr. Und... auch wenn du jetzt an Gott zweifelst, dass musst du nicht. Ich bin mir sicher, dass alles nicht nur so geschieht. Ich bin mir sehr sicher, dass Gott seinen süßen kleinen Engel nicht im Stich lässt. Jetzt sieht vielleicht alles Grau und Düster aus, doch bitte halte durch. Irgendwann wird am Himmel wieder die Sonne strahlen und dann wirst du wissen, dass Gott Pläne für dich hat, die du nicht einfach aufgeben kannst." sagte ich und hielt dabei seine kleinen weichen Hände. Sein Taufkettchen im Blick habend, saß ich immer noch in der demütigen Haltung. Ich hob die Hand mit dem Kettchen und drückte meine Lippen auf die Stelle mit seinem Namen.
"Ich liebe dein Kettchen. Es ist ein Teil von dir. Nicht, weil es dich in gewisser weise mit Gott verbindet, sondern weil es einfach zu dir gehört." gestand ich und schaute ihm dabei in die Augen. Sanft legte ich seine Hand an meine stopplige Wange und küsste seine Innenfläche und sein Handgelenk.
"Also ja, ich bin Krank. Wenn man verliebt ist, ist man automatisch Krank. Aber ich bin zufrieden. Nach all dem Scheiß, den ich erlebt habe, kann ich endlich für jemanden da sein. Wirklich da sein, ohne, dass ich mich hinter einer Waffe verstecken muss. Ich kann einfach als Mans da sein. Und das bedeutet mir sehr viel. Aber ich versteh, wenn du mich hasst. Seit ich in dein Leben getreten bin, ist doch alles Kaputt gegangen. Ins Chaos gestürzt sozusagen. Das tut mir Leid. Ich würde gerne alles ungeschehen machen. Aber ich kann dir nicht mehr anbieten, als mein Herz, meine Zeit und meine Liebe." bot ich ihm an und schlang dabei meine Arme um seinen Oberkörper.
Ein Seelenstripteas auf höchstem Niveau. Mit Liebesgeständnis und Bekundungen sowie Entschuldigungen und noch einiges mehr, was ich für ihn tun würde. Kurz überlegte ich, ob ich es wagen sollte ihn zu küssen. Aber bestimmt war das keine gute Idee. Also ließ ich es, auch wenn es mir in den Fingern juckte. Es wäre nicht sinnvoll. Wahrscheinlich würde er wieder an die Nacht denken und in ihm würde erneut etwas Zerbrechen und das wollte ich nicht, also besser Zurückhalten und durchstehen. Dennoch sah ich ihm in die Augen, als ich mich entschloss, die Umarmung, so schön sie auch war und wie perfekt es sich anfühlte, aufzulösen. Als ich wieder etwas Abstand zu Frey eingenommen hatte, hielt ich dennoch weiter seine Hände.
"Ich hab dir ein paar Sachen mitgebracht und mich um deine Pflanzen gekümmert. Du hast eine schöne kleine Wohnung." sagte ich und sah auf unsere Hände. Vielleicht war gerade einfach alles zu viel, doch es musste raus. Er hatte ja Recht. Ich muss Krank sein, dass ich immer noch hier bin. Ich hab es ja versucht... doch bei den schönen Augen und dem zuckersüßen Lächeln, konnte ich einfach nicht anders. Und nach der Vergewaltigung, konnte ich erst recht nicht aufhören. Ich konnte keinen Abstand aufbauen. Nicht jetzt und wahrscheinlich niemals.
"Soll ich noch bleiben oder soll ich lieber gehen?" fragte ich ihn. Wahrscheinlich brauchte er immer noch Ruhe. Die Tabletten müssten auch bald wirken. Es wird nicht schön und dennoch würde ich es mit ihm durchstehen, wenn er mich lassen würde. Wenn er Kotzt, würde ich mit einem kalten und warmen Handtuch neben ihm stehen, es ihm hinhalten und dabei seinen Rücken streicheln. Bei Schüttelfrost und Fieber, eng mit ihm kuscheln und in tausend Decken einwickeln. Wenn er Stimmungsschwanken bekommen würde, ertrag ich jede einzelne Sekunde, bis er erschöpft an meiner Brust einschläft.
"Ich finde es Schade, dass du hier bleiben musst. Ich finde, dass du besser Zuhause oder bei mir aufgehoben wärst. Du brauchst kein Krankenhaus, in dem du in den schweren Stunden alleine bist. Wenn ich dürfte, wäre ich den ganzen Tag hier. Aber es gibt ja die Besucherzeiten, die verhindern, dass ich hier bin, wenn du mich brauchst." seufzte ich enttäuscht. Was sollte ich Zuhause, wenn Frey doch hier war und es ihm schlecht geht.
Das macht keinen Sinn und doch muss ich es ertragen. Ob ich schlafen kann? Wahrscheinlich nicht. Ich werde wach liegen und an ihn denken, den Morgen herbei fiebern und direkt hier sein.
"Hast du Hunger? Soll ich dir irgendwas besorgen?" bot ich ihm an. Eine Kleinigkeit konnte ich essen.

Wow...einfach...wow...Das hätte ich nun wirklich am allerwenigstens erwartet. Wut, Hass, Vorwürfe, vielleicht sogar Gewaltandrohung oder deren Ausführung in irgendeiner Form. Als Polizist einer Spezialeinheit kannte er da so sicherlich so einige Inspirationsquellen und konnte sich in der Hinsicht kreativ ausleben. Es wäre nur allzu logisch und sicherlich für die meisten Menschen nachvollziehbar gewesen, hätte er mich angebrüllt und sich hintergangen gefühlt. Wo er doch immerhin noch schlimmeres verhindert hatte. Doch anders, als es so manch voreingenommene Leute vielleicht von einem "Killer" erwarten würden, zeigte er sich von einer ganz anderen Seite, die ich zumindest in diesem Moment nun so überhaupt nicht erwartet hatte. Denn ich wusste ja, dass Erik keineswegs herzlos war und keinesfalls nur der der klassische Film-Böser-Cop war. Aber nach einer Szenerie wie jetzt? Fehlte wirklich nur noch, dass er mich küsste. Aber dies tat er Gott sei Dank nicht. Schon mit dem Gesagten war ich restlos überfordert, sah ihn mit großen verweinten Augen an, als der Redefluss ungehindert und ungewarnt auf mich einprasselte.
Mit "schlafen", hatten die Aktionen mit Mattis eigentlich immer nur sehr wenig zu tun. Wenn überhaupt hatte er sich bei mir eingenistet, aber dass man bei einander übernachte, dass war eh so selten gewesen wie Regen in der Sahara-Wüste. Ohne jetzt zu übertreiben. Dass ich ihm anschließend Frühstück zu machen hatte etc., davon wollte ich gar nicht erst anfangen zu reden...aber das war nicht der springende Punkt von dem mein emotionaler Gesprächspartner hier zu reden schien. Wie konnte man in meiner Nähe sein wollen? WIE?! Ja, ich war ein ganz netter Arbeitspartner. Ich war gewissenhaft. sozial, pünktlich, fleißig, beschwerte mich nicht...ich lernte sehr schnell und gehorchte eigentlich alles und jedem. Ob Chefs, Patienten, deren Besucher, meine Kollegen oder anderes Personal, alle durften mich herumschubsten und ich nickte nur lächelnd, tat wie mir gehiesen. Doch ich sagte zu all dem nichts, selbst wenn er mich zum Nachdenken brachte. Aber eher mit seiner Aussage über Gottes Anwesenheit und seine Pläne die er für mich hatte. *Was redet er da nur?!* Er war doch selbst nur höchstens so etwas wie ein Halbchrist und eigentlich gab es an sich ja auch gar keine Halbchristen...
Schützend legte sich die große, warme Hand, welche minimal dunkler war als meine, um meine eigene schmale. Mit diesen Händen führte er Waffen, womit er Menschen tötete. Mit meinen Händen hielt ich medizinische Geräte, die Menschen retteten. Und doch waren es nun seine Hände, die meinen wieder etwas Leben einhauchten und somit auch dem gesamten Mir. Ich heilte ja auch keinen Menschen in Sekundenschnelle. Wie er ganz sanft sein Armband küsste rief Erinnerungen hervor, tief verankert in meinen frühen Erinnerung und doch niemals verschwunden, nur etwas eingestaubt. Es versetzte mir mit dem Gefühl der Nähe, der bewussten Geste und der Erinnerung eine Gänsehaut und nahezu zeitgleich hörten die Geräusche meines Weinens auf. Er führte meine Hand an seine mindestens ebenso warme und im Gegensatz zu meiner trockenen, Wange, die wirklich unangenehme Bartstoppeln aufwieß, die meine zierlichen Hände fliehend zucken ließen. Aber er hielt sie weiter fest, was auf meiner Haut gemischte Gefühle hinterließ. Ich musste wohl auch einfach mit dem leben, was er mir zu bieten hatte. Seine Lippen waren da eindeutig weicher und die Muskeln in meinem ganzen Körper schienen sich etwas zu unterspannen unter dem Gefühl der anderen Haut. Leicht bewegten sich meine Fingerspitzen als Zeichen des Wohlfühlens ,auch wenn ich mehr durch ihn hindurchsah, als wirklich wahrzunehmen.
Seine Umarmung daraufhin war fast schon etwas zu viel. So überladend und eine regelrechte Reizüberflutung. Eng und irgendwie verpflichtet, sodass ich mit einem Unmutslaut den Kopf wegdrehte, die Augen zusammenkniff. Nach meiner gestrigen Erfahrung reagierte ich sehr sehr empfindlich aus Berührungen. Mehr als jeder andere. Als wäre die Haut wirklich nur noch eine dünne Schicht und das dünner als Butterbrotpapier. Das bedeutete, dass feste Umarmungen wie diese eher als Schmerz empfand, als die lieb gemeinte Zuwendung, die er mir dadurch geben wollte. Aber es hatte doch auch irgendwie etwas leicht positives, denn die hauchzarte Berührung beispielsweise, die ich durch seine Lippen oder Finger erfuhr, konnte ich mit ihrer Leichtigkeit auch als schön empfinden. Der geringste Kontakt reicht und war auch schon genug. Mehr war sofort zu extrem. Verbunden mit Unbehagen, Angst und Schmerzen. Und seien diese nur psychisch, Einbildung.
Noch immer geflashed von dem Geständnis und der Umarmung, hörte ich ihm abweisend zu, konnte mich gar nicht für das Kompliment über meine Wohnung bedanken. Mit dem Wenigen was ich hatte, hatte ich es versucht mir gemütlich zu machen. Aus einer alten, billigen Wohnung -wobei "billig" eher den Zustand verriet, sie war kostengünstiger als die meisten anderen Wohnungen, aber außerhalb der Hauptstadt würde kein Mensch für das Geld in so eine Zweiraumwohnung ziehen. Hauptstädte waren nun einmal immer sündhaft teuer. Erik, der vielleicht das vierfache oder dergleichen von mir verdiente, konnte sich natürlich ganz anderen Luxus leisten als ich. Von daher überraschte es mich, dass ihm meine Wohnung gefiel. Aber vielleicht sagte er das ja auch nur so dahin, um mich aufzumuntern. Beschweren tat ich mich nie. Nicht über die Wohnung, das Gehalt, die unschöne Lage. Als Christ lebte ich mit den einfachen Dingen der Welt. Ein Dach über dem Kopf war mehr als genug und niemals selbstverständlich für mich. Etwas protziges wie der Polizist es besaß - undenkbar für einen streng Gläubigen. So nickte ich ihm also nur dankbar zu, ließ meine Hände regungslos in seinen liegen und hörte weiter seinen, wahrscheinlich mit Bedacht gewählten, Worten zu, die lieb gemeint waren.
"Ich weiß nicht...", erwiderte ich nach langem Schweigen, nachdem er gefragt hatte, ob er bleiben sollte, dass er gerne bleiben würde und ob ich Hunger hätte. Somit war es für den Schweden sicherlich nicht ganz ersichtlich, zu welchen der drei genannten Sachen der Kommentar nun gehörte. Ich für meinen Teil schaute weg, den Kopf etwas zur Tür geneigt. Aber ohne böse Absichten oder ihn wirklich abwimmeln zu wollen. Ich könnte es beim besten Willen nicht erklären, warum ich so und nicht anders handelte. Meine Gliedmaßen zog och jedenfalls nicht weg...Ich war so müde, doch ein Teil von mir war wach. War es mein Körper, der nach Ruhe verlangte? Oder doch nur meine Psyche? Auch das, konnte ich niemanden sagen. Ich wusste es selbst nicht einmal. Wie ein Gummiball, aus dem man die Luft rausgelassen hatte, hockte ich auf dem großen Bett. Nicht mehr viel erinnerte einst an das schöne, geliebte Spielzeug. Ich selbst fand mich nicht sonderlich hübsch, aber nicht, weil ich mich hässlich fand, sondern es mein Glauben so eine egoistische Einstellung einfach nicht zuließ. Sicherlich war ich nicht makellos und jeder hatte seinen ganz eigenen Typ, aber wer nicht auf das charakteristische "männliche" stand, für den war ich ein Ideal. Ich achtete nicht in dem Sinne auf mein Äußeren um schön zu sein, sondern gesund und gepflegt. Sauber, so wie mein Arbeitsplatz war. Das verlangte eine reine Haut, die ich hatte, ordentlich geschnittene Haare, ebenfalls, gesunde Zähne, klare frische Augen. So schnell verschlimmerte sich das Hautbild natürlich nicht, doch meine Haare waren ungewaschen und ungekämmt, due Haut geschwollen oder mit einigen Wunden und die Augen sahen nicht mehr gesund aus, sondern waren gerötet und ohne den schönen "Glanz". Zumal meine eingeknickte Haltung für sich sprach. Dennoch wich er nicht von mir ab und empfand mich nicht als eklig, nicht einmal mit dem Wissen was passiert war. Und er bezeichnete mich sogar als Engel. Engel, diese Wesen, die äußerlich und innerlich kompletter Perfektion entsprachen.

Seine Reaktion auf mein Geständnis war wirklich nicht emotionsgeladen. Wenn überhaupt was gekommen wäre. Ein spöttisches Lachen oder nur Kopfschütteln... alles hätte ich verstanden und irgendwie verarbeiten können aber nichts? Ich fühlte mich in dem Moment einfach ... erschlagen. Als ob mich eine Eisenstange am Hinterkopf traf. Ich war wie ausgeknockt. Aber so fühlte es sich wohl an, wenn die Liebe nicht erwidert werden kann. Es war auch ein verdammt schlechter Zeitpunkt, doch irgendwie musste ich mich ja rechtfertigen. Auch wenn er es nicht verstand und an seinem Mattis hing. Ich war einfach kein guter Fang. Ex Killer und dann noch offen Schwul, kein Christ und was weiß ich noch, was mit mir nicht stimmt, solche Personen geht man am besten aus dem Weg. Ich unterdrückte gerade so ein seufzen, da es mich gerade seelisch zum Krüppel machte. So ein Seelenstripteas ist keinen zu Empfehlen.
Ich starrte auf unsere Hände, die er nicht weggezogen hatte. Aber wahrscheinlich sickert mein Geständnis gerade in sein Verarbeitungszentrum im Kopf und realisiert, was für ein Verkorkster Typ er da an Land gezogen hatte und wie er dieses schnell wieder los werden konnte. Ich wollte nicht so schlecht von Frey denken, doch ich konnte auch nicht aufhören.
"Ich hol mir einen Kaffee und ein Sandwich oder so. Ich bin gleich wieder da." versicherte ich ihm und entzog ihm meine warmen Hände aus seinen kleineren und kälteren. Danach erhob ich mich verzögert, doch wenig später stand ich vor seinem Bett und wendete mich ab und lief zu der Tür, die diesen Raum von dem Treiben draußen, trennte. Ich atmete tief durch und trat dann hinaus und schloss diese danach wieder. Ich suchte die Kantine um mir dort meinen Kaffee zu kaufen und das Sandwich, worauf ich eigentlich keine Lust hatte. Im Erdgeschoss, direkt neben dem Eingang war die Kantine zu finden und diese war voll mit Patienten und Angehörigen. Ich stellte mich ordnungsgemäß an der Schlange an und schaute dabei aus den riesigen Bodenlangen Fenstern. Schwer seufzend, verarbeitete ich das erlebte. War es wirklich so schlau weiter in seiner Nähe zu sein? Aber wenn ich ihn jetzt alleine lassen würde...könnte es ihn zerbrechen. Er war dann ganz alleine. Gut, ich könnte Mattis einweihen, doch lieber würde ich dem Kerl mit einer Bettpfanne erschlagen. Ich musste da durch und wenn das vorbei war, dann konnte ich ja immer noch gehen.
Als ich endlich an der Reihe war, bestellte ich einen Kaffee und einen warmen Kakao, dazu zwei belegte Baguettes mit Käse. Als ich meine Bestellung erhalten hatte und auch bezahlt, lief ich zurück zu Freys Patientenzimmer und betrat diesen genau zur richtigen Zeit. Es gab für ihn gerade das Abendessen und zusätzlich die erste Einnahme seines Medikaments.
"Bin wieder da." sagte ich leise, weil es irgendwie natürlich war, nicht so laut in einem Krankenhaus zu sprechen.
Ich setzte mich wieder auf meinen Platz und stellte meinen Becher und die Tüte auf den Nachttisch.
"Ich hab dir einen Kakao mitgebracht." sagte ich und stellte ihn neben seinem Tablett auf dem kleinen Tischchen, was man zu sich ziehen und von sich weg schrieben konnte.
"Das sieht ... komisch aus." sagte ich und versuchte die Stimmung aufzulockern.
"Was soll`s denn geben?" fragte ich Frey und sah das Essen auf dem Tablett skeptisch an. Irgendwie sah es nicht mehr frisch aus und als ob es nochmal aufgewärmt worden war.
"Ich hab noch ein Baguette, wenn du das lieber essen möchtest." schlug ich ihm vor.
"Sind das die Medikamente?" fragte ich nach und war irgendwie enttäuscht, dass sie so neutral aussehen. Aber was sollte da auch anders sein. Es ist ein Medikament, was seinen Dienst erfüllen sollte und fertig.
"Frey... kennst du den Song Rain von The Script? Es ist keine skandinavische Band. Dennoch machen sie gute Musik und dieses spezielle Lied ist wirklich toll. Vielleicht gefällt es dir ja auch. Möchtest du es hören?" bot ich ihm an.
Auch für mich war dieses Lied besonders und dabei konnte ich ein bisschen Ballast abwerfen.

Es war ein komisches Gefühl plötzlich wieder ohne seine Hände zu sein. Ohne Halt, Wärme, Hautkontakt der solch eine Zuversicht versprach. Doch davon ließ ich mir nichts anmerken, nickten mit meinem blonden Schopf nur und schloss kurzzeitig die Augen, ließ ihn aus dem Zimmer gehen. Doch darin war ich keine Minute alleine. Erik?! Mattis?! Wobei...woher sollte der denn wissen, dass ich hier war. Genauso wenig wie Alva und Co. Und es war auch niemand den ich kenne. Hatte Erik vielleicht sein Portmonee vergessen oder ähnliches? "Blutdruck und ähnliches wurde bereits bei ihnen gemessen?", fragte mich die Krankenschwester – der eigentliche Besucher- nahezu monoton und etwas verwirrt setzte ich mich erst einmal auf. "Äh...ja...klar..." Ich dachte, sie meinte einen allgemeinen Gesundheitscheck. Den ich ja als Krankenpfleger regelmäßig eh machte. "Gut. Dann bitte freimachen." Ich tat, wie mir gehießen, als ich eine Nadel spürte und sofort wegzog. "Nein!" Die empfindliche Nadel fiel ab und auf den Boden. Machte sie somit unbrauchbar. "Na hören Sie mal! Was soll den das?! Habe ich es mit einem Kleinkind zu tun?!" Und noch weitere Beschwerden. "Nein! Nein, ich warte noch auf jemanden! Nein! Erik ist noch nicht da!" Erbost sah sie mich an. "Wer soll ´Erik´ sein. Ein Arzt bei uns?!" Stimmt ja, Erik war kein seltener Name. Danke! "Ja...ja eh..." Sie fiel mir ins Wort. "Herr Moarlorson?" Mit einem gezwungenen Lächeln nickte ich. "Ja! Genau der!" Und auch sie nickte, verschwand. "Hoffentlich kommt er wirklich wieder...", dachte ich völlig verzweifelt, den Tränen nah. Ich schaffte das alles nicht! Ich war mutterseelenalleine! Von Geburt an war wenigstens Gott immer bei mir gewesen! Jetzt niemand! Aber das änderte sich bald und plötzlich standen drei Leute im meinem Zimmer. Die Frau von gerade eben, inklusive männlicher Verstärkung. "Dieser Patient denkt hier er könne mich für dumm verkaufen! Erzählt mir von einem Arzt, den wir hier nicht haben. Ich habe ihn erwischt!" Völlig perplex merkte ich gar nicht, wie man mich plötzlich festhielt und ich fing an, wie am Spieß zu kreischen. Und zu meiner Überraschung hielten sie wirklich so. "Schaffen Sie es jetzt still zu halten?! Oder müssen wir nachhelfen?!" Wimmernd biss ich mir auf die Lippen. Tränen in den Augen. Und legte meine Haut frei. "Na endlich..." Das Medikament wurde injiziert und ich spürte genau, dass sie eine zu große Nadel genommen hatte. Ein Pflaster, bekam ich natürlich trotzdem nicht. „Das ist die Vorbehandlung zu dem Medikament, damit sie es aufnehmen können. Die Tablette gibt es zum Abendbrot.“
Ich beruhigte mich wieder etwas. Es war also nur die Vorbehandlung. Nichts geschah ohne meinen Begleiter. So schnell wie sie gekommen waren, gingen sie auch wieder und als sich die Tür erneut öffnete, war es wirklich Erik, wie angekündigt mit etwas zu essen. Ich erzählte ihm von der gerade stattgefundenen Begegnung gerade aber nichts. „Oh, das ist lieb gemeint. Für die Tablette kann ich allerdings nichts milchhaltiges nehmen. Dafür habe ich das Wasserglas hier.“ Tatsächlich brachte er mich sogar minimal zum Schmunzeln, aber nach meinem folgenden Satz, war dies auch schon wieder verflogen.
"Sei nicht so gemein.", antworte ich mit einem kleinen Grinsen auf den Lippen und weicher Stimme. "Es ist ein warmer Eintopf. Sie haben das Essen sicherlich an die kühler werdende Jahreszeit angepasst und mit dem...äh..." Ich wollte ihm die Gemüsesorten sagen, aber da es irgendwie nur eine gemischte, unansehnliche Masse war, konnte ich daraus nicht mehr viel erkennen, sie war halt Grün, mit kleinen orangenen Punkten, die ich meiner Erfahrung nach einfach mal als Karottenstückchen bestimmte. "...mit den Möhren und den Bohnen und so ist es ja auch was gesundes. Guten Appetit!" Tapfer schob ich mir einen vollen Esslöffel des Abendbrots in den Mund und wurde maßlos enttäuscht. Ein zerkochter Brei mit undefinierbarer Konsistenz. Und höchstens als lauwarm zu bezeichnend. Aber ein Christ beschwerte sich nicht. Brav löffelte ich einen Löffel nach dem anderen, von der nicht enden wollenden Portion fadem "Essen". Wobei diese Matschepampe den Begriff "Essen" gar nicht verdient hätte. Es wirkte nicht nur, als sei es einmal püriert worden und wieder aufgewärmt, es hatte auch noch einen undefinierbaren Geschmack. Und auch nur ein einziges Gewürz, Salz oder Pfeffer, weitere Pflanzen die das Gericht schmackhaft und genießbar machen würden, waren für die Geschmacksnerven auf meiner Zunge nicht zu spüren. Na wenigstens roch es nicht auch noch komisch...
Dennoch fragte ich mich verzweifelt in Gedanken, ob die weiteren Tage in dem Krankenhaus jetzt daraus bestünden würden, dass ich morgens, mittags und abends ein Mahlzeit von diesem Niveau zu mir nehmen müsste. Denn obwohl Eriks Essen wenigstens eine Form hatte und somit erkennbar war was es sein sollte, so sah es trotzdem nicht wirklich lecker aus. Natürlich konnte man einer Cafeteria jetzt auch nicht allzu viel abverlangen, aber der welke Salat auf dem knatschigen Baguette, versprach alles andere als Geschmack, Qualität und Frische. "Und...wie ist...dein Essen so...?", erkundigte ich mich, nachdem ich meinen Magen für voll befand und das letzte Drittel schwimmend in dem tiefen Teller zurückließ, auf den Nachtschrank abstellte. Als Antwort nickend sah ich auf die blau-weißen Tabletten hinunter und hob sie auf. Annährend rechteckig. Stellte man sie aufrecht, so strahlten sie Größe und Dominanz aus. Horizontal gedreht dagegen Stabilität und Devoteste. Alles je nachdem wie man es drehte und wendete. Aber anstatt hier über irgendwelche Formlehre aus dem Kunstunterricht zu philosophieren, sollte ich wohl lieber etwas sinnvolles mit den Pillen anfangen und sie endlich zu mir nehmen. Wer wusste schon, was in meinem Körper sich schon abspielte? Wie der Virus sich in die Wirtszelle einbette, vermehrte und meine eigenen platzen ließ, sich mehr und mehr breit machte. Es gab keine garantierten Heilungschancen, ich war vergleichsweise spät erschienen und ich wusste, dass gesunde kräftigte Körper Medikamentation generell besser vertrugen als so zierliche Wesen wie ich es war. Unsicher teilte ich meine Lippen, bettete mit Daumen und Zeigefinger die bittere Tablette auf meiner Zunge, als hätte sie Stacheln. Und die hatte sie auch, unsichtbar. Das Glas auf dem Tablett greifend, gefüllt mit leicht kaltem Leitungswasser, stürzte ich die Tablette aber nun schlussendlich hinunter. Und der "Spaß" konnte beginnen. Sofort breitete sich Kälte in mir aus. Natürlich nur 100 Prozent eingebildet, aber das änderte ja nichts am Gefühl. Ich biss die Zähne zusammen und grub meine Hände tief und fest in die weiße Krankenhausbettdecke, als der Schwede neben mir meine Aufmerksamket erneut erregte.
"Hm?" Script, das hatte ich definitiv schon einmal im Radio gehört. Englische Musik dominierte einfach die Welt. Und jeder Sender in einem industriellen Land spielte nun einmal diese berühmt berüchtigten englischen Lieder, zumeist aus der Metropole Amerika. Typisch. "Gehört habe ich von den schon einmal...vielleicht kenne ich das Lied ja sogar aus den Charts." Ich sah ihn an. "Eigentlich höre ich ja fast ausschließlich skandinavische Lieder...", fügte ich deutlich leiser hinzu und senkte den Kopf etwas. "Wenn du unbedingt möchtest...mach es an.", bejahte ich, nicht sonderlich scharf auf Musik. Keine. Aber ich könnte nicht einmal wirklich sagen, worauf ich Lust hatte. Ich fühlte mich irgendwie leer und verlassen, selbst wenn Erik bei mir war. Im Hinterkopf, irgendwie kein Christ mehr zu sein, zerstörte es mein ganzes Weltbild. Und diese angsteinflößende, ekelhafte Vorstellung, was sich da in meinen Körper tat: schrecklich. Und dann dazu noch das Geschehene. Mattis, der sein persönliches Lustobjekt, meine Wenigkeit, weggegeben hatte. Nein, weggeworfen, wie ein verdrecktes Kleidungsstück, eine überhörte CD, ein kaputtes Möbelstück. Ein Schuh, der nicht mehr in Mode war. Und dann auch noch dieser Mann, welcher das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hatte und wegen dem ich das hier durchmachte. Wie Mattis hatte er sich einfach rücksichtslos geholt was er wollte. Aber immerhin hatte er Oberarzt noch annährend ein "Nein" oder Zärtlichkeiten gekannt. Und sah einfach nicht...einfach nicht...wie der Mensch gewordene Ekel aus Wie heftig die Auswirkungen der Behandlung wohl im Endeffekt aussehen würden? Zumal das noch der Anfang war. Eine Pille war ja noch gar nichts, eigentlich. Und dennoch schob ich jetzt schon Panik. Nur gut dass Erik wenigstens da war. Jetzt alleine zu sein, wäre wahrscheinlich wirklich der Gnadenstoß für mich.

"Ach, es geht. Ich glaube, die nächsten Tage bring ich was von Zuhause mit. Für dich auch? Ich schmuggel dann was rein. Ich kann ein paar Eintöpfe machen. Du musst das wirklich nicht essen. Ich möchte, dass du Gesund bleibst und dadurch nicht Krank wirst. Ich versteh sowieso nicht, warum es in Krankenhäusern so schlechte Kost gibt. Müssten die eigentlich erst recht auf die ausgewogene Ernährung der Patienten achten? Naja, ... liegt bestimmt an der Politik oder so. Vielleicht sind andere Händler, die gesundes Essen für Schulen und so zubereiten, zu teuer für Krankenhäuser. Sorry... ich will dich nicht langweilen. Beschäftigt mich nur." gestand ich und biss in mein Baguette. Es war wirklich etwas zäh und auch der Belag war nicht so meins. Aber ich aß und wollte, dass mein Appetit verschwand. Der Kaffee war stark und wohltuend. Das einzige, was wirklich schmeckte. Der Kakao bestimmt auch, den ich danach trank. Sehr schokoladig, auch wenn es mit Wasser aufgegossen wurde.
"Den hättest du bestimmt trinken dürfen. Pulver mit heißem Wasser aufgegossen. Wenn du möchtest, bring ich dir Morgen Tee mit. Suppe und Tee und ein bisschen selbstgebackendes Brot? Und Obst. Ich bring dir einen Obstkorb mit. Vitamine braucht man immer. Es geht allmählich auf den Winter zu. Brauchst du noch eine Decke oder ein Kuschelkissen?" fragte ich. Ich fragte viel zu viel. Bestimmt nervte ich ihn damit. Was sollte ich auch sonst mit ihm bereden? Es war zur Zeit wirklich schwierig. Er musste immer noch sein Trauma bewältigen und dann noch die ausbreitende Krankheit.
"Frey, hast du Mal darüber nachgedacht, einen örtlichen Therapeuten aufzusuchen, damit du die Vergewaltigung verarbeiten kannst. Ich bin mir sicher, dass dir das helfen wird." schlug ich vor. Irgendwer musste es doch aussprechen. Natürlich würde ich bei ihm sein, wenn er es wollte. Einfach so als Stütze, doch er musste es wollen. Es muss von ihm kommen. Er ist derjenige der Kämpft.
"Nur wenn du bereit bist." fügte ich hinzu und hielt dann auch endlich meine Klappe.
Ich nickte nur und holte mein Handy hervor und suchte die Karaokeversion von dem Song heraus. Als ich ihn gefunden hatte, legte ich mein Handy auf den Nachttisch ab und wendete mich Frey zu. Unter der Decke suchte ich seine Hand und verschränkte diese mit meiner. Ich sah ihm in die Augen und lächelte ihn aufmunternd an.

"~Woke up this morning
can't shake the thunder from last night
You left with no warning
and took the summer from my life

I gave you my everything
and now my world it don't seem right
Can we just go back to be us again?

Cause when I'm sitting in the bar all the lovers with umbrellas always pass me by
It's like I'm living in the dark and my heart's turned cold since you left my life
And no matter where I go boy I know I'm found alone, there ain't no blue sky
I don't know what I'm doing wrong

Cause baby when you're gone all it does is rain, rain, rain down on me
Each drop is pain, pain, pain when you leave
It's such a shame we fucked up you and me
Cause baby when you're gone all it does is rain

And it feels like oooooooohhh, oooooooohhh
And it feels like oooooooohhh

Cause baby when you're gone all it does is rain~"

Wahrscheinlich überraschte es Frey, dass ich für ihn ein Ständchen hielt. Ich hatte lang nicht mehr gesungen und war damals in der Armee auch im Chor. Ich mochte es zu singen, auch wenn ich damit kein Geld verdienen konnte. Bis jetzt hatte ich nie was schlechtes gehört. Ich konnte damit ein paar Leute begeistern und auch mal einen Kerl abschleppen, aber dies bedeutete nichts, im vergleich zu Freys Meinung.

"~Yeah, I try to find shelter here in the arms of someone new
But I'd rather be there under the covers just with you, oohh

Cause you were my everything now I don't know what to do
Ooh I'm caught up in the storm

Cause baby when you're gone all it does is rain, rain, rain down on me
Each drop is pain, pain, pain when you leave
It's such a shame, we fucked up you and me
Cause baby when you're gone all it does is rain

And it feels like oooooooohhh, oooooooohhh
And it feels like oooooooohhh
Cause baby when you're gone all it does is rain

Cause when I'm sitting in the bar all the lovers with umbrellas always pass me by
It's like I'm living in the dark and my heart's turned cold since you left my life
And no matter where I go well I know I'm found alone, there ain't no blue sky
I don't know what I'm doing wrong

Baby when you're gone all it does is rain, rain, rain down on me
Each drop is pain, pain, pain when you leave
It's such a shame, we fucked up you and me
Cause baby when you're gone all it does is rain

And it feels like oooooooohhh, oooooooohhh
And it feels like oooooooohhh
Cause baby when you're gone all it does is rain~"

Als die Musik verstummte, war ich auf seine Reaktion gespannt. Wenn er es nicht mochte, dann würde ich für ihn wahrscheinlich nie wieder singen. Es sollte ihm helfen, gefallen und vielleicht ablenken. Auf meiner Liste setzte ich ein kleines Radio, damit er die Radiokanäle nach skandinavischer Musik absuchen konnte. Wahrscheinlich würde ihm das gut tun. Musik tut jeder Seele gut.
Er brauchte Ablenkung und wenn ich ihm diese nicht geben konnte, dann eben ein Radio. Wahrscheinlich sollte ich das nächste Mal etwas schwedisches singen. Zurzeit gefiel mit die neue Single von Sunrise Avenue ganz gut. Aber ich fand es nicht passend zu unserer "Beziehung" Ich wollte Frey nicht helfen, mich los zu werden oder gar zu Hassen. Was jedoch wahrscheinlich das beste für uns wäre.
"Soll ich lieber was skandinavisches singen?" bot ich ihm an.


The Script - Rain
https://www.youtube.com/watch?v=-iA-MHxa8C8

Etwas von Zuhause mitbringen? *Oh nein nein nein nein!* Sofort lehnte ich in meinem Kopf sein nett gemeintes Angebot ab. Nicht, weil ich seinen Kochkünsten nicht vertraute, die hatte ich ja zumindest einmal schon kennenlernen dürfen. Ich wusste zwar nicht, was seine anderen Gerichte denn so hergaben, manche Menschen konnten ja zum Beispiel nur zwei, drei Gerichte gut kochen und der Rest war Müll, aber selbst von zwei Gerichten konnte man sich ganz gut ernähren, wenn man als Alternative das Essen hier in diesem Krankenhaus hatte. Und vieles konnte man ja abwandeln. Aus Möhren wurde Tomaten, aus rot wurde grün und warm wurde zu kalt etc. Da konnte man ja genug seine Kreativität auslassen, besonders bei Beilagen. Und wozu gab es Dosen und Gläser? Auch wenn das natürlich nicht das Nonplusultra war. Nein, der springende Punkt war, dass es Aufwand und Arbeit war. Behandle andere so, wie du selbst gerne behandelt werden möchtest. Ihm ging es doch selbst nicht sonderlich gut oder?! Und wie konnte ich jemals im Leben diese Schuld an ihn zurückzahlen? Er hatte mir schon das Leben gerettet, alleine das war nie wieder gut zu machen. Er blieb ja sogar noch in diesem grottigen Krankenhaus bei mir! Und das, obwohl ich quasi nur apathisch als ein großes Häufchen Elend in der Ecke saß. Nein, er würde doch jetzt nicht wirklich auch noch für mich kochen oder?!
"Ach was, das ist doch gar kein Problem. Sie gehen bestimmt nur auf Nummer sicher, dass sich niemand verbrennt oder so scharf ist. Man muss zugeben, das Essen ist sehr sehr magenschonend. Und das Abendessen sollte im Idealfall ja sowieso leicht sein, nicht wahr? Zur aller größten Not kann ich mich ja immer noch der Cafeteria bedienen. Wie ist diese denn so ausgestattet?" Man konnte ja nun wirklich beim besten Willen erwarten, dass ein deutlich kleineres Krankenhaus wie dieses, was natürlich auch weniger Geld vom Staat zur Verfügung hatte - wenn es nicht sogar privat war. "Jegliche Vitamine werden eh zerkocht jenseits der 40 Grad Grenze. Enzymaktivität und so." Schief lächelnd rutschte ich eine Haarsträhne mit meinen Fingern zurecht. Ich wollte nicht altklug klingen. Es war halt Fachwissen. Ich hatte dafür keine Ahnung von Gebäudesicherung, Gewehren, Funkgeräten oder so etwas in der Art. Aber das sollte ihn jetzt nicht bloßstellen. "Entschuldige...", gab ich deshalb sogleich reumütig zu tage und senkte denk Kopf abermals ab und in eine andere Richtung, weg von ihm.
"Oh...Hm...wenn es wirklich auf Wasserbasis ist, dann hätte ich es wahrscheinlich wirklich trinken können...", murmelte ich und sah zu der Tasse hinüber. Appetit auf irgendetwas verspürte ich jedoch nicht, obwohl ich gut gemachtes Essen schätzte. Zu gar nichts hatte ich Lust, ich wollte irgendwo einfach nur in Koma fallen. Nicht einmal schlafen, dort könnte ich ja vielleicht noch träumen. Nein, ich wollte einfach komplett abwesend sein. Am liebsten ja noch körperlich. Unsichtbar. Aber mindestens einer wäre damit alles andere als einverstanden...oder? Aus den Augenwinkeln betrachtend zuckte ich plötzlich zusammen. *Vergewaltigung...* Wie eine Mahnung brannte es sich ohne Vorwarnung in meinen Gedanken ein und ließ mich binnen Sekunden die Nacht nochmal erleben. Plötzlich hatte die ganze Sache einen Begriff bekommen. Sie war nicht mehr nur da, sie hatte eine Bezeichnung, einen Namen. Früher hatten die Menschen ihren Kindern erst später Namen gegeben, da sowieso viele früh verstorben waren. Ein Name, das gab Dingen Gestalt. Man band sie an sich. Und unwohl es ein allseits bekanntes Wort war, so löste es bei mir doch Schlimmes aus und ich war erst einmal wie benebelt. Nein...Nein nein nein nein...Meine Pupillen, die mit dem Schock winzig klein geworden waren, wurden jetzt aufgrund der Dunkelheit rasch wieder groß und ich begutachtete meine Hände in meinem Schoß. "Nein...nein...", murmelte ich tranceartig.
Es lag nicht an meinen mangelnden Englischkenntnissen, sondern der fehlenden Konzentration, dass ich den Text nur unterbewusst wahrnehmen konnte. Stumm hockte ich unter der Bettdecke, unter welcher auch unsere Hände waren - meine jedoch ganz leblos, kühl und blass. Nicht einmal das schöne Lächeln konnte ich in seinem Gesicht sehen.
Erst als die Musik sich langsam dem Ende neigte, hatte er mich wieder etwas in die Wirklichkeit zurückgeholt und ich konnte die letzten 6 Zeilen des Liedes vernehmen. Seine Stimme war wirklich schön. Keine Weltklassestimme mit ganz außergewöhnlichem Wiedererkennungswert, aber für einen ungeübten Sänger großartig. Man konnte da wirklich nicht meckern. Ich klatschte ihm ein bisschen zu, entließ ein kleines Lachen von meinen Lippen. "Du bist ein guter Sänger! Woher kannst du das? Solltest du später in Pension gehen, kannst du ja Sänger in Bars werden so was kleines feines. Ich würde bestimmt eine CD von dir kaufen." Wenn er in Rente ging, müsste ich noch vergleichsweise lange arbeiten. Menschen wie er durften sich früh zur Ruhe setzen. Aber er war ja auch kein unbedeutender Krankenpfleger so wie ich es war.
Gerne hätte ich ihm konstruktive Kritik gegeben oder mich WIRKLICH gefreut. Doch meine Seele war müde und behangen. Unter normalen Umständen hätte man mir die Freude angesehen. Ich war ein sehr zurückhaltender Mensch und unauffällig, aber wären es nur wie zwei gewesen, vielleicht sogar noch mit ein bisschen Alkohol im Blut, dann hätte ich gelacht und mitgewippt, vielleicht sogar Lust bekommen zu tanzen. Lobhymmnen hätten ihn erreicht natürlich hätte ich mir nur allzu gerne ein weiteres Lied wünschen wollen. Doch aktuell war nur ein Aspekt meines Charakters sichtbar, gemischt mit Leere und Traurigkeit. Erik war direkt neben mir, hielt sogar meine Hand. Und dennoch wirkte er weit weg. Und ich für meinen Teil, ich fühlte mich immer noch verloren. Und ein denkbar schlechter Mensch. Unabhängig davon, dass ich Christ war (wobei dies mein Selbstmitleid natürlich noch verstärkte) "Hm...ich weiß nicht...?" fragte ich schüchtern, mehr mich selbst als vielleicht ihn. "Ich bin müde...", offenbarte ich ihm. "Aber ein Teil von mir will...oder kann nicht schlafen..." Ich versuchte zu erklären, was mit mir los war, doch ich wusste es ja selbst nicht. "Erik, ich hab mich noch nie so gefühlt..." Leise hauchte ich: "Vielleicht ist das doch die Empfindung, wenn das Göttliche deinen Körper verlassen hat...Und einige Patienten die krank sind, sie berichteten mir, dass sie richtig spüren konnten, wie der eigene Körper einen von innen ausfrisst." Nach wie vor war es dunkel im Zimmer. Und bis auf unsere Stimmen still. Nichts was ich sonst mochte. "Grau...ruhig...dunkel...das dürfte mir nicht gefallen...aber das alles jetzt..." Ich sah an die Ecke. Wie sollte ich es ausdrücken? "Wir sind eins...?..." Seit wann fühlte ich mich mit dem "Dunklen und Hoffnungslosen verbunden?....

Ich lauschte seinem Schmerz. Es war tragisch und doch gut zugleich. Er konnte und wollte mit mir über sein inneren Schmerz reden. Er fühlte sich Hoffnungslos, Einsam und irgendwie nicht er selbst. Dies war ganz normal. Nach einer Vergewaltigung fühlte man sich Unwohl in seinem eigenen Körper, man denkt, die Dunkelheit zerfrisst einem. Ich verstand so gut. Ich fasste einen Beschluss und erhob mich von meinem Stuhl und umrundete das Bett.
"Rück Mal ein Stückchen." bat ich ihn und als er dies tat, legte ich mich hinter ihn, auf die Seite, hielt natürlich einen gewissen Abstand und dennoch war ich ihm ganz nah.
"Auch wenn du mir das nicht glauben wirst, aber ich versteh dich. Diese Hilflosigkeit, Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit. Ich durfte dies auch einmal am eigenen Leib spüren. Es war nicht schön und würde es niemanden empfehlen. Es war die Hölle. Ich ging für eine kurze Zeit durch die Hölle. In der Armee waren das Vorbeugemaßnahmen, wenn jemand aus einer Einheit gefangen oder erschossen wird, hatte die Armee sich gedacht, wieso lassen wir unseren Männer es nicht spüren, damit man für den Ernstfall gewappnet ist. Beim erschießen, hätten sie es echt lassen können, aber alles andere hat zu dem Moment Sinn ergeben. Jeder musste 4 Maßnahmen über sich ergehen lassen.
Ich wurde erschossen, wurde durchs Waterboarding ertränkt, man spielte mit mir russisches Roulette und lebendig begraben. Jeder dieser Maßnahmen war die lebendige Hölle, dass kannst du mir glauben. Aber es hat geholfen. Es hat mich gestärkt und wahrscheinlich auch verstört. Aber anderen wurde noch mehr Leid zugefügt. Es gibt immer wieder Situationen, wo ich denke, dass es anderen noch dreckiger geht als mir. Und doch denke ich immer wieder daran, dass dieser Terroranschlag das schlimmste war, was ich jemals erlebt hatte.
Was ich eigentlich damit sagen will, deine Vergewaltigung kann dich einerseits schwächen, wenn du es zulässt, dass dieses Ereignis dein Leben bestimmt. Anderseits kann es dich stärken, indem du gegen deine Ängste kämpfst, dich ihnen stellst und verarbeitest. Nach den Maßnahmen habe ich lange Gespräche mit den Psychologen und Ärzten geführt und es halt geholfen. Auch die Gespräche mit meinen Kollegen aus der Einheit. Jeder hat das gleiche durchgemacht. Es hat uns zusammen geschweißt. Als Team und auch als Freunde. Deswegen finde ich es sehr wichtig, dass du mir oder einem Therapeuten erzählst, was in die vor geht. Egal wie unbedeutend du es findest, es ist besser es raus zu lassen, als das du es verschweigst. Jemand Fremdes hat dich beschmutzt. Das zieht an niemanden Spurlos vorbei. Doch du hast Halt. Meinen Halt. Ich werde dich nicht verurteilen oder hassen, wenn du deinen Schmerz, deine Wut raus lassen musst. Tue es, wenn dir danach ist, schlag mich, schreie mich an. Alles ist besser als das du schweigst. Emotionen sind wichtig. Sie zeigen das du Lebst. Das du Leidest, dass du es verarbeitest. " erzählte ich ihm und hoffte, dass er verstand, dass es einfach wichtig war.
"Du wirst das schaffen. Gib dich nicht auf. Lass dieses Arschloch nicht gewinnen. Lass niemanden Gewinnen. Sei du der Sieger über diesen Virus, über diesen Wichser und zeig Gott, dass es sich lohnt, einen so starken Engel an seiner Seite zu haben. Ich bin mir sicher, dass Gott zuversichtlich ist, dass du diesen Kampf deines Lebens Meisters und allen zeigst, wie Stark du wirklich bist. Niemand schafft es ohne Hilfe, aber vieles musst du mir dir ausmachen. Ich kann dich nur unterstützen, an deiner Seite sein und jede deiner Entscheidungen akzeptieren und respektieren." gestand ich und strich zärtlich durch sein leicht fettiges Haar, was mir jedoch total egal war. Es war Frey, dem es dreckig ging und einfach etwas Zuwendung benötigte. Nicht zu viel, doch ein bisschen durfte es sein.
"Und es nicht kein Problem für mich, für dich zu Kochen oder irgendwas vorbei zu bringen. Christ zu sein, bedeutet nicht mit dem was man hat oder bekommt, zufrieden zu geben. Ich möchte, dass du Gesund wirst. Und mit dem Essen wirst du das nicht. Da kannst du Sagen was du willst, ich werde dich verwöhnen, weil du es dir einfach verdient hast. Jeder verdient es. Und Gott würde nicht wollen, dass du sowas zu dir nimmst. Da bin ich mir sicher.
Vielleicht würde ein Gang in die örtliche Kapelle dir gut tun. Etwas Nähe zu Gott. Was meinst du?" schlug ich ihm vor und versicherte ihm jegliche Unterstützung, die ich ihm geben konnte.
"Ist es okay so, oder soll ich wieder lieber auf den Stuhl?" fragte ich, da ich mich ihm ja schon aufgezwungen hatte. Meine Erfahrung mit Folter konnte ich ihm nicht einfach so ins Gesicht knallen. Es ging mir selbst an die Substanz. Es war hart für mich, hat mich fürs Leben geprägt. Gut sowie schlecht.

Etwas fragend fügte ich mich seiner Aufforderung, rutschte auf der dicken Matratze nach vorne, damit er sich hinter meinem Rücken platzieren konnte. *Was kommt denn jetzt?!*, fragte ich mich selbst im Stillen, zugegen deutlich verunsichert und etwas ängstlich. Ich glaubte nicht daran, dass das Geschehene mich jetzt auf ewig ändern würde, doch zumindest im Moment waren mir Berührungen noch nicht wirklich etwas. Besonders nicht hinter dem Rücken, wo auch ER gestanden hatte und wo ich nichts sehen konnte, noch weniger Kontrolle über die Person hatte als ja auch so schon. Aber es war Erik...er würde mir nicht wehtun wollen oder?...Eigentlich war ich mir der Sache da so ziemlicher sicher. Und ich wollte ihm auch wirklich vertrauen, doch böse Stimmen in meinem Kopf erzählten mir etwas ganz anderes und ich drückte den Rücken durch, beobachte ihn aufmerksam, sodass ich bei der kleinsten Bewegung ebenfalls schnellstmöglich reagieren könnte. Doch meine Bedenken schienen wirklich mehr als unbegründet zu sein. Nun ja, hätte er mir wirklich etwas antun wollen, dann hatte er ja auch schon gestern den ganzen Abend Zeit gehabt oder nicht? Wobei er jetzt erst einmal wenigstens keine Zeugen hätte. Ach Quatsch! Was dachte ich da?!
Mit Entsetzen hatte ich mir gezwungenermaßen anzuhören, was er durchgestanden hatte und konnte mir die Bilder regelrecht vorstellen. Blutend, mit Wunden und Hämatomen übersehen. Ob sie weinten? Männer hatten nicht zu weinen, doch in meinen Gedanken taten sie dies, unter Androhung weiterer Folter. Menschen zu sehen die erstickten war grässlich, Schusswunden waren es ebenso. Doch die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in den Gesichtern von Patienten und deren Angehörigen waren noch viel schlimmer. Sie alle fragten sich: Warum ich? Und wir fragten uns dies auch mehr als einmal am Tag. Warum sie? Nun war ich in der selben Situation gefangen. Aber nach seinen Erzählungen fragte ich mich nicht mehr nur primär: Warum ausgerechnet ich? Sondern einfach nur die simple Frage nach dem Warum? Medizinisches Personal legte den Hypokritischen Eid ab, wir halfen den Menschen und retteten Leben. Und genauso wurden auch die Auszubildenden erzogen. Jedes Leben ist gleich viel Wert und sollte wenn möglich um jeden preis gerettet werden. Egal ob es ein Kind war oder ein Schwerverbrecher. Wie einverstanden man mit dieser Regelung war, das war natürlich eine andere Sache, doch es wollte mir nicht in den Kopf gehen, wie man bewusst gegen dieses Menschenrecht verstoßen konnte. Wissentlich und mehrmals.
"Hör auf!", bat ich ihn verzweifelt, die Augen zugekniffen, als könne ich so den Bildern entkommen. Ich war ziemlich nah am Wasser gebaut und konnte beim besten Willen solch ein Leid nicht mit ansehen. Wenn dann half ich! So wie ich es nun einmal in meinem Beruf tat.
Stärken? Stärken wie? Und sollte ich mich denn jetzt mit anderen Vergewaltigungsopfern zusammentun? Mir anhören, zu allem Überfluss, wie so etwas denn einem Mann passieren könnte, denn: Männer, die waren doch stark du kräftig, da dürfte man sich doch wehren können oder? Vielleicht würde man aber auch die Tatsachen verdrehen. Ich hätte es gewollt, es war einvernehmlicher Sex. Das würde ich nun wirklich nicht verkraften, ich war zu strikter Ehrlichkeit erzogen worden und jeder Verstoß gegen diese Regel löste in mir schon Unbehagen und Schuldgefühle aus. Oh nein, ganz bestimmt nicht. Meine Probleme gingen niemanden etwas an, schon gar nicht Freunde. Aber vor allem wollte ich darüber nicht mehr reden. Sobald ich hier raus war wollte ich die ganze Sache aus meinem Leben streichen. Ganz einfach, als wäre sie nie dagewesen. Ob das nun gut oder schlecht war, darüber ließ sich natürlich streiten, aber in meinen Augen war das für mich der beste Weg und am Ende musste ja vor allem ich zufrieden sein mit meiner Entscheidung. Und im Endeffekt auch dafür gerade stehen. Wenn es nach mir ginge, würde ich dann sogar nahtlos zurück in den Krankenhausalltag einsteigen. Natürlich ganz normal zurück in mein altes, eigentlich geliebtes, Hauptstadtkrankenhaus. Doch was für eine Schikane würde mich da vielleicht erwarten?! Mattis hatte schließlich ganz deutlich bekannt gegeben, was er von meiner Person noch hielt. Würde er mir auch wirklich wehtun? Unser Arbeitsplatz bot viele, viele Möglichkeiten kreativer Unfälle und noch mehr. Wäre er dazu in der Lage?! Fürs Erste jedoch sollte ich mir darüber nicht auch noch Gedanken machen, Das Träume bezüglich des Übergriffes war Baustelle genug und dann würde mein Körper auch noch an die Grenzen seiner Möglichkeiten gehen. Noch hatte keine Wirkung eingesetzt, doch im Hinterkopf wusste ich eigentlich schon bereits, dass jetzt die vielleicht schrecklichste Zeit meines Erwachsenendaseins beginnen würde. Ich konnte ja nicht einmal Alva einweihen. Der Scham war viel zu groß. Geschweige denn meine Eltern, die meines Erachtens sowieso auflegen würde, würde ich das Wort "Mann" oder "Mattis" auch nur wagen auszusprechen.
Zweifelnd sah ich von oben mit meinen hellen trüben Augen auf ihn herunter. Eigentlich meinte er es ja nur gut.. Aber trotzdem hätte ich wohl lieber auf die Erzählung verzichtet. Besonders da, wo ich selbst mit mir einiges zu tun hatte. Mit gemischten Gefühlen ließ ich ihn über mein Haar streicheln. Hygiene war ein wichtiger Punkt in meinem Leben und jetzt hatte ich das Gefühl wie der Oberpenner auszusehen. Und ebenfalls so zu riechen. Wobei es so schlimm ja noch nicht einmal ansatzweise war. "Bitte tu das nicht. Ich...ich weiß es wirklich zu schätzen, aber das KANN ich einfach nicht annehmen! Auch Jesus hat in ganz einfachen Verhältnissen gelebt, ich MUSS mich mit einfachen Dingen zufrieden geben. Besonders wenn ich...wenn ich Gott überzeugen will, dass ich es Wert bin, das er über mich wach. Erik, es ist doch nichts gegen dich!" Wen durfte ich jetzt hintergehen? Die einzige Person, die zu mir stand? Oder meinen Glaubensvater? Ich wollte das Ganze nicht mehr. Genau deshalb war ich doch nicht mehr regelmäßig in die Kirche gegangen oder hatte gebetet. Ein wirklich guter Christ zu sein bedeutete nun einmal, sehr keusch zu leben, mit den einfachen Dingen. Niemals lügen, keinen vom selben Geschlecht begehren, die Eltern immer ehren, zu jedem lieb und freundlich sein, regelmäßiges Beten und Kirchengänge. All das hatte mich irgendwann erdrückt und doch gab mein Glauben mir halt. Nur durfte das sein? Dann Christ sein, wenn es bequem war? Ein "moderner" Christ? Wer wusste die Antwort schon? Gab es überhaupt eine?! Ich überging die Frage, ob er auf den Stuhl rutschen sollte. Vielleicht war die mehr oder weniger unterbewusste Nähe, ja ganz gut?!..."
"Wir...wir greifen schon genug ein in Gottes Werken...V-V-Vielleicht möchte Gott einfach nicht, dass ich gesund werde!" Schiere Angst fuhr durch meine Gliedmaßen. Ich hatte doch noch nicht lange auf dieser Welt verweilt! Ich war doch erst in meinen Zwanzigern! Und was stand mir dann bevor? Die Hölle?! Tränen. Schon gar nicht mehr erwähnenswert, denn sie gehörten ja nun zu mir wie das Atmen. Ob es dem Polozisten neben mir schon auf den Sack ging? Mit der altmodischen Christen-Heulsuse in der Dunkelheit zu sitzen und gemeinsam im Selbstmitleid zu versinken? "Ich muss dich vielleicht wegschicken, damit er zufrieden ist...Es tut mir leid...!" So viele Fragen in meinem Kopf und keiner der Antworten hatte. Ich wollte mein Gehirn einfach ausschalten. Jeder hatte seine Aufgabe im Leben, vielleicht war meine schon erfüllt. Aber was war diese Aufgabe? Tat ich Gott Unrecht damit, so etwas über Erik zu sagen?! "Vielleicht hat er dich aber auch extra zu mir geschickt...", piepste ich. Beides könnte möglich sein. Entweder wollte er meine Treue zu Gott testen oder er wollte mir helfen. Was war Eriks Rolle hier? Ich schluchzte leise. "Jetzt? Du willst jetzt in die Kapelle?" Ich war unsicher über dieses Vorhaben. Weder vollkommen abgeneigt, noch 100 Prozent zugewandt.

"Nein, nicht jetzt, aber allgemein ein Besuch würde dir bestimmt gut tun. Ich weiß nicht, war nur so ein Vorschlag. Du bist so niedergeschlagen und hast den Glauben verloren, was dir doch wichtig ist. Vielleicht nicht mehr so sehr, wie die ältere Generation, damit kannst du dich nicht vergleichen, aber jetzt... du bist Religiös und du brauchst diesen Halt. Habe ich zumindest das Gefühl. Ich allein kann dir einfach nicht helfen. Ich hab das Gefühl, dass es dir Egal ist, was ich verstehe, aber es darf dir nicht Egal sein. Es ist dein Leben, dass du weg wirfst, wenn du aufgibst. Es ist wichtig... finde ich und du solltest Gott nah sein." erklärte ich ihm und setzte mich im Bett auf und setzte mich an den Rand.
"Kann ich dir irgendwie Helfen? Ich fühl mich selbst so Hilflos. Als ob ich dir DAS angetan hätte. Ich trage zwar Schuld daran, dass es soweit gekommen ist und doch kann ich dir einfach nicht mehr Helfen, als für dich da zu sein oder dir was zu kochen oder eine Wohnung anzubieten. Aber du musst es wissen. Ich werde dich bei jeglicher Entscheidung unterstützen. Egal ob du dich für den Weg Leben oder für den Weg Selbstmitleid entscheidest." gestand ich und sah auf den kahlen, hässlichen Limolium Fußboden und baumelte mit meinen Füßen hin und her.
"Du solltest Schlafen. Wahrscheinlich wirst du kaum ein Auge zu machen können. Ruh dich aus. Ich werde hier sitzen und bei dir sein, wenn es soweit ist." riet ich ihm und stand auf und setzte mich auf den stuhl, damit er das Bett für sich hatte. Er brauchte den Platz und wahrscheinlich auch keine Nähe.
Ich machte es mir in diesem ungemütlichen Stuhl so gemütlich, wie es irgendwie geht und holte mein Handy hervor und las ein paar E-Mails, die hautsächlich von Fred stammten. Ich beschäftigte mich nicht großartig mit den Nachrichten und schloss die App und surfte stattdessen im Internet rum und las ein paar Nachrichten. Meine Accounts in der Social Media Welt musste ich nicht öffnen, um zu wissen, dass ich nur Hassmails und Morddrohungen bekommen würde. Meine Vorgesetzten hatten sich nach der Kündigung auch nicht mehr gemeldet. Wahrscheinlich flatterte Bald ein Brief ins Haus, wo die Kündigung drin war, ich eine gewisse Ablösesumme, von der ich weiß, dass ich damit ein halbes Leben sorglos überdauern könnte. Und nichts davon machte mich glücklich. Ich war traurig, ausgelaugt und war einfach nur auf Frey fixiert.
Er sollte einfach wieder gesund werden, Leben und mit einem Lachen durch die Welt schreiten. Aber davon war er Meilenweit entfernt.
Die Nacht verging nur schleppend und ab und zu beobachtete ich Frey, wie er sich von einer auf die andere Seite drehte. An Schlaf war da nicht zu denken. Ich holte vorsorglich einen Eimer, einen kalten Lappen und befüllte ein Glas mit Wasser. Natürlich musste ich mir ein paar Seiten heraus suchen und mich über HIV und das Ansteckungsrisiko, durchlesen. Nicht wirklich schön, aber ich war wirklich zuversichtlich.
Ich glaubte daran, dass alles wieder gut werden würde. Er würde auch einen neuen Job finden und ich würde ihn unterstützen. Vielleicht sogar als Liebhaber. Aber das waren alles nur Hirngespinste. Nichts, was wirklich wahr werden würde. Außer, dass er wieder Gesund werden würde und in seinem Job, irgendwo anders, aufblühen könnte.

"Von einer richtig schönen Kapelle hier in der Nähe weiß ich gar nicht...", gestand ich kleinlaut. "Nur zwei...drei...mehr oder weniger kleine feine Kirchen. Eine richtige Kapelle hat aber sicherlich nochmal ein ganz anderes Flair." Wahrscheinlich hatte Erik recht. Jetzt um diese Uhrzeit sich zu irgendeiner Kapelle aufzumachen wäre wohl kontraproduktiv. Kalt und dunkel, wir müssten sowieso ja erst einmal eine heraussuchen und wirklich in unmittelbarer Nähe würden wie da wohl nicht so viel Möglichkeiten zu Auswahl haben, doch wenn ich ehrlich war, blieb ich dann doch lieber ganz im Bett, als in irgendeine, von morschen Holzbrettern zusammengebaute, Hütte zu gehen die nur sehr unverdient die Bezeichnung "Kapelle" hatte. Immerhin wusste er eines: mein Glauben war mir wirklich wichtig. Wie bereits erwähnt, nicht so schlimm, beziehungsweise besser formuliert: nicht so extrem glaubensveranlagt, wie es 5 Generationen zuvor noch gewesen waren, aber ein wichtiger Bestandteil meines Lebens war es doch schon gewesen. Ich war selbst in einem sehr kleinen, natürlich christlichen, Krankenhaus zur Welt gekommen. Wurde getauft, konfirmiert und wenn ich könnte würde ich auch kirchlich heiraten. Wobei... dazu wäre ja auch erst einmal ein Partner, beziehungsweise Partnerin von Nöten. Und ein gleichgeschlechtliches Paar zu trauen, dazu meldeten sich die Gotteshäuser nicht gerade freiwillig. Aber wann stand dies schon einmal zur Debatte?!
Die harten, direkten Worte taten weh und waren in meinen Augen mehr als unangebracht. Aber gut, ich konnte nicht erwarten mit Samthandschuhen angefasst zu werden. Ich mochte ja vielleicht krank sein, aber nicht jeder sah sich deshalb sogleich in der Pflicht mir eine besondere Behandlung zukommen zu lassen. Und ich konnte meinem Gegenüber wohl schon mir als dankbar sein und ihm sprichwörtlich die Füße küssen, dass er seine kostbare freie Zeit überhaupt hier bei mir in diesem Krankenhaus voller unfreundlicher Leute, karger Einrichtung und unzumutbaren Essen verbrachte. Also hielt ich mich mit Kommentaren bedeckt.
"Ach weißt du...Sei mir nicht böse, aber...ich glaube hätte ich einen Plan, hätte ich auch selbst schon etwas in die Hand genommen...", antwortete ich nur tonlos, auf die Frage was er für mich tun könne, somit nur sehr sehr spärlich. Der Schwede würde wohl kaum für sich etwas Brauchbares aus dieser Aussage ziehen können, aber ich wusste mir selbst ja nicht einmal ansatzweise irgendwie zu helfen. Zu meiner Familie konnte ich nicht gehen, nicht in die Kirche, zu groß der Scham, mit Arbeitskollegen darüber zu reden. Jemand Fremdes würde mir verständlicherweise nicht zuhören, glauben oder mich auslachen und naja, was Mattis für eine Stellung bei mir momentan hatte, wobei das interessante er andersherum war, dass wusste Erik nur allzu gut. Wohin also mit Angst, Wut, Hoffnungslosigkeit etc.? Zu Tieren hatte ich keinen Draht und Blogger oder dergleichen war ich auch nicht. Nicht einmal mehr arbeiten, um mich eventuell abzulenken, konnte ich noch. "Vielleicht...könntest du mir ja irgendeine Beschäftigung mitbringen...?", piepste ich nach einer kleinen Pause und sah ihn etwas von der Seite an.
Es kehrte schnell Ruhe ein, nachdem der ehemalige Polizist mir riet, schlafen zu gehen. Sehr wahrscheinlich lag er mit dieser Empfehlung goldrichtig, viel Ruhe würde ich im Allgemeinen die nächsten Wochen jetzt nicht mehr bekommen, als würde ich einen Geburtsvorgang immer wieder und wieder erleben. Doch am Ende wartete auf mich kein Geschenk Gottes. Wenn ich Glück hatte Heilung, aber auch das war nicht garantiert...Und so angemessen wie der Vorschlag war, irgendetwas in mir strebte sich weiterhin, mich zur Ruhe zu setzen. Nur konnte ich nicht erklären was. Normalerweise wusste man ja, was die innere Unruhe in einen bewegte und bestenfalls wusste man diese sogar noch zu besiegen, aber heute war mein Kopf in der Hinsicht völlig blank und mit Fehlercodes übersäht, weshalb ich es schlichtweg aufgab...Trotz Decke fröstelte es mir ziemlich schnell, aufgrund der fehlenden Körperwärme. Allzu genau kannte ich nun auch nicht jede Nebenwirkung, aber es war gut möglich, dass Schüttelfrost dazugehörte. Immerhin wehrte sich mein Körper gegen einen Virus. Nach Abhilfe suchend rollte ich mich einfach wie ein Igel in eine Kugel zusammen und versuchte zu entspannen. Pustekuchen. Erik blieb währenddessen, in blau-weißes Handylicht gehüllt, die ganze Zeit wach - solange zumindest, wo ich auch noch die Augen ab und an aufhatte. Stumm bettelte ich um irgendetwas, nur wusste ich was und weshalb und wie...Und überhaupt. Gerne hätte ich ihn auch gefragt, ob er bei Gelegenheit zuhause mein Handy ebenfalls an ein Ladekabel schließen könnte, doch wenn ich Pech hatte funktionierte dies nach Sturz und Nässe auch gar nicht mehr funktionsgemäß oder war gänzlich hinüber. Wundern würde es mich bei meiner jetzigen Richtung des Schicksal ja nicht einmal ansatzweise.
Irgendwann wandte ich mich dann das letzte mal von dem Mann neben mir ab, was natürlich noch lange nicht hieß, dass ich schlief, aber es löste einfach kein gutes Gefühl in mir aus, ihm zugewandt zu sein. Dann hatte ich nur das Gefühl, in mir würde das "Karussell" noch schneller drehen und dann hätte ich irgendwann überhaupt keine Ruhe mehr und dies wäre kontraproduktiv. Nur der Zustand körperlicher Erschöpfung, ließ mich schlussendlich in den Schlaf sinken, wo ich viel zu kaputt war, als dass ich hätte träumen können. Geschweige denn, mich nach dem Aufwachen daran zu erinnern.
Und dieser Zustand wurde weitaus schneller hervorgerufen, als mir lieb war. In einer Phase des leichteren Schlafes riss es mich aus dem natürlichen Auflademodus meines Körpers heraus. Wie ein Mückenstich, der mit zunehmender Zeit zu sehr anfing zu jucken und einen weckte, erlaubten es mir die Schmerzen nicht mehr, weiterzuschlafen. Mir war warm und leise und ruhig schob ich meine schlanken Beine unter der Bettdecke hervor. Jetzt war ich ganz froh, dass die eigentlich voll aufgedrehte Heizung in keiner Weise etwas von ihrer Wärme abgab. Ich bettete mein Kopf auf meinen Arm und begann tief aus dem Bauch zu atmen, weiterhin Mans den Rücken zugekehrt. Es half dennoch nicht und irgendwelche Mediation oder wirkliche Entspannungstechniken beherrschte ich nicht. Die kurze Zeit, die ich mal in der Geburtsstation verbracht hatte, hatte natürlich nicht ausgereicht, um mir irgendetwas anzueignen von dem, was die schwangeren Frauen dort lernten und anwandten. Hätte ich es vielleicht mal getan. Aber gut, wäre ich auf dieser Station geblieben, hätte ich womöglich Mattis nie wirklich kennengelernt und hätte das jetzt hier, aller Wahrscheinlichkeit nach, sowieso nicht durchzustehen. Der Fakt, dass das Zimmer keine Uhr hatte, machte mich irre, war aber doch noch am ehesten mein geringstes Problem im Moment.

Als ich das nächste Mal von meinem Handydisplay wegschaute, erkannte ich, dass sich Freys Körperhaltung rapide geändert hatte. Sofort legte ich mein Handy zur Seite und erhob mich von dem Stuhl.
"Frey, was ist los? Hast du Schmerzen? Soll ich jemanden rufen?" fragte ich einfühlsam und streichelte ihm hauchzart über sein Haar. Was konnte ich bloß tun? Wahrscheinlich nichts, außer für ihn da zu sein.
"Wasser und so ist hier. Wenn du was brauchst, dann sag es mir bitte." bat ich ihn und blieb einfach neben ihm sitzen. Ich hoffe inständig, dass die Nebenwirkungen und das Bekämpfen des Virus nicht allzu schlimm für ihn waren.
Ich konnte mir kaum vorstellen, dass sein zierlicher, schmächtiger Körper dies einfach so reibungslos überstehen würde.
Deswegen musste ich mich einfach um ihn kümmern. Ich holte aus dem Schrank ein Handtuch und machte dies mit etwas Wasser feucht, umrundete das Bett und tupfte behutsam seine Stirn und Gesicht ab.

Die Nacht wich dem Morgen und als ich wusste, dass Frey wieder tief und fest eingeschlafen war, da seine Beschwerden sich verbessert hatten, entschied ich mich für ein paar Stunden nach Hause zu gehen und mich ebenfalls frisch zu machen, etwas zu Kochen und ein bisschen zu Schlafen. Ich setzte mein Vorhaben in die Tat um und war in weniger als in einer Halben Stunde Zuhause. Dort ging ich erst einmal Duschen. Ich entledigte mich meiner Kleidung und stieg nackt unter die Dusche, öffnete den Hahn und ließ das warme Wasser über meinen Körper. Ich nahm mein Lieblings Duschgel und seifte mich damit ein. Diese Prozedur war so wohltuend, dass ich einige Minuten länger einplante, nur um mich weiter entspannen zu können. Frey forderte meine gesamte Aufmerksamkeit. Und nun stärkte ich mich wieder für ihn.
Nach der Dusche, trocknete ich mich ab und lief im Handtuch, in die Küche und fing an für ihn die versprochene Suppe zu kochen. Ich hatte alle wichtigen Zutaten beisamen und entschied mich eine leichte Hühnersuppe zu machen und nebenbei ein Lunchpaket zu fertigen, mit viel Obst und Gemüse.
Als die Suppe so vor sich hin köchelte, zog ich mir was bequemes an und legte mich danach im Wohnzimmer, auf die Couch und döste vor mich hin. Ich hatte mir zuvor einen Timer gestellt, damit ich die Suppe nicht aus den Augen verlor. Schließlich war all die Mühe für Frey. Ich wollte, dass er wieder gesund wurde, wieder ins Leben zurück kam. Mehr wollte ich gar nicht. Und wenn er nicht daran glaubte, musste ich umso mehr für ihn daran glauben.

Fast hätte ich es für möglich gehalten, dass Eric mich einfach ignoriert und weiter auf seinem Handy herumtippt, á la Chatting. Oder aber auf irgendwelchen Internetseiten surft, stumm YouTube guckt, seine Galerie durchforstet, zockt, vielleicht fröhlich twittert wie langweilig so ein Aufenthalt im Krankenhaus doch sei, zu welchem man sich semi-gezwungen fühlt um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen oder whatever. Aber so eine Art Mensch war der ehemalige Spezialagent, fast ehemals für mich, dann glücklicherweise doch überhaupt nicht. Seine Worte erreichten mein Gehör schnell und durch die Schmerzen etwas versteift drehte ich mühsam Oberkörper und Kopf und in seine Richtung. Kleine Tränen in den leicht zugekniffenen Augenwinkeln. "Hmm, es tut weh. Aber...es ist auszuhalten...!"
Hörbar atmete ich aus. Ein wenig fühlte ich mich, wie auf die Neugeborenenstation zurückversetzt. Es war eigentlich ganz normal, dass jeder Auszubildende alle Stationen durchläuft. Schließlich wollte man seine Entscheidung weise treffen und gucken, was einem am besten gefällt und zusagt. Warum ich nie auf der Station geblieben bin, wusste ich aber nicht.
Der Schmerz war vor allem im Bauch und Unterleib stark zu spüren. Zufall?! Ich rieb an meinen Handgelenken und drückte diese um mich abzulenken. Ich hatte ihn nicht angelogen, sie waren wirklich noch auszuhalten, wenn auch überaus unschön. Jedoch war ich eine ziemliche "Pussy", was Schmerzen anbetraf, war ich schon immer gewesen und wurde ich wohl auch immer sein. Mein Gemüt war eben sanft, still, feminin. All das passte nicht zu draufgängerisch, Schmerz und all der leichen typisch maskulinen Lebensweisen und Stereotypen. Aber dem Klischee folgend, das war ich ja bekanntlicherweise noch nie gewesen. Aber allzu sehr störte mich das jetzt in der Regel auch nicht so sehr.
"Danke dir...!" würgte ich durch zusammengebissene Zähne hervor und nahm dann anschließend froh über die Unterstützung nahm ich etwas zitternd das kühle Glass Leitungswasser in die Hand. "Kalt!" Beinahe hätte ich es fallen gelassen, doch es schwappten nur einige Tropfen des Nass auf die weiße Bettdecke, welches wohl bald vor allem durch meinen Schweiß nass wurde und nicht durch das Getränk. "Du brauchst niemanden holen. Und bitte keine Schmerzmittel. Ich halte es noch aus und zu viel Medikamente sind doch überhaupt nicht gut...Vor allem nicht jetzt.", hauchte ich fast tonlos, in einer Welle geringerer Schmerzen, sah ihn aber nicht an, sondern ein weiteres mal, eher verächtlich als sonst glücklich und mit dem Gefühl der Behütetheit.
Wie lange dieses Auf und Ab schließlich ging, das wusste ich nicht. Ich dämmerte zwischen Halbschlaf und Starren durchs Fenster, auf meine Gliedmaßen, Gegenstände oder seltener mal auch in das Gesicht meines immer noch anwesenden Besuchers. Froh war ich immerhin eigentlich nur noch darüber, dass ich bis jetzt noch vom Erbrechen verschont geblieben war. Bis jetzt, groß betont, denn uns war wohl allen klar, dass es nur eine Frage der Zeit war. Eine Frage der Zeit oder ich würde es, aus welchen Gründen auch immer, nicht einmal in diese Phase der Behandlung schaffen. Aber so negativ zu denken wollten wir nicht anfangen. Wo mein Krankenhausaugenthalt doch auch erst am Anfang stand. Zu meinem Leidwesen.
Irgendwie am frühen Morgen, die Sonne würde circa in einer Stunde aufgehen, ebbten die Schmerzen mit jedem mal ab und meine Schlafphasen wurden länger und intensiver, endeten in einem erschöpften, traumlosen Schlaf. Doch als ich aufwachte waren die Schmerzen wieder ähnlich stark wie am Vortag da. Nun jedoch psychischer Herkunft. Mit einem Mix aus Wut, einer komischen Sehnsucht und Verzweiflung starrte ich die Tür zu meinem Zimmer wer weiß wie lange an. Nichts erinnerte mehr an seinen Besuch von gestern nach. Nichts. Als wäre er nie dagewesen.
Nachdem ich frisches Bettzeug und ein neues Handtuch bekommen hatte, zeugte auch nichts mehr von meinem nächtlichen Leiden. Doch ich sagte während der ganzen "Prozedur" nichts. Warum auch? Mir war nicht nach Smalltalk und den Angestellten auch nicht. Ich würde mal frech behaupten, dass sie hier im Durchschnitt nicht so glücklich waren, wie ich es an meinem Arbeitsplatz immer gewesen war mit meinen Kollegen.

Gegen Mittag traf ich wieder in dem Krankenhaus ein, in dem meine Liebe lag und sich mit Schmerzen und Beschwerden rumplagen musste. Ich hoffte sehr, dass meine Gesellschaft ihn ablenkte. Ich wollte ihm unbedingt helfen und für ihn da sein. Nach der Dusche, dem kleinen Schlaf und etwas Essen und Kaffee, war ich bereit für Frey. Ich hatte mich gestärkt, un für ihn weiter da zu sein. Außerdem hatte ich gekocht und hoffte, dass er ein bisschen was aß oder überhaupt appetit hatte. Im Krankenhaus ging der ganz normale betrieb weiter. Ärzte und Pfleger liefen rum, kümmerten sich um Patienten und Notfälle. Wirklich kein schöner Job, doch ohne sie, wären wir nicht lange am Leben. Ich lief zu der Treppe, nahm immer zwei Stufen und lief dann zu Freys Zimmer, in dem er nun schon mehrere Tage, lag. Dort angekommen klopfte ich und betrat dann das Zimmer.
"Guten Tag." sagte ich und lächelte ihn an. Ich nahm meinen Rucksack von den Schultern und stellte diesen auf den Stuhl ab.
"Ich hab dir ja versprochen, Suppe zu kochen. Das hab ich auch nicht vergessen. Ich hab auch ein bisschen Gemüse und Obst mitgebracht und Tee." sagte ich und legte alles auf das kleine verstellbare Tablet. Ich schob es ihm zur Seite, ließ meine Tasche zu Boden sinken und setzte mich dann auf die Bettkante.
"Wie geht es dir?" fragte ich und nahm seine Hand in meine.
"War der Arzt für die Vesite da? Hat er was gesagt?" fragte ich neugierig nach.

Die Pausenzeiten zwischen den Medikationen waren wirklich schiere Verarsche. Nachts litt ich Schmerzen, den Morgen brauchte ich um mich einigermaßen von den Strapazen zu erholen, dann flößte man mir am späten Morgen zum Brunch zwangsweise dieses ekelhafte Krankenhausessen ein - wenn man denn das wirklich als Essen bezeichnen wollte, denn ich war mir nicht einmal sicher, ob das, was ich da gezwungenermaßen zu mir nehmen musste überhaupt Lebensmittel waren. Oder ob davon überhaupt mal etwas gelebt hat...Und dann: Ja, dann der Spaß kunterbunt und fröhlich weiter. Nicht. Ich musste Wut und Tränen gemeinsam mit den Pillen runterschlucken und legte mich zurück ins Bett, welches ich schon als mein Gefängnis für die nächsten Wochen und Monate akzeptiert hatte. Meine Gedanken schweiften ab zu den zahlreichen kirchlich motivierten Gemeinschaftsstunden in Parks, Kitas, Behinderteneinrichtungen, aber auch Altersheimen. *So müssen sich die Menschen dort wohl fühlen...Bettlägerig, unfreundliches personal, schlechtes Essen, Hauptnahrungsmittel Medikamente. Und der Todeswunsch als ständiger Begleiter. Zurückgelassen von jeglichen Bezugspersonen, aus Desinteresse, Ekel...weil es sie zu sehr runter zieht. Willkommen beim Abschaum der Gesellschaft..."
Mit trüben Augen dachte ich daran, nachdem ich kurz aus dem Fenster geschaut habe, was in den Nebenzimmern wohl glücklicheres abging als hier bei mir. Personen die nach Unfällen entlassen wurden, aufatmen, weil es doch nur Bluthochdruck ist und nichts schlimmeres, Kinder die zum Impfen da waren, Omis bei Routineuntersuchungen und natürlich die glücklichen Geburten. Dennoch, es war wenig Aufheiterung wenn mich die Schmerzen wellenartig wieder übermannten und ich mich versteifte, wand und schwitzte in meinem schneeweißen Bettzeug. Als der Mittag sich dann langsam dem Ende zuneigte, kam dann auch langsam wieder Entspannung in meinen Körper. Zumindest physisch. Mit Anwiderung dachte ich daran, wie es jetzt schon mit meinem Hygienezustand aussehen musste. Und doch schaffte ich es einfach nicht meine müden Glieder zu bewegen und mich ins Bad zu schleppen. *Wenigstens Zähne putzen...Nein...* Es war erschreckend, wie unglaublich kraftlos ich mich jetzt schon fühlte. Die Sonneneinstrahlung in meinem Zimmer nervte mich. Aber noch nicht so sehr, dass ich mich dafür bewegt hätte. Nein. Ich drehte mich nur mit dem Rücken zum Fenster und rollte mich in eine Embryostellung, als zeitnah die Tür aufging.
Entgegen meiner Erwartungen trug besagte Person keinen Kittel und meine Miene verfinsterte sich nur dunkel beim Anblick meines Besuchers. Ich war sauer! "Was machst du für ein Lärm mit deinen hektischen Schritten. Ich bin leider noch nicht tot, nur müde." Abwertend sah ich ihn an, als er anfing zu reden. "Du hast auch versprochen für mich da zu sein. Und nicht abzuhauen...Und jetzt?!", keifte ich den Tränen nah, zog nun meine dünne Hand aus seiner. "Was meinst du was mir mehr hilft? Diese Plörre oder psychische Unterstützung?!" Ich wandte meinen Kopf ab, denn ich schaffte es nicht zu lügen und jemanden dabei in die Augen zu sehen. Nicht einmal jetzt, wo ich doch so wütend war. "Außerdem darf ich keinen Fruchtzucker oder Säure zu mir nehmen. Du kannst also alles wieder einpacken." Es gab mit Sicherheit Sachen auf die ich verzichten sollte. Alkohol, Kaffee, Nikotin...körperliche Anstrengung...aber wohl kaum Vitamine und Ballaststoffe.
Die Antwort auf die Frage wie es mir ging, ließ ich lieber aus, sonst würde ich ihn sonst noch etwas an den armen Kopf werfen. Stattdessen ging ich gleich hinüber zu der letzten Frage. Denn auch sie beschrieb mein Wohlbefinden, sowie alles andere Gesagte schon, ziemlich passend und direkt. Ohne Beschönigungen, wie ich es sonst immer tat. Nie hatte ich zugegeben, wenn es mir schlecht ging. Nie hatte ich die Schule geschwänzt, mich auf Arbeit krank gemeldet, einen Wunsch oder Bitte abgelehnt, den Dienst nicht zu meinen Gunsten getauscht.