RE: Spouse - 11

Ich nahm die Flasche an und setzte mich langsam auf, um daraus zu trinken. Ich hatte zwar meine eigene mit, aber diese war in den Tiefen meines Rucksacks. Hexe versuchte sich dort grade heraus zu winden und begann irgendwann ungeduldig zu quengeln. Sie kläffte mich dann sogar an. Ich fummelte sie aus dem Rucksack heraus und tauschte ebenfalls die Leine, band diese aber dann an einen Baum in der Nähe.
"Als ich noch in London lebte, also doch eher abseits, war mein Leben viel schöner. Ich habe mich als Kind immer unglaublich frei und grenzenlos gefühlt." Ich setzte mich wieder neben London, holte ein Tuch hervor, welches mal nur an einer bestimmten Stelle drücken musste, ehe es von selbst feucht wurde. Damit wusch ich mir mein Gesicht und meine Hände. "Was ist Laputa?", fragte ich ihn dann und sah nochmal in den Himmel. Der Wind trug erneut seinen Duft zu mir rüber und ich bekam davon eine Gänsehaut, presste meine Beine wenig später etwas stärker gegeneinander. Mein Körper nervte mich mittlerweile, denn die weiblichen Hormone machten eben genau das, was sie machen sollten. Ich warf das Tuch wieder in den Rucksack. Hexe hüpfte total verspielt herum, einfach nur deshalb, weil der Wind ihr Fell immer wieder aufwühlte und sie das aus der Stadt nicht kannte. Das liebte sie. Dann tapste sie zu Snuffkin und schnappte spielerisch nach ihm. Ich sah ihr dabei zu und versuchte mich damit abzulenken. Ob London wohl ähnlich empfand?

„Woher weißt du das?“, fragte ich ihn in Bezug auf seine These, das sich Kinder wohl immer frei fühlen würden. „Ich sehe es anders. Ich könnte mir nicht vorstellen, dass Kinder sich frei fühlen würden in so einem Klotz. Aber vielleicht liege ich auch falsch.“ Vielleicht war es generell schlecht, in dieser Stadt Kinder groß zu ziehen.
Ich lauschte der Geschichte der Inseln und Schlösser im Himmel und stellte mir das bildlich vor, während ich weiterhin in unseren Himmel blickte. „Ich will lernen, die alte Schrift zu lesen. Die eigene Phantasie ist doch wichtiger, als sich nur die Bilder anzusehen. Für mich jedenfalls.“ Immerhin liebte ich Traumreisen, einfach auch deshalb, da ich mich in der Stadt nicht sonderlich wohl fühlte. Ich versuchte o oft wie möglich draußen zu sein oder mich abzulenken. „Vielleicht fällt es mir so schwer, mich anzupassen, weil ich nicht von hier komme.“
Ich sah zu ihm, bemerkte sein Grinsen, und sah dann wieder weg. Es war mir unangenehm. „Naja, hysterisch und aggressiv war ich zwischendurch auch. Es wechselt mit anderen Zuständen. Aber langsam wird es besser.“ Ich machte eine kurze Pause. „Morgen früh ist ein weiterer Termin. Dr. Clance hat mir gestern eine Nachricht geschickt. Er will hören, wie es mir mit den Hormonen ergeht und mich nochmals untersuchen, diesmal eben untenrum, um die Operation zu planen.“ Ich atmete ein wenig zittrig aus, denn mich machte der Gedanke überaus nervös. „Ich überlege, nicht hinzugehen. Ich werde eh nur wieder Panik haben.“

Als er mir eine Strähne hinter die Ohren strich, bekam ich wieder eine Gänsehaut und schaute lieber den Hang hinab, als ihn anzublicken.
Ich löste meinen Zopf, hielt aber meine Haare fest, damit sie nicht aufgingen. Dann band ich wieder meinen gewöhnlichen Dutt. „Versuchst du mich zu umwerben?“ Ich sah wieder kurz hinauf zu ihm. „Ich habe mir geschworen, dass meine Braut meine offenen Haare erst bei unserem ersten Mal sehen darf.“ Es war eine indirekte Ablehnung, denn ich hatte nicht vor, ihn so nahe an mich zu lassen. Nicht unter diesen Umständen. „Es würde anders laufen, wären wir uns nicht in dieser Stadt begegnet.“ Als er mir das mit dem Anzug erzählte, musste ich dann doch schmunzeln. „Du bist zu freundlich, London. Wirklich.“

„Mein Studium ist auch sehr ermüdend, wenn man es ohne Leidenschaft studiert. Ich will es mit den alten Schriften zumindest versuchen.“ Ich ließ mich wieder nach hinten fallen, um erneut den Himmel zu beobachten, den ich viel zu selten zu sehen bekam. „Es macht doch keinen Unterschied. In Panik werde ich so oder so versuchen zu flüchten. Und auf die paar Tage, in denen ich meine Freiheiten länger behalten darf, kommt es kaum an.“ Aber er hatte Recht. Es war nicht klüger, zu versuchen, nicht zu dem Termin zu gehen. Das Ergebnis würde das selbe sein. Sie würden ihr Ziel erreichen und mich brechen. Ich verzog das Gesicht bei dem Gedanken, wie nah mir Dr. Clance kommen wird. „Vielleicht würde ein Beruhigungsmittel helfen“, stimmte ich ihm zu und hoffte, er würde eines auftreiben können. Vielleicht würde das die ganze prekäre Situation auflockern können, wenn es denn dazu kam.
Als er mich fragte, wie ich darauf kam, dass er um mich warb, überlegte ich eine Weile. „Du streichst mir durch die Haare, das machen Männer oft bei Frauen, die sie haben wollen.“ Ich sah zu ihm und in seine grünen geheimnisvollen Augen. Erneut eine Gänsehaut. „Ich werde niemals wieder vergessen, dass du da bist, glaub' mir. Aber ob du jemals meine Haare offen sehen wirst, wage ich zu bezweifeln.“ Vielleicht wäre ich für ihn ja sogar schwul geworden, würde man mir eben nicht eine Gebärmutter einsetzen.
Als er erklärte, dass er mich nicht heiraten wollte, war es doch schmerzhafter, als ich mir eingestehen wollte. Es zog in meiner Brust und ich starrte erneut in die Wolken. „Warum bist du denn so verdammt freundlich zu mir?“, wollte ich erfahren. „Um es der Stadt einfacher mit mir zu machen?“ Erneut sprach er die Sache mit den Kindern an und ich seufzte schwer. „Die Sache ist nur, dass ich hier weg will, seit man mich für dieses Programm auserwählt hat. Und das kann ich nicht, denn meine Kinder werden dieser Stadt gehören und nicht mir. Nur, wenn ich sie abgebe, könnte ich noch innerhalb der nächsten 20 Jahre auswandern und unter freiem Himmel leben.“ Ich seufzte schwer. „Aber ich weiß nicht, ob ich ein solches Maß an Egoismus aufbringen könnte.“

"Sich nicht streiten und mich so überaus freundlich zu behandeln sind verschiedene Sachen." Ich stand nun langsam wieder auf. Wir saßen hier schon eine ganze Weile und hatten miteinander gesprochen. Langsam packte ich alles wieder zusammen und rief auch Hexe zu mir, welche wieder ihren Platz in dem Rucksack einnahm. "Aber dazu wird es niemals kommen, London. Wir werden keine Kinder haben", sagte ich nochmal eindringlicher und schulterte den Rucksack. "Lass uns zurück gehen. Sonst wird es später zu anstrengend und ich will nicht, dass einer von uns abrutscht." Mit diesen Worten begann ich vorsichtig, mich wieder den Abgrund herunter zu hangeln und meine ekelhaften Nägel dafür einzusetzen. Sie waren zwar praktisch, aber ich würde sie für immer verachten.

Am nächsten Tag klingelte irgendwann mein Wecker. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, zu dem Termin zu gehen. Doch als ich aufwachte, war ich wie gerädert. Ich hatte kaum geschlafen, meine Nacht war voller Albträume wegen der Untersuchung. Mein erster Gedanke, als ich aufwachte, war der daran. Und ich bekam direkt Panik und schmiss das kleine Weckergerät mit voller Wucht gegen eine Wand, sodass es zerschellte. Zog die Decke über den Kopf und versuchte das alles zuverdrängen.

Vielleicht waren es auch die Hormone. Es war doch egal. Fakt war, dass ich grade dabei war, gegen meine Angst anzukämpfen und zu zittern begann, als ich hörte, dass irgendjemand in meine Wohnung kam. Wie lange lag ich hier schon? Waren sie es?
Dann hörte ich Londons Stimme und war erleichtert und beängstigt gleichermaßen. Denn auch, wenn er es gut meinte, er baute nur noch mehr Druck bei mir auf. Ich spürte, wie er sich irgendwann neben mich setzte und dann begann er mich zu streicheln. Als er fertig war mit reden, seufzte ich tief. Eine meiner Hände kämpfte sich unter der Decke hervor und griff nach dem Zopfband auf meinem Nachttisch, zog es unter die Decke. Dort wuselte ich ein wenig herum. "Ich bin mir unsicher, ob ich es wirklich nehmen will", murmelte ich dann. Immerhin kam es einer Kapitulation gleich, und ich wollte mich nicht aufgeben. Ich wollte ihnen nicht meinen Körper unterwerfen. Schließlich kam ich aber unter der Decke hervor, ich hatte Augenringe und wirkte alles andere als fit. Die Decke bedeckte noch meinen nackten Unterkörper. Erneut seufzte ich. "Naja, dann gib es mir, führt ja kein Weg daran vorbei." Müde blickte ich zu ihm und sah auf die Uhr. Viel Zeit hatten wir nicht mehr.

Es ging mir zwar gegen den Strich, nach den Hormonen jetzt auch noch mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt zu werden, aber das würden wahrscheinlich nicht die letzten sein. Also nickte ich resigniert und begann mich dann anzuziehen, als er das Zimmer verlassen hatte. Ich bürstete mir die lange Mähne und zauberte einen anständigen Dutt. Danach kam er herein und ich nahm das Zeug zu mir. "Bitte bleib bei mir und sag mir später, was alles erklärt wurde, falls ich das nicht richtig auffassen sollte." Er schlug die Traumreisen vor, aber ich schüttelte den Kopf. "Ich will sie nicht damit verbunden. Außerdem will ich noch halbwegs mitbekommen, was sie mit mir tun, auch wenn es mich kaputt machen wird."
Wenig später, nachdem ich mir dann die Zähne geputzt hatte, gingen wir los. Ich spürte dann auch schon die Wirkung des Mittels. Erst kribbelten meine Finger und Zehen, dann wurde ich müde und langsamer. Spürte, wie mir zunehmend alles gleichgültig wurde, obwohl ich wusste, dass es falsch war, was hier passierte. Wir kamen vor dem Sprechzimmer von Dr. Clance an. Dieser begrüßte uns dann beide mit einem Handschlag und bat uns hinein.

Es war nicht so, dass ich nichts mehr mitbekam. Ich bekam alles mit. Und meine eigene Gleichgültigkeit verachtete ich in diesem Moment. Ich wusste, was passieren würde, was Dr. Clance tun und sehen würde und das es mir Angst machen sollte. Aber ich ließ mich von ihm bis zu dieser Liege führen, wie ich sie für Frauen kannte. Ohne einen Ton zu sagen zog ich den Vorhang zu und begann mich dann untenrum auszuziehen. Wenig später lag ich auf dem Stuhl, ohne zu wissen, wie ich dorthin gekommen war. Alles war viel zu verschwommen. Das, was dann geschah, verdrängte ich bis in die hintersten Ecken meiner Seele. "Sie wissen, dass sie mich umbringen werden", meinte ich nur irgendwann. Dr. Clance sagte nichts.
Ein paar Minuten später kamen wir hinter dem Vorhang wieder hervor. Ich fühlte mich ruhig, gebrochen, und es war mir so verdammt egal. Ich sah nichtmal mehr London an. Blieb müde im Raum stehen und wartete ab, was sie nun mit mir tun würden.

Es war mir so gleichgültig, was geschah, und doch spürte ich tief in meinen Inneren Angst vor allem, was noch geschehen könnte. Ich ließ mich einfach nach draußen mitnehmen und währe am liebsten auf eine der Bänke zusammen gesackt, aber ich wurde nicht gefragt. Als ich die Spritze sah, wollte ich protestieren, denn es hatte mir auch niemand erklärt, was darin war. Aber ich war zu langsam, zu müde, und so landete sie in meinem Oberarm und ich verlor Vertrauen. Landete einfach in den Armen von London, ohne mich dagegen wehren zu können und ohne es zu erwidern. Ich stand nur so da und war vollkommen überfordert.
Er redete, und ich schwieg. Und als er fertig war, da ließ die Wirkung des Beruhigungsmittels nach. Ganz langsam. "Nein. Noch nicht", faselte ich vor mich hin, als ich begriff, dass gleich alles auf mich einbrechen würde. Ich versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, noch ziemlich langsam und kraftlos. "Ich halte das doch gar nicht aus..."